HSV-Chef Jarchow spricht über die Absprache mit Kühne und die Kritik an Arnesen. Zum Van-der-Vaart-Poker sagt er: “Nur wir entscheiden.“

Zeit ist derzeit knapp bei Carl-Edgar Jarchow. Der 57-Jährige steht mitten in seiner wohl hektischsten Woche als HSV-Vorstandsvorsitzender. Nach dem blamablen Pokal-Aus in Karlsruhe und dem ernüchternden 0:1 zum Bundesligaauftakt gegen den 1. FC Nürnberg hagelt es Kritik von allen Seiten. Die Rufe nach personellen Verstärkungen werden lauter - und auch die Arbeit von Sportchef Frank Arnesen steht im Brennpunkt.

Hamburger Abendblatt: Herr Jarchow, in Hamburg herrscht Abstiegsangst - nach nur einem Spiel. Was entgegnen Sie den Skeptikern, wie machen Sie sich denn selbst Mut?

Carl-Edgar Jarchow: Wir haben in vielen Bereichen des Vereines schon einiges sehr Positives erreicht. Was allerdings am meisten nach außen strahlt, ist der sportliche Bereich. Und hier müssen wir konstatieren, dass wir, Stand heute, noch nicht so weit sind, wie wir gerne wären. Wir haben uns vorgenommen, eine Mannschaft mit jungen Leuten zu entwickeln. Und ich glaube, wir haben bis heute zu wenig darauf geachtet, dass auch ein, zwei Leader dabei sind. Ein, zwei ältere Spieler. Daran arbeiten wir jetzt, das zu verändern.

Sie sprechen die Neuzugänge Milan Badelj, Petr Jiracek sowie die bevorstehende Verpflichtung Rafael van der Vaarts an. Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass der HSV den Niederländer bei Tottenham loseisen und zurückholen kann?

Jarchow: Wir reden hier über nicht feststehende Zahlen, wir reden hier über den Fall van der Vaart, der uns immer wieder beschäftigt, auch jetzt beschäftigt. Natürlich würde er uns weiterhelfen, und es ist so: Er will nach Hamburg. Jetzt hängt es am abgebenden Verein, ob und unter welchen Umständen er ihn abgeben würde. Und da gibt es gewisse Grenzen.

18 Millionen soll Tottenham fordern, der HSV dagegen maximal zwölf geboten haben. Wie viel davon würde Investor Klaus-Michael Kühne übernehmen?

Jarchow: Ich werde hier keine Zahlen nennen, aber eines ist ganz klar: Die Entscheidung, ob wir ihn nehmen, kann nur beim HSV liegen. Der Beitrag von Herrn Kühne kann nur in Form eines Darlehens liegen, das uns in die Situation versetzen würde, diesen Deal zu machen. Aber der Status quo ist der, dass Tottenham keinen Anstalten macht, einen respektablen Preis zu respektieren.

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Glauben Sie daran, dass Rafael van der Vaart am 31. August beim HSV unterschrieben hat?

Jarchow: Ich würde im Moment sagen, die Chancen für einen Abschluss liegen bei 30 zu 70 Prozent.

Sie sind nie müde geworden, die Notwendigkeit Ihres Sparkurses zu betonen. Glauben Sie, dass Ihnen die Aussicht auf wenig Geld einige interessante Spieler gekostet hat?

Jarchow: Nein. Wir haben uns zum Ziel gesetzt, den Etat des Bundesligakaders zu reduzieren - und das haben wir hingekriegt. Zwar noch nicht so weit, wie es sein müsste - aber die Liquidität ist gesichert. Nur sind wir eben noch nicht in der Lage, Riesensprünge zu machen. Wir können keine großen Ablösesummen zahlen, geschweige denn riesige Gehälter. Der Sparzwang ist da.

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Eine schwere Aufgabe für Ihren Sportchef Frank Arnesen, der zunehmend in die Kritik geraten ist. Zuletzt kritisierte ihn auch HSV-Idol Uwe Seeler heftig.

Jarchow: Nach dem schlechten Start mit dem Aus im Pokal und der Niederlage gegen Nürnberg war Kritik zu erwarten. Und ich muss sagen, angesichts der gezeigten Leistungen ist das auch völlig berechtigt. Damit müssen wir uns auseinandersetzen. Auch meiner Sicht ist grundsätzlich immer alles zu hinterfragen und damit auch die Zusammenstellung der Mannschaft.

Gibt es diese Kritik an Frank Arnesen auch innerhalb des Vorstandes?

Jarchow: Nein, wir arbeiten vertrauensvoll zusammen. Der Rest ist Angelegenheit des Aufsichtsrates. Aber wir müssen reflektieren, ob während der langen Sommerpause alles richtig gelaufen ist. Denn wenn Leute kritisieren, dass unsere Verstärkungen erst sehr spät kommen, kann ich das verstehen.

Klingt allerdings doch sehr kritisch.

Jarchow: Das sind wir intern immer. Wir hinterfragen sowohl Abläufe als auch Ergebnisse.

Wobei man wohl wieder schnell bei den Finanzen landen wird. Was unternimmt der HSV, um den wirtschaftlichen Anschluss an die Konkurrenz zu halten?

Jarchow: Das klingt, als hätten wir den wirtschaftlichen Anschluss verloren. Aber das ist nicht richtig. Wir sind vom Umsatz her und vom Budget für die Bundesligamannschaft immer im ersten Drittel der Bundesliga - also finanziell sehr viel weiter oben als sportlich in der Tabelle. Unser Problem ist die hohe Abbezahlung des Stadions bis 2015. Das ist ein zweistelliger Millionenbetrag. Zu viel für uns aktuell, denn der Betrag fehlt uns für andere Vorhaben. Wir sind aber von der Vermarktung und den Sponsoren her hervorragend aufgestellt. Nach Bayern sicher am zweitbesten. Unsere Aufgabe ist klar: Wir müssen die Zeit bis 2015 überbrücken.

Wann, denken Sie, ist die Erblast Ihrer Vorgänger aufgearbeitet? Ab wann wirtschaften Sie auf eigene Verantwortung?

Jarchow: Ich finde, das machen wir. Mir wurde immer vorgeworfen, ich hätte nach außen nicht klar genug gemacht, was wir hier vorgefunden haben.

Was haben Sie vorgefunden? Sportlich und finanziell auf einer Skala von eins bis zehn ...

Jarchow: Eine Vier. Aber mir ging es nie darum, einen Schwarzen Peter zu finden. Ich verweise nicht auf eine Erblast. Auch zukünftig nicht. Kritik nehme ich an. Ich mache nur deutlich, wie die Situation jetzt ist.

Wo wird der HSV in drei Jahren finanziell und sportlich stehen?

Jarchow: Sportlich muss das Ziel sein, im Bereich der Europa-League-Plätze zu stehen. Und finanziell ist die Wendemarke in drei Jahren.

Haben Sie sich Fehler vorzuwerfen?

Jarchow: Ich habe mich mal zu weit vorgewagt und habe auch Fehler gemacht, das ist so. Ich habe mal gesagt, und das wird mir sicher noch häufiger vorgehalten, dass wir nicht mit zwei hoch bezahlten Torhütern in die Saison gehen. Stand heute ist dem aber so. Es war nie der Plan, ganz im Gegenteil. Aber da muss ich noch lernen, mich nicht ganz so offensiv vorzuwagen.

Deshalb Ihre vorsichtige 30:70-Angabe in Sachen van der Vaart?

Jarchow (lacht): Nein, die ist realistisch. Zumindest in diesem Moment.

Das komplette Interview im Video sehen Sie unter www.abendblatt.de/matzab