Der HSV kämpft wieder um seine sportliche Existenz. Auch früher gab es Abstiegs-Endspiele - ein Abendblatt-Reporter erinnert sich.

Hamburg. Abstiegsgefahr. Welch ein hässliches Wort. Der HSV muss sich nicht zum ersten Mal in seinen nun fünf Bundesliga-Jahrzehnten damit auseinandersetzen. Und nach manchen dramatischen Abstürzen hing die Rettung einige Male am seidenen Faden. Als HSV-Reporter habe ich seit 1980 etliche sogenannte Abstiegs-Endspiele miterlebt und erinnere mich an Partien, die in die Vereinsgeschichte des letzten Dinos der Liga eingegangen sind. Der HSV kämpfte oft genug um seine Existenz - aber am Ende ist doch immer alles gut gegangen. Bis jetzt. An diesem Sonnabend folgt das nächste Kapitel in Sachen Abstiegsgefahr, der HSV darf in Kaiserslautern nicht verlieren, wenn die bedrohliche Situation nicht noch dramatischer werden soll. Es wird bis zum letzten Spieltag spannend bleiben und viele Nerven kosten.

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Eine Mischung aus Ohnmacht, Hoffnung, Verzweiflung, Trauer und Wut hatte sich an jenem 12. Mai 1990 im Volksparkstadion breitgemacht. Der HSV musste am letzten Spieltag das "Abstiegs-Endspiel" gegen Waldhof Mannheim gewinnen, um den Relegationsplatz zu vermeiden, aber es hieß in der Schlussphase der Partie vor 27 000 Zuschauern immer noch 0:0. Zwei Minuten vor dem Schlusspfiff erlöste dann der Pole Jan Furtok den HSV und seinen Anhang - 1:0.

Ich stand zu diesem Zeitpunkt im Innenraum hinter dem Waldhof-Tor, sah den Treffer aus nächster Nähe - und sah neben mir, wie sich zwei Männer wortlos in die Arme fielen. Der damalige HSV-Präsident Horst Becker und Schatzmeister Ernst-Otto Rieckhoff nahmen sich gegenseitig zur Brust und weinten hemmungslos. Minutenlang ließen sie sich nicht wieder los. Die Angst, dass der HSV erstmalig in seiner Bundesliga-Geschichte in die Liga zwei stürzen könnte, hatte nicht nur auf sie eine fast lähmende Wirkung gehabt, doch mit diesem Tor war mit einem Male die ganze Anspannung gewichen. Ein dramatischer Tag hatte quasi in letzter Minute doch noch ein glückliches Ende gefunden.

"Wenn du weißt, dass du unbedingt gewinnen musst, um in der Bundesliga zu bleiben, dann geht dir aber der Arsch auf Grundeis, mein lieber Mann", sagt HSV-Profi Carsten Kober rückblickend. Wildfremde Menschen lagen sich nach diesem Spiel jubelnd in den Armen. Hunderte Zuschauer stürmten den Rasen, umarmten und feierten mit ihren "Helden" so, als hätten sie soeben den Meistertitel gewonnen.

Zwei Jahre später aber wiederholte das Horror-Szenario für den HSV. Das letzte Heimspiel der Saison fand am 9. Mai 1992 statt, es ging gegen den Mitkonkurrenten Hansa Rostock - ein echtes "Abstiegs-Endspiel". Golz, Rohde, Beiersdorfer, Kober, Hartmann, von Heesen, Bode, Matysik, Eck, Nado, Stratos und Waas sollten es richten, für die Erlösung sorgte schließlich der eingewechselte Brasilianer Luiz Firminho Emerson, der das 1:0-Siegtor köpfte.

Kurios: Retter Emerson war von Fans und Experten zuvor nur milde belächelt worden. Der Junge war zwar von einem Klub mit äußerst klangvollem Namen zum HSV gekommen, Flamengo Rio de Janeiro, aber eben nur von den Amateuren. Drei Einsätze hatte er bis zu diesem Spiel, dreimal für Minuten eingewechselt - ohne bleibenden Eindruck zu hinterlassen. Die vierte Einwechslung aber brachte dann doch sein erstes und einziges Tor. Es war sein wichtigster, zugleich auch sein letzter Einsatz für den HSV. Dankbarkeit spielt im harten Profi-Sport nicht einmal eine Nebenrolle ...

Wie einst im Mai. Auch 1997 durfte in Hamburg wieder kräftig um den HSV gezittert werden. Nach dem 0:4-Heimdebakel gegen den 1. FC Köln stand der HSV am 32. Spieltag auf Rang 15 - Präsident Uwe Seeler entließ Trainer Felix Magath. Am 33. Spieltag folgte erneut ein Heimspiel - gegen Dortmund. Die Borussia sollte vier Tage später das Champions-League-Finale gegen Juventus Turin bestreiten. Welche Mannschaft denkt da noch an die Bundesliga? Dortmund jedenfalls nicht. So gewann der HSV dank zweier Treffer des Amateurs Dirk Weetendorf 2:1.

Das anschließende Spiel fand dann bei Absteiger Fortuna Düsseldorf statt. 1:1 hieß es nach langweiligen 90 Sommerfußball-Minuten, und als die Mannschaft in die HSV-Kurve ging, um sich zu bedanken, wurde sie mit Wasserbomben (Luftballons) beworfen; und hoch oben unter dem Tribünendach prangte ein Plakat: "Danke für nichts!"

Auch 1998 wurde es wieder einmal eng. Unter Trainer Frank Pagelsdorf stand der HSV noch am 22. Spieltag auf dem letzten Platz. Als Anthony Yeboah am 27. März in der 90. Minute das 2:1-Siegtor gegen Werder erzielt hatte, da war die Rettung fast schon geschafft. Ich stand damals neben Pagelsdorf, als der nach dem Schlusspfiff plötzlich die Schleusen öffnete und losweinte. Als "Tony" Yeboah seinen Coach in dieser Verfassung entdeckte - weinten plötzlich beide Männer. Eine tolle Szene: zwei Kerle wie Bäume, aber die Tränen flossen ohne Ende.

Zwei Tore von Hasan Salihamidzic brachten in den Spielen danach jeweils 1:0-Siege (gegen Duisburg und Dortmund), sodass der HSV letztlich sogar noch auf Platz neun landete.

Zwei Trainer-Storys runden meine vorläufige Abstiegsgeschichte des HSV ab. Die erste ereignete sich am 16. Oktober 2004. Vor dem Spiel traf ich im Treppenhaus der Arena Bielefelds Trainer Thomas von Heesen, den ehemaligen Hamburger. Während sich seine Mannschaft in der Kabine umzog, plauderten wir in aller Ruhe. Er sagte: "Ich bin überzeugt, dass wir hier gewinnen ..." Bielefeld? In Hamburg? Dann verriet von Heesen seine Trainer-Philosophie, wie er über den Fußball denkt, welche Anforderungen er an seine Spieler stellt. Und als die Arminia 2:0 gegen den Tabellenletzten HSV gewonnen hatte, war das Erstaunen groß. Alles war so gekommen, wie es von Heesen vorhergesagt hatte. Nach dieser Pleite musste Klaus Toppmöller gehen, Thomas Doll wurde neuer HSV-Coach, der HSV am Ende sicherer Achter.

Die zweite Trainer-Geschichte begann mit der Verpflichtung von Huub Stevens. Am Tag nach der 1:2-Niederlage des Tabellenschlusslichtes HSV bei Hertha BSC am 3. Februar 2007 wurde Stevens uns Medienvertretern vorgestellt. Wir streckten dem Niederländer die Hände entgegen, doch er lehnte ab: "Ich gebe Ihnen nicht die Hand. Dabei wird es bleiben." Der erste HSV-Trainer, der uns den Händedruck verweigerte. Stevens blieb beharrlich.

Bis auf eine Ausnahme. Als der HSV am 28. April durch ein Tor von Paolo Guerrero 2:1 bei Bayern München gewonnen und endgültig die Abstiegsangst gebannt hatte, ergriff ich Stevens' Hand und sagte: "Auch wenn Sie es nicht wollen, heute muss es sein: Herzlichen Glückwunsch dazu, dass Sie den HSV gerettet haben." Stevens war verwirrt, aber er zog seine Hand auch nicht zurück.

Wie schön wäre es doch, wenn wir am 5. Mai auch Thorsten Fink die Hand geben und ihm sagen könnten: "Herzlichen Glückwunsch, dass Sie den HSV gerettet haben."