Nicht den Profis, sondern HSV-Chef Hoffmann wird die Krise angelastet. Aber ist er der Falsche, nur weil er nie selbst ein großer Fußballer war?

Zoltán Gera ist ein ungarischer Fußballspieler in Diensten des FC Fulham. Ein kleines Licht im Weltfußball, das aber all jenen, die ihr Herz an den HSV verschenkt haben, am 29. April großen Schmerz zufügte. Und besonders Bernd Hoffmann. 14 Minuten trennten die Hamburger noch vom Einzug ins Finale der Europa League. Welch eine Vorstellung! Nach 27 Jahren würde der ruhmreiche HSV wieder ein internationales Endspiel erreichen, das ausgerechnet in Hamburg ausgetragen wurde. Der seit 2003 regierende Klubvorsitzende sah seine ehrgeizige Aufbauarbeit mit einem Titel gekrönt, die enttäuschend verlaufene Saison mit Trainer Bruno Labbadia wäre vergessen. Doch dann traf dieser verflixte Zoltán Gera zum 2:1, der HSV war ausgeschieden. Die Fans riefen: "Hoffmann raus!"


Wenige Monate später, nach der 2:4-Niederlage in der Bundesliga gegen Bayer Leverkusen am vergangenen Sonnabend, erschallten wieder diese "Hoffmann raus"-Rufe. Der HSV ist in der Tabelle auf Rang neun abgerutscht, dort stand er auch vor sieben Jahren, als der 47-Jährige den Klub übernahm. Später am Abend versammelten sich fast 200 wütende Anhänger vor der Geschäftsstelle und forderten erneut die Absetzung des Vereinschefs.

Dass sich hoch bezahlte Profis wie Ruud van Nistelrooy oder Zé Roberto lustlos präsentieren, interessiert die verletzte Volksseele nicht. Als Frustableiter taugen auch Trainer Armin Veh und Sportchef Bastian Reinhardt nicht. Zu kurz im Amt. "Jede Krise braucht ihr Gesicht", sagt Hoffmann und weiß, dass es wieder seines ist. Wer lange da ist, hat Verdienste, liefert aber Angriffspunkte.

Gestern sprach Hoffmann erstmals nach dem Wutausbruch der Fans. Er äußerte Verständnis: "Mit der zunehmenden Unzufriedenheit über die sportliche Situation brechen die Emotionen heraus. Ich sehe das aber nicht so dramatisch, sondern nehme es eher als Aufforderung, die Dinge besser zu machen." Die Aufbruchsstimmung, die er zu vermitteln sucht, klingt echt. So wirkt keiner, der sein Vertragsende im Dezember 2011 herbeisehnt. Wie bedrückend es jedoch gewesen sein muss, seinen Söhnen auf der Tribüne erklären zu müssen, warum ihr Papa bei vielen Fans so verhasst ist, erwähnt er nicht. Hoffmann ist keiner, der mit seinen Gefühlen hausieren geht. Wer aber weiß, dass am vergangenen Freitag die Haushälterin der Hoffmanns verstorben ist, kann erahnen, wie es um seine Gemütsverfassung bestellt war.

Von vielen Experten wurde dieser Kader als stärkster seit Jahren eingestuft

Zeit, diese Geschehnisse in Ruhe aufzuarbeiten, bleibt Hoffmann jedoch nicht. Am Montagnachmittag saß er mit seinen Vorstandskollegen und dem Aufsichtsrat des Vereins zusammen, um die richtigen Schlüsse für den Weg aus der Krise zu ziehen. "Es gab sicher die eine oder andere Fehlentwicklung, wir haben dem jetzigen Kader mit seinem Potenzial mehr zugetraut, 21 Punkte sind eindeutig zu wenig", räumt Hoffmann ein. Damit steht er allerdings nicht alleine. Wer sich die Einschätzungen vieler Experten vor Saisonbeginn anschaut, wird häufig lesen, dass dieser Kader als der stärkste des HSV seit Jahren eingestuft wurde.

Um die ganzen Probleme des HSV aufzulisten, bedürfe es einer Sonderbeilage des Abendblatts, spottet ein hochrangiger Funktionär. Die sportliche Bilanz dieses Jahres ist tatsächlich unterm Strich verheerend: Viele Spieler (Rost, van Nistelrooy, Zé Roberto, Jarolim) haben ihren Zenit überschritten. Die Kasse für den dringend notwendigen Umbau ist leer, einige Spieler gehören zu einem Drittel Investor Klaus-Michael Kühne, während Transferverbindlichkeiten in zweistelliger Millionenhöhe die Zukunft belasten. Hoffmann werden viele Transferflops angelastet. Spieler wie Marcus Berg oder David Rozehnal, für die der Klub 16 Millionen Euro ausgab, sind längst wieder verliehen. Dass Paolo Guerrero einen langfristigen Vertrag erhielt, obwohl Hoffmann im Sommer verkündete, besonders auf die Charakterstärke der Profis zu achten, ist ein weiterer Punkt auf der Anti-Hoffmann-Liste der Fans.

Sicher, die akute Wut der Fans könnten sich bei einem versöhnlichen Auftritt am kommenden Freitag beim Tabellenletzten Borussia Mönchengladbach etwas legen. Fußball ist schließlich Tagesgeschäft. Viel schwieriger ist jedoch Hoffmanns Kampf gegen das Image des kalten Technokraten, da sein Werdegang nicht der typischen Karriere eines Fußballfunktionärs entspricht. Er ist eben ein Diplomkaufmann und kein Diplomtrainer. Und dazu noch ein Leverkusener! Wer weder eine HSV-Vergangenheit noch 300 Bundesligaspiele auf dem Buckel hat, sondern ein Quereinsteiger ist, der einen steilen beruflichen Aufstieg in der Vermarktungsbranche hinter sich hat, kann doch keine sportliche Kompetenz haben, so die gängige Meinung. Bei Bayern München gelten Uli Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge als Hüter der fußballerischen Weisheiten, in Leverkusen braucht Rudi Völler nur leicht zu grummeln, damit die Gegenüber Haltung annehmen. Und beim HSV?

+++Die aktuelle Tabelle der Fußball-Bundesliga+++

Lange Zeit verkörperte Dietmar "Didi" Beiersdorfer die Seele des Klubs, doch seit dessen Rückzug ist die Balance gestört. Hoffmann bedient eher den Faktor Kommerz im Fußball, zuletzt beim Millionen-Deal mit Klaus-Michael Kühne im Sommer. Tief in der DNA des traditionsreichen Klubs steckt jedoch bei vielen Fans und Mitgliedern eine Abneigung gegen jede Art von Fremdbestimmung, Investorentum und Modeerscheinungen wie einem Dino als Maskottchen. Hier in Hamburg ist man stolz, noch immer als e.V., als eingetragener Verein, geführt zu werden. Geduldet wurde der unbändige Ehrgeiz Hoffmanns, als nie versiegende Geldbeschaffungsmaschine die Bedingungen für nationale und internationale Titel zu kreieren, solange der HSV oben mitspielte. Wer aber dann Spiele verliert, hat mit diesem Kurs nicht mehr viele Freunde im Verein.

Längst versucht Hoffmann, die Mitglieder des Klubs "mitzunehmen". Erst vergangenen Dienstag besuchte er ein Treffen mit der Basis im Fanhaus in der Stresemannstraße. "Der war ja richtig nett", lobte ein Beobachter nach dem konstruktiv-harmonischen Abend. Geschickt hat Hoffmann zudem längst überall im Verein Fürsprecher installiert, wie im Aufsichtsrat, was allerdings neue Probleme hervorgerufen hat. UKE-Chef Jörg Debatin zum Beispiel darf die Spiele stets mit Hoffmann in der Loge der Sponsoreninitiative "Hamburger Weg" verfolgen, während die anderen Kontrolleure in Block 4A sitzen. Diese Zweiklassengesellschaft innerhalb des höchsten Vereinsgremiums wird genauso kritisiert wie die Nähe vieler Räte zu Hoffmann.

Selbst der Reservist auf der Bank verdient mehr als der Klubchef

Gegen Hoffmann anzukommen ist allerdings auch schwer. Rhetorisch überaus geschickt, zuweilen aber auch aufbrausend, überfällt er regelrecht seine Gesprächspartner, wodurch seine durchaus humorvolle Ader überdeckt wird. Nicht nur Angestellte fürchten seine cholerischen Ausbrüche. Selbst wenn Hoffmann von der Bande aus einem Hockeyspiel seiner Jungen zuschaut, kann es für deren Trainer schon einmal ungemütlich laut werden. Diskussionen dieser Art mit seinen Spielern spart er sich. Bei Mannschaftssitzungen ist der Vorsitzende nie dabei. Die Spieler haben Hoffmann schon einen Spitznamen verpasst: das Phantom.

Bei den Profis verdient noch der Reservist auf der Bank deutlich mehr als Hoffmann, der inklusive Prämien im vergangenen Geschäftsjahr auf rund eine Million Euro Gehalt kam. Spitzenkräfte wie Ruud van Nistelrooy oder Zé Roberto rufen mehr als drei Millionen Euro auf. Insgesamt verschlingt der Kader die vor Hoffmanns Ära unvorstellbare Summe von 47 Millionen Euro. Und hier beginnt das Dilemma Hoffmanns. Anders als in der freien Wirtschaft, wo der Boss eines Unternehmens das höchste Einkommen hat und große Investitionen in der Regel einen bestimmten Ertrag garantieren, musste Hoffmann lernen, dass der Fußball mit eigenen, unkalkulierbaren Gesetzen funktioniert. Am Freitagabend, wenn er im Borussiapark von Mönchengladbach auf der Tribüne sitzen wird, muss er tatenlos zuschauen und hoffen, dass die (verwöhnten) Diven im HSV-Kader mal wieder einen Sieg landen und ihrem Boss etwas Ruhe verschaffen.

Diese unüberwindbare Abhängigkeit von fremden Leistungen ist es, die Hoffmann häufig leiden lässt. Daran gewöhnen will und wird er sich nie. Vielmehr fühlt er sich von seinen Kritikern unverstanden, die ganz offensichtlich nicht einsehen wollen, dass es keine Alternative zu seinem Weg des stetigen Wachstums gibt, auch wenn die aktuelle Lage anderes aussagt. Auf Dauer setzt sich im gnadenlosen Konkurrenzkampf in der Bundesliga und im Europapokal nur Qualität durch. Und die kostet eben. Wer diese hoffmannsche Sicht nicht teilen will, muss weiter davon träumen, dass der HSV bald wieder vor dem Einzug in ein Europacupfinale steht.