HSV-Torhüter Sven Neuhaus spricht über sein spätes Debüt in der Bundesliga, die Zukunft und seinen größten Karrierefehler.

Hamburg. Nach dem aus seiner Sicht durchaus spektakulären Wochenende begann der freie Tag für Sven Neuhaus relativ unspektakulär. Zunächst brachte der HSV-Keeper, der am Sonnabend in Nürnberg den verletzten Jaroslav Drobny (Beckenprellung) ersetzen musste, Tochter Lily, 3, in den Kindergarten. Der Rest des Montags gehörte dann dem neun Monate alten Sohnemann Mats, seiner Frau Jennifer - und bei seinem ersten Interview als Bundesligatorhüter dem Abendblatt. Abheben, das wurde während des Gesprächs schnell klar, wird der 34-Jährige nach seinem späten Debüt bestimmt nicht.

Hamburger Abendblatt: Herr Neuhaus, haben Sie mal am Wochenende in Ihr elektronisches Gästebuch auf Ihrer Homepage geschaut?

Sven Neuhaus: Nach dem Spiel in Nürnberg habe ich da mal kurz reingeschaut.

+++ Heute spielt Guerrero +++

Es gibt gleich eine ganze Reihe von Einträgen, die fast alle mit dem Wort "Glückwunsch" beginnen. Hand aufs Herz: Hätten Sie vor einem Jahr zu träumen gewagt, dass Sie mit 34 Jahren noch mal Ihr Bundesliga-Debüt feiern dürfen?

Neuhaus: Wenn man mit 33 oder 34 Jahren in der Regionalliga spielt, dann muss man schon sehr optimistisch sein, um von der Bundesliga zu träumen. Als ich im Sommer das Angebot des HSV bekam, Jaroslav Drobny und Tom Mickel als Nummer drei zu unterstützen, da wusste ich schon ganz genau, wo mein Platz ist. Ich bin realistisch genug, dass ich mit 34 Jahren nicht mehr bei der Nationalelf anklopfen muss.

Ist es nicht schwer, sich als dritter Torhüter zu motivieren, täglich zum Training zu gehen, wenn man selbst nicht so recht an eine Einsatzchance glaubt?

Neuhaus : Man muss sich einfach ehrlich eingestehen, was seine Aufgabe ist. Als junger Kerl habe ich auch in jedem Training um Anerkennung und Bestätigung gekämpft, wollte unbedingt meinen Platz zwischen den Pfosten verteidigen. Mit 34 Jahren ist das nun ein wenig anders. Meine Erfüllung liegt darin, dass wir als Mannschaft Erfolg haben. Ich freue mich, wenn die Jungs am Montag nach einem Sieg mit guter Laune in die Kabine kommen. Und ich weiß, dass auch ich daran einen Anteil habe, auch wenn es nur ein ganz kleiner ist.

Mussten Sie sich anerziehen, Ihre eigenen Interessen zurückzustellen?

Neuhaus : Ja, das war gar nicht so einfach. Wahrscheinlich war ich als Stammtorhüter in Augsburg auch sehr viel weniger genießbar als jetzt als Nummer drei beim HSV. Für den Erfolg, auch den persönlichen, muss man als Nummer eins auch schon mal jemanden auf die Füße treten, muss ehrgeizig sein. Es geht um viel Geld, um Einsatzprämien, um die Karriere. Jetzt kann ich etwas entspannter und lockerer sein. Wenn Drobo und Tom einen guten Job machen, dann hab auch ich im Trainingeinen guten Job gemacht.

Am Wochenende haben Sie erstmals auch im Spiel für den HSV einen guten Job gemacht. Was ging Ihnen durch den Kopf, als Fink Sie bat, sich warm zu machen?

Neuhaus: Eigentlich hat er mich gar nicht gebeten. Ich kenne Drobo ja sehr gut. Und als ich ihn auf dem Boden liegen sah, wusste ich, dass ich mich fertig machen muss. Ich habe mir die Schuhe geschnürt, und los ging's.

Hatten Sie Angst, sich zu blamieren?

Neuhaus: Als Torwart hat man ja immer ziemlich viel Zeit zum Nachdenken. Über einen Fehler von mir habe ich mir keine Gedanken gemacht, aber ich war mir bewusst, was für den HSV auf dem Spiel stand. Einen Vorteil hat man aber als 34-jähriger Torwart: Man ist routiniert.

Sie haben 154 Zweit-, 38 Regional- und nun auch ein Bundesligaspiel absolviert. Warum hat es mit der großen Fußballkarriere nie so recht geklappt?

Neuhaus: Manchmal hatte ich mit meiner Vertragssituation ein wenig Pech, manchmal habe ich ganz einfach die falsche Karriereentscheidung getroffen. Gerade der Wechsel nach Leipzig, wo ich aus familiären und vor allem finanziellen Gründen hingegangen bin, war mit Sicherheit ein großer Fehler.

Was lief in Leipzig schief?

Neuhaus: RasenBallsport Leipzig ist kein Fußballverein, sondern ein Wirtschaftsunternehmen. Als Fußballer merkt man, dass in Leipzig primär wirtschaftliche Interessen im Vordergrund stehen. Der Verein ist ein reines Marketinginstrument der Firma Red Bull.

Das weiß man doch aber, wenn man dort einen Vertrag unterschreibt.

Neuhaus: Was man aber nicht unbedingt weiß, ist, dass einem an jedem Wochenende der blanke Hass der Gegnerfans entgegengebracht wird. Die Rasenplätze sind dann eben nicht gemäht und die Bälle nur halb aufgepumpt. Da muss man schon durch ein Stahlbad gehen. Und wenn man das als Leipziger nicht annimmt, dann hat man eben keinen Erfolg. Aber kein Erfolg wird bei Red Bull nun mal nicht geduldet.

Nach der Vertragsauflösung in Leipzig waren Sie im vergangenen Sommer wochenlang vertragslos. Hatten Sie Zukunftsängste?

Neuhaus: Nein. Nachdem ich dummerweise in einer Nacht-und-Nebel-Aktion aus Augsburg nach Leipzig gewechselt war, wollte ich mir diesmal mit meiner Frau alles in Ruhe anhören und Zeit nehmen. Hinzu kam, dass wir am 2. Juli unser zweites Kind bekommen haben. Die Geburt konnte ich als vertragsloser Profi, der endlich mal die nötige Zeit hatte, ganz anders genießen.

Sportchef Frank Arnesen hat Ihnen eine Vertragsverlängerung um ein Jahr in Aussicht gestellt. Wissen Sie schon, was Sie nach dem Ende Ihrer aktiven Karrieremachen wollen?

Neuhaus: Sicher ist nur, dass unser Familienmittelpunkt irgendwann wieder in Hattingen bei Essen sein wird, weil wir in meiner Profizeit genug herumgereist sind. Ich kann mir vorstellen, im Fußballbereich zu bleiben, ich kann mir aber genauso vorstellen, was ganz anderes zu machen. Ich habe ja eine Ausbildung als Versicherungskaufmann abgeschlossen. Vielleicht werde ich aber auch Trainer, vielleicht auch Azubi von Teammanager Marinus Bester. Zehn Jahre lang habe ich mir immer Gedanken gemacht, was als Nächstes kommen muss, und am Ende kam es dann immer ganz anders. Ausschließen kann ich nur, dass ich zu Bayern München wechsle, weil die im vergangenen Sommer schon den Manuel Neuer verpflichtet haben.