DFB-Sportdirektor beschuldigt Ernst-Otto Rieckhoff. Der Aufsichtsratschef wehrt sich

Hamburg. In der Natur ist es unter Wissenschaftlern allgemein bekannt, dass ein starkes Erdbeben eine Vielzahl kleinerer Erschütterungen nach sich zieht. Lediglich Zeitpunkt und Stärke dieser Nachbeben lassen sich in den meisten Fällen nur unzureichend voraussagen, was wohl der größte Unterschied zum Fußball ist. So schien bereits am Freitag, nach dem Beben um die überraschende Absage Matthias Sammers an den HSV, klar, dass spätestens mit dem Erscheinen der Sonntagszeitungen die ersten Nachbeben der mittleren Richterskala folgen.

Dass es letztendlich ein mediales Nachbeben der stärken Sorte wurde, hätte beim HSV allerdings niemand gedacht. Schon gar nicht, weil das Epizentrum der neuen Erschütterungen rund 800 Kilometer weiter südlich in Sammers Wohnort München zu finden war. Von dort aus ließ der 43-Jährige am Tag nach seiner Entscheidung wissen, dass er "schon sehr verwundert" über die Art und Weise war, wie der Aufsichtsrat des HSV am vergangenen Dienstag den Stand der Verhandlungen öffentlich kommuniziert hatte. "Der Aufsichtsratschef des HSV hat durch seine Äußerungen einen öffentlichen Druck in die Gespräche gebracht. Es entstand der Eindruck, alles sei bereits beschlossene Sache, dem war aber nicht so", sagte Sammer der "Bild am Sonntag", für die er als Kolumnist arbeitet. In der "Welt am Sonntag" ergänzte er: "Ich hätte es als richtig empfunden, wenn Herr Rieckhoff gesagt hätte, dass er die Gespräche in Ruhe fortsetzen möchte. Seine Aussagen sind auch deshalb etwas irritierend, weil ich die Dinge nicht mit Herrn Rieckhoff, sondern mit seinem Aufsichtsratskollegen Alexander Otto und dem Vorstandsvorsitzenden Bernd Hoffmann besprochen habe." Und nachdem Sammer zuvor eine Woche medial abgetaucht war, ließ er es sich am Wochenende dann auch nicht nehmen, explizit darauf hinzuweisen, dass er mit Aufsichtsratschef Ernst-Otto Rieckhoff noch nie ein persönliches Wort gesprochen habe.

Ob Sammer tatsächlich klar war, welchen Schaden seine öffentlichen Nachbeben auslösten, lässt sich im Nachhinein nicht mehr überprüfen. Der scharf kritisierte Rieckhoff zeigte sich jedenfalls "persönlich tief getroffen". Im Abendblatt holte er zum Gegenschlag aus: "Die Vorwürfe von Herrn Sammer weise ich entschieden zurück." Über einen Rücktritt als Chef-Kontrolleur habe er zu keinem Zeitpunkt nachgedacht. "Ich fühle mich auf keinen Fall als Schuldiger seiner geplatzten Verpflichtung. Ich werde deswegen natürlich keine persönlichen Konsequenzen daraus ziehen", sagte der 59-Jährige, der noch nicht mal seit einer Woche als Nachfolger Horst Beckers im Amt ist.

Rieckhoff gibt Sammer zwar Recht, dass vor ihrem ersten Treffen am vergangenen Dienstag in Hannover lediglich Alexander Otto die Verhandlungen geführt habe. Allerdings betont er gleichzeitig, dass er ja auch erst am Abend des Dienstags zum Aufsichtsratschef befördert wurde. "Herrn Sammer und ich sind mit einem freundlichen Händeschlag auseinander gegangen", sagt Rieckhoff, der auch die Behauptung Sammers zurückweist, die öffentliche Bekanntmachung sei nicht abgesprochen gewesen: "Das stimmt so nicht. Wir haben uns mit Herrn Sammer verständigt, dass wir bereits am Abend offensiv und öffentlich unser Interesse bekannt geben." Eine Version, die Sammer vehement bestreitet: "Am Dienstagmorgen, nachdem ich mich mit Vertretern des Aufsichtsrates getroffen habe, war eigentlich die Meinung, keinen Kommentar am Abend abzugeben." Der Sportdirektor des DFB wirft Rieckhoff in der "Welt am Sonntag" sogar einen Alleingang vor: "Meines Wissens war dieses Vorgehen nicht einmal HSV-intern abgesprochen."

Ob Sammer darüber auch mit Alexander Otto, den er am Freitag in einem 45-minütigen Gespräch über seine Entscheidung informiert hatte, sprach, wollte er nicht verraten. Gegenüber Otto machte Sammer auch nicht das Vorgehen des Aufsichtsrats, sondern viel mehr familiäre Situation für seine Absage verantwortlich. Eine Ausrede, die in Hamburg für überraschte Gesichter sorgte, da Sammer sechs Wochen mit den Verantwortlichen des HSV verhandelt und noch kurz vor der DFB-Präsidiumssitzung am Freitag letzte Details in dem umfangreichen Vertragswerk durch seinen Berater Gerd Niebaum eingearbeitet hatte. "Wir brauchen jetzt Ruhe", bilanziert Rieckhoff, der auf weitere Nachbeben verzichten will.