Nach dem 3:4 des HSV gegen Köln und dem Sturz auf Rang 18 nimmt die Diskussion um den Trainer Fahrt auf. Oennings paradoxe Aussagen.

Hamburg. Michael Oennings Gesichtszüge wirkten wie versteinert. Mit gesenktem Kopf stand er da, sein Blick ging nach unten. Fast schien es, als ob der Trainer die Lücke im Teppichboden der HSV-Arena suchte, um darin umgehend spurlos verschwinden zu können. Nach der 3:4-Niederlage gegen den 1. FC Köln war der Tiefpunkt erreicht. Der HSV stürzte erstmals seit dem 31. Januar 2007 wieder auf den letzten Bundesliga-Platz. Und was sagte Oenning? "Wir sollten uns bei der Bewertung vom Tabellenplatz lösen." Eine Aussage, die paradox erschien. Wollte sich der Trainer die dritte Niederlage im vierten Spiel etwa schönreden und von den Realitäten ablenken? Von 14 Gegentoren in vier Spielen? Vom schlechtesten Start der Vereinsgeschichte?

Eher nicht. Oenning hatte ganz einfach Akzeptanzprobleme. Wie sollte er auch diesen kuriosen Verlauf der gerade erlebten 90 Minuten verstehen? Nach einer 1:0-Führung 1:2 zurückzuliegen, die Partie in ein 3:2 zu drehen und den Sieg in der Schlussphase aufgrund von üblen Fehlern zu verschenken, war wirklich unfassbar.

Unbegreiflich, wie unbedrängt der Kölner Christan Clemens vor dem 3:3 nach einer Ecke neun Meter vor dem HSV-Tor zum Abschluss kommen konnte, weil Per Skjelbred seine zu bewachende Zone verließ (84.). Grausam der Torwartfehler von Wiederholungstäter Jaroslav Drobny, der einen Freistoß vor die Füße von Kevin McKenna faustete (88.).

+++ Kommentar: Alte Fehler rächen sich +++

Als Oenning später davon sprach, dass man heute gesehen habe, was in der Mannschaft stecke, meinte der 45-Jährige natürlich die deutliche Leistungssteigerung gegenüber dem 0:5 in München. Sportchef Frank Arnesen sprach mit Recht von der besten Partie in dieser Saison, was jedoch nicht bedeutete, dass bereits das gewünschte Niveau erreicht wurde. Denn genauso immanent ist dem HSV 2011 die eklatant hohe Fehlerquote, die jeden Mannschaftsteil betrifft, weshalb man keinesfalls nicht nur von einer Ergebniskrise sprechen darf. Schuldig an einer Niederlage sind im Fußball grundsätzlich entweder die Spieler, die den Anweisungen ihres Trainers nicht korrekt gefolgt sind - oder der Übungsleiter selbst, der in Sachen Aufstellung, Taktik oder Auswechslungen falsche Entscheidungen getroffen hat. In Hamburg ist es inzwischen Tradition, den Trainer ins Visier zu nehmen, neun Trainer in acht Jahren sprechen für eine ausgeprägte Rauswurfmentalität. Zwar sollte mit Oenning der vielfach beschworene Neuaufbau umgesetzt werden, doch längst hat seine schwache Bilanz (saisonübergreifend ein Sieg, sechs Unentschieden, fünf Niederlagen) das Vertrauen in die Fähigkeiten des Übungsleiters schmelzen lassen, im Fanlager genießt er kaum Rückhalt. Logisch, dass die Diskussionen nach dem schlimmen Nackenschlag Fahrt aufnahmen.

+++ Elia wechselt ... +++

Wie vor einer Woche bemühte sich der HSV-Vorstand intensiv, die stark fallende Aktie Oenning zu stützen, indem sowohl der Klubvorsitzende Carl-Edgar Jarchow als auch Arnesen jegliche internen Zweifel an der Arbeit des Trainers verneinten. "Grundsätzlich haben wir das Vertrauen in Michael Oenning, dass er aus der Mannschaft etwas machen kann", sagte Jarchow, "und das Vertrauen hat er nach wie vor. Wir stehen an seiner Seite, und ich will nicht wortbrüchig werden. Warum sollen wir jetzt über den Trainer reden, wir haben in den vergangenen Jahren neun gehabt. Der Verschleiß hat uns nicht immer weitergebracht." Ausgerechnet jetzt allerdings sieht das Saisondrehbuch das Duell in Bremen vor. Eine für Oennings berufliche Perspektiven gleichfalls chancenreiche wie riskante Ansetzung. Gelänge ausgerechnet bei den Nordrivalen der erste Saisonsieg, könnte Oenning den bereits verspielten Kredit bei den Fans mit einem Schlag zurückgewinnen.

Umgekehrt gerieten die Klubbosse bei einer Pleite stark unter Druck, dem üblichen Reflex Trainerwechsel nachzugeben. Nach den unverrückbaren Gesetzen des Fußballs ist in jedem Verein irgendwann der Punkt erreicht, dass die Verantwortlichen dem Amtsinhaber nicht mehr zutrauen, die Wende zu schaffen. Wann die Rückendeckung auslaufe, wollten weder Jarchow noch Arnesen verraten, genauso wenig ließen sie sich darauf ein, ein Ultimatum zu nennen. Die ganze Energie gilt derzeit dem Kader, der mit frischem Personal verstärkt werden soll, um Defizite zu verringern wie die vermisste Kreativität im Spielaufbau.

Der Vorstand zieht also die letzten Trümpfe, bevor nur noch der Trainerjoker übrig bleibt. Oenning steht in der Pflicht, seine Spieler zu fordern, fördern und zu entwickeln. Laufbereitschaft und Einstellung seines Teams gegen Köln bewiesen, dass Oenning die Spieler durchaus motivieren kann. "Wenn wir diese bittere Niederlage richtig verdauen, werden wir gestärkt daraus hervorgehen", gibt er sich kämpferisch. Falls nicht, wird Oenning bald als eine weitere Episode der in Hamburg früh gescheiterten Trainer in den Geschichtsbüchern verschwinden.