Traditionell siegt der HSV fast immer nach einem Trainer-Wechsel. Darauf baut auch Cardoso in Stuttgart und hat ein gutes Gefühl.

Hamburg. Wenn man positiv in die Zukunft gucken will, muss man manchmal ganz schön weit in die Vergangenheit schauen. So bekräftigte Rodolfo Cardoso vor seinem ersten Spiel als HSV-Cheftrainer heute Abend beim VfB Stuttgart (20.30 Uhr/Sky und Abendblatt-Ticker), ein gutes Gefühl zu haben, weil er sich noch sehr genau an sein erstes Spiel als Spieler in Stuttgart erinnern könne. 4:2 habe er mit dem SC Freiburg in der Saison 1993/94 im Ländle gewonnen, dabei zwei Tore erzielt. "Wenn das kein gutes Omen ist", sagt Cardoso, dem man nicht mal böse sein kann, dass das korrekte Ergebnis an jenem 9. April 1994 4:0 lautete.

Ein ähnliches Erfolgserlebnis am heutigen Abend scheint angesichts der zurückliegenden Leistungen nahezu utopisch, mit Blick auf die Statistik aber nicht unmöglich. Schließlich gehört es in Hamburg zum guten Ton, sein Debüt als Cheftrainer mit einem Sieg zu feiern, zumindest aber nicht zu verlieren. So startete keiner der vergangenen fünf HSV-Trainer mit einer Niederlage. Michael Oenning gewann seine Premierenpartie im vergangenen Jahr 6:2 gegen Köln, Vorgänger Armin Veh siegte in seinem ersten Einsatz für den HSV 2:1 gegen Schalke, und Interimstrainer Ricardo Moniz schaffte bei seinem Debüt gegen Nürnberg tatsächlich Cardosos VfB-Ergebnis: 4:0. "Ich hoffe, dass wir den Schwung des Trainerwechsels nutzen können", sagt der Argentinier, "für den einen oder anderen ist so ein Wechsel ermutigend."

Zhi Gin Lam: Dieser Mann soll den HSV in Stuttgart retten

Heiko Westermann bestätigt Cardosos Einschätzung umgehend. "Ein Trainerwechsel gibt immer einen Schub. Weil etwas passiert, etwas Neues kommt. So etwas bewirkt komischerweise immer etwas", sagt der Kapitän. Kurzfristig mag das stimmen, glaubt Trainerexperte Olaf Kortmann, langfristig mit Sicherheit nicht. "Ein Trainerwechsel löst im ersten Moment psychologisch natürlich den gewünschten Effekt bei den Spielern aus, nachhaltige Resultate kann man dagegen nicht erwarten. Das haben auch mehrere Untersuchungen bewiesen", sagt Kortmann, der in Hamburg erfolgreich als Unternehmensberater, Mentaltrainer und Trainercoach arbeitet. "Der Fehler steckt beim HSV leider schon lange im System", kritisiert Kortmann, "ein Michael Oenning hätte nie als Cheftrainer verpflichtet werden dürfen."

Der von Kortmann kritisierte Fehler wurde am Montag behoben, seitdem ist Cardoso in der Verantwortung. Seine Ankündigung bei der offiziellen Vorstellung am vergangenen Dienstag, auf Experimente zu verzichten, scheint der Südamerikaner allerdings in etwa so gut in Erinnerung behalten zu haben wie das exakte Ergebnis seines ersten Spiels beim VfB. So ließ Cardoso vor dem gestrigen Abflug nach Stuttgart keinen Stein auf dem anderen stehen, sortierte mit David Jarolim und Marcell Jansen etablierte Stammkräfte aus und ersetzte diese durch Talente aus seiner U-23-Mannschaft. Auch die Innenverteidigung besetzte der Interimscoach mit Jeffrey Bruma und Slobodan Rajkovic neu, beorderte dafür Heiko Westermann auf die rechte Abwehrseite.

Größte Überraschung bei der erhofften Premierenfeier in Stuttgart ist aber sicherlich die Nominierung von Zhi Gin Lam, 20, den Cardoso erstmals in der Bundesliga von Anfang an bringen will. "Der Kleine hat sich enorm weiterentwickelt. Er ist ein intelligenter Spieler, dem man nicht viel erklären muss", lobt Cardoso, "Lam ist zudem sehr variabel einsetzbar." Gegen Stuttgart soll der Deutsch-Asiate, dessen Vater aus Hongkong stammt, im rechten Mittelfeld wirbeln, der ein Jahr jüngere Gökhan Töre soll dafür links spielen.

Glaubt man Romeo Castelen, der Cardoso bestens aus seinen Einsätzen bei der U 23 kennt, sind die Entscheidungen des Argentiniers wohl durchdacht. "Rodolfo ist ein ruhiger Trainer, der seinen Spielern immer ein gutes Gefühl gibt", sagt Castelen, der selbst auf die ersten Bundesligaminuten nach zwei Jahren Verletzungspause hofft. "Für mich persönlich könnte sich ein großer Traum erfüllen", sagt der Niederländer, der nicht zu viele Worte über seine lange Leidenszeit verlieren will.

Manchmal muss man eben auch mal die Vergangenheit abhaken, um für die Zukunft bereit zu sein.