Bruma und Tesche treffen beim verdienten 2:1-Sieg in Stuttgart für den HSV. Stevens gilt als Trainer-Favorit, doch noch ist nichts entschieden.

Stuttgart. Nach 92 Minuten und zwei Sekunden war es endlich geschafft. Als Schiedsrichter Felix Zwayer mit seinem Abpfiff den 2:1-Auswärtssieg des HSV in Stuttgart perfekt machte, kannte der Hamburger Jubel keine Grenzen mehr. Interimstrainer Rodolfo Cardoso riss die Arme in den Himmel und schrie die ganze Freude heraus, die sich in den vergangenen sechs sieglosen Spielen aufgestaut hatte. "Ich habe genau gespürt, dass meine Mannschaft heute unbedingt den Sieg wollte. Diese drei Punkte sind verdient. Vielleicht darf ich ja noch ein Spiel im Amt bleiben", sagte der Argentinier.

Und Vorstandsvorsitzender Carl Jarchow gab ihm Hoffnung. "Es kann durchaus sein, dass Cardoso gegen Schalke noch auf der Bank sitzt. Wir haben Huub Stevens und Marco van Basten auf der Liste, eine Entscheidung soll spätestens bis zur Länderspielpause fallen. Zudem sprechen wir weiterhin mit anderen Leuten", sagte der HSV-Boss am Sonnabendmittag.

DIE AKTUELLE TABELLE

Am Spieltag hatte das Abendblatt erfahren, dass der HSV vier Tage nach der Entlassung von Trainer Michael Oenning Kontakt zu Stevens aufgenommen hat. Der Niederländer selbst äußerte sich gegenüber dem "Matz-ab-Blog" in ähnlicher Richtung. „Wir werden uns am Wochenende treffen“, verriet Stevens, „aber klar ist auch, dass noch nichts klar ist. Ich war schon ein wenig überrascht, wie offensiv am Freitag mein Engagement verkündet wurde. Nicht, dass ich mir das nicht vorstellen kann, im Gegenteil. Aber geklärt ist eben noch nichts.“

Festzuhalten nach dem überraschend starken Auftritt in Stuttgart bleibt, dass der Nachfolger Michael Oennings eine schwere Aufgabe übernimmt, aber auch, dass in der Mannschaft mehr steckt, als die bisherige Punkteausbeute aussagt.

Und auch Stevens hatte neben einer starken Defensive in der zweiten Halbzeit einen Mann besonders auf dem Schirm: Zhi Gin Lam. „Der Junge war sensationell. Von der ersten Minute an mutig und frech. Das hat beim Zugucken richtig Spaß gemacht.“ Und wer glaubt, mit Stevens würde der Umbruch beendet, der irrt. „Nur mit jungen Spielern geht es natürlich nicht. Das war nie anders. Aber wenn ich mir die zweite Halbzeit anschaue, wie ein Töre und natürlich Lam aufgezogen haben, weil sie mutig waren, dann muss ich sagen: so geht das. So kannst Du was erreichen", sagte er dem Blog.

Dass der Vorstand mit seiner Entscheidung richtig lag, die Zusammenarbeit mit Oenning zu beenden, zeigte nicht nur das Ergebnis am Freitagabend, sondern vor allem der erfrischende Auftritt des HSV bei den Schwaben unter der Leitung von Cardoso. Der Interimscoach schaffte es, dem Team in nur wenigen Tagen wieder Leben einzuhauchen. Wie erwartet mussten David Jarolim, Marcell Jansen und Per Skjelbred auf die Bank, während Gökhan Töre, Heung Min Son und Zhi Gin Lam aufliefen. Den 20-jährigen Deutsch-Chinesen hatte Cardoso von der zweiten Mannschaft zu den Profis beordert. Eine gute Wahl, wie sich schnell zeigte. Der nur 1,75 Meter kleine und 67 Kilo leichte Techniker zeigte keinerlei Nervosität und überzeugte mit einigen gelungenen Aktionen.

Lediglich im ersten Durchgang geriet der HSV zu häufig durch unnötige Ballverluste unter Druck, wobei sich vor allem das zentrale Mittelfeld mit Tomas Rincon und Robert Tesche auszeichnete, aber auch Innenverteidiger Slobodan Rajkovic zeigte ungewohnte Schwächen. Zum wiederholten Male zeigte sich, dass es bei den Hamburgern vor allem im Zentrum krankt, hier fehlt es an Stabilität und an Kreativität, hier muss der Verein im Winter handeln. Arnesen und Stevens dürften sich schon bald zusammensetzen.

Das 0:1 nach einer Aneinanderreihung von Fehlern war typisch für den bisherigen Negativlauf des HSV. Am Ende sah wieder mal Jaroslav Drobny unglücklich aus, weil er den strammen Schuss von Zdravko Kuzmanovic nicht festhalten und Martin Harnik aus kurzer Distanz einschieben konnte. Aber dass Kuzmanovic überhaupt schießen konnte, hatte er Rincon zu verdanken, der die Lücke frei machte.

Alles schien vor den 55 700 Zuschauern seinen gewohnten Lauf zu nehmen. Doch dann passierte kurz nach Wiederanpfiff das Unglaubliche: Der HSV erzielte das 1:1 - nach einem Standard! In den ersten sechs Spielen hatte das Team acht Tore nach Standardsituationen hinnehmen müssen, doch dieses Mal traf Jeffrey Bruma nach einer Ecke Töres (51.).

Der erste HSV-Treffer nach der 258 Minuten langen Torflaute hatte offenbar den Heißhunger der Hamburger geweckt. Dennis Aogo (54.) und der bärenstarke Töre (56.) versuchten nachzulegen, Robert Tesche (67.) legte tatsächlich nach - erneut nach einer Ecke Töres. Den aus Hamburger Sicht nahezu perfekten Abend rundete die Einwechslung Romeo Castelens ab, der nach ziemlich genau zwei Jahren Verletzungspause für den fleißigen Son kam (82.). Es war der letzte Paukenschlag an einem denkwürdigen Abend, der am kommenden Sonntag gegen Schalke 04 wiederholt werden soll - dann aller Voraussicht nach mit einem neuen Trainer: Huub Stevens.

HIER GEHT'S ZUM LIVETICKER

Stuttgart: Ulreich - Boulahrouz, Tasci, Maza, Molinaro (82. Boka) - Kvist, Kuzmanovic - Harnik, Gentner (69. Pogrebnjak), Okazaki (76. Gebhart) - Cacau.

Hamburg: Drobny - Westermann, Bruma, Rajkovic, Aogo - Tesche, Rincon - Lam (65. Guerrero), Töre - Son (82. Castelen), Petric (90.+1 Jarolim).

Tore: 1:0 Harnik (18.), 1:1 Bruma (51.), 1:2 Tesche (67.). Schiedsrichter: Zwayer (Berlin). Zuschauer: 55 700. Gelbe Karten: Cacau (2) - Rajkovic (2).