Aufsichtsratsvorsitzender Otto Rieckhoff über den ersehnten Umbruch, die Suche nach einem Vorstandschef und de Ratsverkleinerung.

Hamburg. Der Name des Treffpunkts war Programm. 90 Minuten plus Nachspielzeit traf sich Aufsichtsratschef Otto Rieckhoff im Eimsbütteler Café Schöne Zeit mit dem Abendblatt, um über den neuen HSV zu sprechen. Sein Fazit nach dem Auswärtsspiel: "Ich sehne den Saisonstart herbei."

Hamburger Abendblatt: Herr Rieckhoff, wie viele Meter hat der HSV zurückgelegt, wenn man den lange geplanten Umbruch mit einem 100-Meter-Lauf vergleicht?

Otto Rieckhoff: Für ein Fazit des Umbruchs ist es zu früh, wir haben maximal zehn Meter hinter uns gelassen. Wir kennen ja auch noch keine Ergebnisse.

Der HSV hat einen neuen Vorstand, einen neuen Trainer, einen neuen Sportchef und ein neues Team. Ist das nicht ein bisschen viel "neu" auf einmal?

Rieckhoff: Wenn man etwas ändern will, dann muss man einen Umbruch manchmal auch etwas radikal gestalten. Und nach den Erfahrungen der vergangenen Saison muss man zu dem Ergebnis kommen, dass alle Veränderungen alternativlos waren. Ich freue mich jetzt schon darauf, unsere neue, junge Mannschaft erstmals spielen zu sehen.

Hand aufs Herz: Wie viele der Neuzugänge kannten Sie vor diesem Sommer?

Rieckhoff: Einen. Jeffrey Bruma. Aber nicht ich muss die Spieler kennen, sondern unser Sportchef Frank Arnesen. In den vergangenen Jahren wurde viel zu sehr nach Namen gekauft, auf Alter oder Charakter der Spieler wurde dagegen wenig geachtet. Das soll und wird sich unter Arnesen ändern. Seine Hauptaufgabe ist es, endlich eine echte Mannschaft zu formen.

Es wurden gleich vier Spieler vom FC Chelsea verpflichtet. Ist eine erneute Cliquenbildung da nicht programmiert?

Rieckhoff: Zwei davon waren ja an unterschiedliche Vereine ausgeliehen, da habe ich keine Bedenken. Ich will Ihnen ein Beispiel geben: In diesem Jahr habe ich drei kurze Ansprachen an die Mannschaft gehalten. Nach der ersten im Januar war es mucksmäuschenstill, da dachte ich, diese Mannschaft lebt nicht. Nach der zweiten, als ich Carl Jarchow als neuen Vorsitzenden vorstellte, habe ich eine gewisse Erleichterung unter den Spielern wahrgenommen. Und bei der dritten Rede zum Saisonstart wurde gelacht, und es wurden Späße gemacht. Endlich habe ich das Gefühl, dass in der Kabine eine echte Gemeinschaft mit guter Stimmung entsteht.

Muss sich der Aufsichtsrat den Vorwurf gefallen lassen, nicht früher auf den notwendigen Umbruch gedrängt zu haben?

Rieckhoff: Natürlich hätte der Umbruch auch schon vor ein bis zwei Jahren eingeleitet werden müssen, aber das ist ja eigentlich keine Entscheidung des Aufsichtsrats, sondern des Vorstands.

Derzeit steht Carl Jarchow dem neuen Vorstand als Interimschef vor. Wird er beim Aufsichtsratstreffen am Dienstag endlich zum "richtigen Chef"?

Rieckhoff: Wir haben immer betont, dass wir eine Entscheidung im Sommer treffen, dabei bleibt es.

Was spricht denn dagegen, ihm schon jetzt einen langfristigen Vertrag zu geben und somit Fakten zu schaffen?

Rieckhoff: Es spricht überhaupt nichts dagegen, aber auch diese Entscheidung wird mit einer demokratischen Wahl im Aufsichtsrat entschieden. Ich will dem Ergebnis nicht vorweggreifen. Was ich aber schon jetzt sagen kann, ist, dass wir sehr zufrieden mit der Arbeit Carl Jarchows und seiner Kollegen sind. Der neue Vorstand agiert als Team, das ist neu, und nur das ist wichtig.

Hat es nach der Ernennung Carl Jarchows zum Interimschef trotzdem noch weitere Gespräche mit alternativen Vorstandsvorsitzenden gegeben?

Rieckhoff: Es ist unsere Pflicht als Aufsichtsrat, alle Eventualitäten zu bedenken. Es hat Gespräche gegeben, aber aktuell ist keine Veränderung geplant.

Björn Gulden galt im März als aussichtsreicher Kandidat. Wurde mit ihm zuletzt noch mal verhandelt?

Rieckhoff: Es ist richtig, dass Herr Gulden ein Kandidat war, aber aktuell ist er es nicht mehr.

Damals hieß es, dass Sie mit der Rolle des Interimschefs geliebäugelt hätten.

Rieckhoff: Als es im März drunter und drüber ging, war das mal ein zeitlich begrenztes Gedankenmodell. Wäre es tatsächlich dazu gekommen, dann nur für eine Übergangszeit von sehr kurzer Dauer als Notlösung. Das war dann dank Carl Jarchow nicht mehr nötig.

Hinter vorgehaltener Hand wurde immer wieder kritisiert, dass Sie sich zu sehr ins aktuelle Tagesgeschäft einmischen. Nehmen Sie sich diese Kritik zu Herzen?

Rieckhoff: Aus zwei Gründen tangiert mich das überhaupt nicht. Erstens, weil es nicht stimmt. Und zweitens, weil es als Vorsitzender des Aufsichtsrats meine Pflicht ist, Fragen zu stellen, insbesondere zu Beginn einer neuen Ära.

Zuletzt haben Sie im Aufsichtsrat über eine Mitgliederbefragung und eine mögliche Briefwahl diskutiert. Ist das nicht eigentlich Vorstandssache?

Rieckhoff: Die Aufsichtsräte wurden doch von den Mitgliedern gewählt, um sich Gedanken für unseren Verein zu machen. Natürlich hat der Vorstand bei so wichtigen Fragen wie der Mitgliederbefragung oder der Briefwahl am Ende zu entscheiden, aber als Aufsichtsrat kann man sehr wohl eine Empfehlung aussprechen.

Was ist Ihre Empfehlung?

Rieckhoff: Ich finde beide Punkte spannend und überdenkenswert. Mich würde interessieren, wie viele Mitglieder bei so einer Befragung mitmachen würden. Aber solange wir keine Befragung versuchen, werden wir es nicht wissen.

Ihr Vorgänger Horst Becker hat sich für eine Verkleinerung des Aufsichtsrats ausgesprochen. Was denken Sie?

Rieckhoff: Es ist kein Geheimnis, dass jeder Vorsitzende den Aufsichtsrat gerne verkleinern würde, da bin ich keine Ausnahme.

Was für eine Zahl schwebt Ihnen vor?

Rieckhoff: Weniger als zwölf wären schon gut, aber ich lasse mich jetzt nicht auf eine genaue Zahl festnageln. Sobald alle sportlichen Themen abgehandelt sind und die Saison in Gang ist, werden wir nicht darum herumkommen, ernsthaft im Verein über eine Verkleinerung des Kontrollgremiums zu diskutieren.

Was erwarten Sie von dieser Saison?

Rieckhoff: Leidenschaft. Wichtiger als die Platzierung nach 34 Spieltagen ist, dass eine Mannschaft auf dem Feld steht, die sich zerreißt.