Dem 0:6 in München, einer Trainerentlassung und den Wechseln in der Klubführung lässt der HSV ein hinreißendes 6:2 gegen Köln folgen.

Hamburg. Als Franz Beckenbauer am Freitag in Hamburg weilte, wählte er bei der Beurteilung seines früheren Klubs noch wenig charmante Worte und sprach von einem Trümmerhaufen. Wenn davon auszugehen wäre, dass der Kaiser prinzipiell recht hat, müsste allerdings nach dem 6:2-Erfolg des HSV gegen den 1. FC Köln konstatiert werden, dass die Hamburger in Rekordzeit aus ihren Ruinen auferstanden sind. Unstrittig dürfte sein, dass sich der HSV zuletzt als akut einsturzgefährdetes Gebilde präsentierte. Die vielen Risse im Verein aufzuzählen würde den positiven Eindruck dieses Wochenendes zerstören. Nur so viel: Wer hätte wohl geglaubt, dass dem 0:6 in München, der Entlassung von Trainer Armin Veh sowie dem Rückzug der Vorstände Bernd Hoffmann und Katja Kraus diese starke Reaktion folgen würde?

Wie eine sehnsüchtig erwartete Lieferung Kitt legten sich die sechs Tore auf den Krisenklub, auch wenn nicht unerwähnt bleiben darf, dass sich der Spielplan gnädig zeigte mit dem Duell gegen die auswärtsschwachen Kölner (jetzt schon zehn Niederlagen). "Schön, dass wir nach einem Spiel mal nur über Fußball reden müssen", sagte Mladen Petric, der das 6:2 als "Sieg für die Psyche" verbuchte. Mit seinem ersten, wenn auch nicht lupenreinen Hattrick half der Kroate tatkräftig dabei mit, dass die Fans Mitte der zweiten Hälfte "Oh, wie ist das schön ..." anstimmten.

Es wäre Unsinn, dem HSV angesichts der schwankenden Leistungen in dieser Saison nach nur einem Sieg schon wieder die Reife für den Einzug in die Europa League zu attestieren. Da aber mit Nürnberg, Freiburg und Hoffenheim (alle verloren) sowie Mainz (1:1 in Dortmund) alle direkten Konkurrenten sieglos blieben, verbesserte sich die Ausgangssituation signifikant. Vor allem aber war dieses Spiel ein enorm wichtiges Signal. Interimstrainer Michael Oenning gelang es, für eine Aufbruchsstimmung zu sorgen - und für eine Weiterbeschäftigung als Chefcoach zu werben. Da seine Maßnahmen, die nicht ohne Risiko waren, aufgingen, verschaffte sich der 45-Jährige die Autorität, um den Mentalitätswechsel vorantreiben zu können. Die elanvollen Auftritte von HSV-Debütant Dennis Diekmeier, vor allem Änis Ben-Hatira, aber auch Eljero Elia schwächten zudem das Altherren-Image des Teams etwas ab, während sich Ruud van Nistelrooy gut zurückmeldete: "Ich habe es genossen, wieder da zu sein, mit einem guten Gefühl vom Platz zu gehen."

+++ Oenning: "Die Reaktion musste von der Mannschaft kommen" +++

Aber nicht nur die Mannschaft, deren Charakter vielfach kritisiert wurde, verschaffte sich eine dringend erforderliche Verschnaufpause in der Länderspielpause, auch der Verein dürfte etwas zur Ruhe kommen. Am heutigen Montag soll die offizielle Übergabe zwischen Bernd Hoffmann und dem Übergangsvorsitzenden Carl E. Jarchow erfolgen. "Ich hoffe, das wird in einem freundschaftlichen Rahmen erfolgen", sagte Jarchow, der sich in dieser Woche auch mit dem künftigen Sportchef Frank Arnesen treffen wird. Der Däne kommt für einige Tage zur Wohnungssuche nach Hamburg und wird mit Jarchow die finanzielle Situation des Klubs besprechen und die Planungen für die kommende Saison vorantreiben.

Überhaupt war Jarchow überall zu finden. Ob bei der Informationsveranstaltung der Supporters am Vormittag oder dem Fanklubtreffen am Abend. Wo immer möglich, werde er den Kontakt zu den Mitgliedern des HSV suchen, kündigte der HSV-Chef an, dessen größte Aufgabe es weiter bleibt, den Verein wieder zu einen. "Urgestein" Horst Eberstein ist vom Gelingen dieses Vorhabens fest überzeugt. "Sofort verlängern!", rief er Jarchow nach dem Sieg zu und nahm ihn in den Arm.