Gegen Hoffenheim will der HSV nach zehn vergeblichen Anläufen seine Negativserie beenden - Gökhan Töre soll mit positiver Energie helfen.

Hamburg. Gökhan Töre musste nach seiner Rückkehr reichlich Flachs einstecken. Weil die Mission EM-Teilnahme in den Play-off-Spielen gegen Kroatien missglückte, müsse er jetzt bei seinem Mannschaftskollegen Ivo Ilicevic nach Karten für das Turnier in Polen und der Ukraine fragen, erzählte der türkische Nationalspieler. Der 19-Jährige nahm es aber gelassen: "Was soll ich machen? Gegen Hoffenheim drei Punkte, dann geht es mir wieder gut." Wenn das so einfach wäre.

"Die Statistik ist eine gefällige Dame", hat einst Édouard Herriot eher abfällig gesagt, "nähert man sich ihr mit entsprechender Höflichkeit, dann verweigert sie einem fast nie etwas." Nun hat der frühere französische Politiker im vorherigen Jahrhundert dabei nicht an das Auswerten von Fußballspielen gedacht. Aber sein Spruch passt in die heute gängige Praxis, sich beim Versuch, die Leistungen von Profifußballern zu objektivieren, so vieler Zahlen wie möglich zu bedienen und diese entsprechend zu analysieren.

Wenn der HSV am Sonntag (17.30 Uhr, Liveticker auf Abendblatt.de) 1899 Hoffenheim empfängt, dann lassen die vorliegenden Zahlen allerdings kaum einen Spielraum zu. Acht Monate oder 246 Tage ist es her, dass die Hamburger (saisonübergreifend) einen Heimsieg feiern durften. 1:1 gegen Dortmund, 0:0 gegen Hannover, 0:2 gegen Freiburg, 1:1 gegen Mönchengladbach lauteten die Resultate nach dem 6:2-Erfolg gegen den 1. FC Köln am 19. März. Nach der Sommerpause wurde es nicht besser: Weder gegen Hertha (2:2), Köln (3:4), Mönchengladbach (0:1), Schalke (1:2), Wolfsburg (1:1) noch Kaiserslautern (1:1) gelang ein Sieg. Bei den "Castrol"-Statistiken ließen sich diese Zahlen des Grauens beliebig anreichern. So spielte der HSV in zehn Spielen 3060 Pässe und hatte insgesamt 6195 Ballkontakte (52,3 Prozent Ballbesitz), ohne den gewünschten Ertrag einzufahren. Interessant auch, dass die HSV-Spieler in den Heimpartien nur auf einen Wert von 109 gelaufenen Kilometern kamen, während die Gegner 115 Kilometer erreichten. 137 Torschüsse waren notwendig, um die zehn Treffer zu erzielen, der Gegner brauchte nur 122 Versuche für 15 Tore.

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Noch einen kleinen Nachschlag gefällig? Auf den eher mäßigen Wert von 49 Ecken (Gäste: 44) kam der HSV in den vergangenen zehn Spielen und lief 47-mal ins Abseits (Gäste: 27). Der Wert von 49,7 Prozent gewonnenen Zweikämpfen spricht nicht für eine ausgeprägte Aggressivität vor heimischer Kulisse. Dass die Defensivarbeit verbesserungswürdig ist, zeigt sich allein daran, dass der HSV als einziger Bundesligaklub noch nicht zu null gespielt hat.

Auch wenn man die Zahlen (inklusive des 2:2 in Leverkusen und des 2:1-Pokalsiegs in Trier) als positiv denkender Mensch dahingehend interpretieren könnte, dass das Team von Thorsten Fink seit dessen Amtsübernahme noch ungeschlagen ist, so bleibt dennoch der Fakt, dass der HSV mit nur drei Punkten gemeinsam mit Augsburg das Ende der Heimtabelle belegt.

Der anhaltende Misserfolg könnte sich auch erstmals am Zuschauerinteresse zeigen. Lag der Minusrekord in dieser Saison bisher bei 52.100, so könnte der Besuch gegen Hoffenheim erstmals unter die 50.000-Grenze fallen. Noch sind 9000 Tickets in allen Kategorien erhältlich.

Gökhan Töre gehört zu denjenigen HSV-Profis, die noch nicht wissen, wie es ist, den Schlusspfiff zu hören und dann gemeinsam mit den eigenen Fans einen Sieg zu feiern. "Das steht schon im Kopf drin, dass es auswärts besser läuft", gibt der Angreifer zu, dass ihn die Serie nervt. Allerdings beweist sein steter Formanstieg, dass sich der türkische Nationalspieler nicht vom allgemeinen Trend vereinnahmen lässt. Was Fink als eine "starke Fußball-Mentalität" bezeichnet, umschreibt Töre selbst als eine Eigenschaft, sämtliche störenden Einflüsse auszublenden und sich auf das Spiel zu konzentrieren: "Ich bin ein sehr positiver Mensch und kann die negativen Dinge wegpacken", sagt der energiegeladene Offensivmann.

Der Schlüssel wird sein, ob es Fink gelingt, das "Töre-System" auch den anderen Spielern zu vermitteln und alle Gedanken auf die jeweiligen Aufgaben zu fokussieren. Vielleicht hilft ja in der Vorbereitung noch ein wenig Statistik: In bisher drei Bundesliga-Gastspielen ist Hoffenheim in Hamburg noch sieglos (zwei Niederlagen, ein Remis), zudem gingen die vergangenen drei Auswärtsspiele dieser Saison alle verloren (1:7 Tore). 17 Punkte aus zwölf Spielen sind die schlechteste Bilanz der jungen Bundesliga-Geschichte. Der HSV dagegen kann sich trösten, schließlich hatte der Klub 1992/93 (umgerechnet in die Drei-Punkte-Regel) nach zwölf Spieltagen nur neun Punkte auf der Habenseite - und wurde am Ende mit 39 Punkten noch Elfter. Wenn das mal keine gefällige Statistik ist. Mitarbeit: Florian Heil