Nach dem 1:3 gegen Freiburg will Sportchef Arnesen einen Abstieg in die Zweite Liga nicht mehr ausschließen. Im Klub geht die Angst um.

Hamburg. Am Ende eines langen und denkwürdigen Sonnabends wurde dann doch Tacheles geredet. Nachdem mit Ausnahme von Aushilfskapitän David Jarolim sämtliche HSV-Profis einen Kommentar zur 1:3-Heimpleite gegen den SC Freiburg unmittelbar nach dem Abpfiff verweigert hatten, zogen sich am späten Abend Trainer Thorsten Fink, Sportchef Frank Arnesen, die Vorstände Carl Jarchow und Joachim Hilke sowie Mediendirektor Jörn Wolf in Finks Trainerbüro in den Katakomben der Imtech-Arena zur internen Aussprache zurück. Bei ein paar Gläsern Bier analysierte die Elefantenrunde die siebte Heimniederlage der Saison und kam zu einer folgenschweren Einschätzung: die Lage sei nicht bedrohlich, sondern dramatisch. "Wir dürfen vor nichts weglaufen. Es wäre fahrlässig, nicht auch über die Zweite Liga nachzudenken", zog Arnesen am Morgen danach ein ernüchterndes Fazit.

Spätestens nach der nicht für möglich gehaltenen Niederlage gegen den bisherigen Tabellenvorletzten hat die Angst vor dem ersten Abstieg der Vereinsgeschichte den HSV fest im Griff. "Es ist das zweite Mal in der Saison, dass wir in so einer prekären Lage sind", sagte Arnesen, "der Unterschied zum ersten Mal ist, dass wir damals noch mehr als genug Zeit hatten, um zu reagieren."

+++ Arnesen muss Fink helfen +++

+++ 1:3 - HSV nach Desaster gegen Freiburg im Abstiegskampf +++

Tatenlos wollen die Verantwortlichen des HSV dem drohenden "worst case" allerdings nicht entgegenblicken. "Ab jetzt beginnt für uns eine neue Meisterschaftsrunde mit acht Endspielen", sagte Arnesen, "das erste Finale spielen wir am Freitag in Wolfsburg." Als Sofortmaßnahme wurde beschlossen, dass es vor dem heutigen Nachmittagstraining ein ausführliches Gespräch zwischen dem Sportchef, Fink und dem Mannschaftsrat (Heiko Westermann, Dennis Aogo, Mladen Petric und Jaroslav Drobny) geben wird. "Wir wollen von den Spielern wissen, wie wir ihnen zusätzlich helfen können", sagte Arnesen, der aber auch an die Verantwortung der Profis appellierte: "Nach unserem Gespräch muss sich die Mannschaft noch mal zusammensetzten. Ohne mich und ohne den Trainer." Zudem erinnerte der Däne daran, dass allen Profis jederzeit die Möglichkeit offenstehe, psychologischen Beistand vom Verein zu erbitten: "Wem so etwas hilft, der sollte das auch machen."

+++ Jarolim soll retten - und dann gehen +++

Und obwohl es Trainer Fink weiterhin ablehnt, den HSV als Abstiegskandidaten zu bezeichnen ("Wir sind vielleicht im Abstiegskampf, aber wir sind kein Abstiegskandidat"), haben hinter den Kulissen die zweigleisigen Planungen längst begonnen. Bislang wurden zwar nur die Lizenzunterlagen für die Bundesliga fristgerecht bis zum 15. März bei der DFL eingereicht, aber in Kürze sollen die Unterlagen für die Zweite Liga nachgereicht werden. Und obwohl alle Profiverträge für beide Ligen gleichermaßen gelten, müsste sich der HSV zwangsläufig von sämtlichen Großverdienern trennen. "Die aktuelle Lage macht Verhandlungen mit eventuellen Neuzugängen auch nicht gerade einfacher", sagte Arnesen, der die 0:4-Niederlage vor zwei Wochen gegen den VfB Stuttgart als Hauptgrund der Misere ausgemacht hat. "Das Spiel gegen Stuttgart hat uns einen mentalen Knacks verpasst."

Was Arnesen meinte, konnte die am Ende fassungslose HSV-Anhängerschaft am Vortag 90 Minuten lang begutachten. So reichte dem Abstiegskonkurrenten aus Freiburg nach dem starken Auftakt des HSV mit drei guten Torchancen (Petric/2., Petric/10. und Arslan/18.) lediglich ein Torschuss (Flum/20.), um das mühsam errichtete HSV-Gebäude wie ein Kartenhaus zusammenfallen zu lassen. "Jeder hat gesehen, dass der Mannschaft ein Grundvertrauen in die eigene Stärken fehlt", sagte Arnesen, der sich durch die Gegentreffer zum 0:2 (Caligiuri/43.) und 0:3 (Makiadi/72.) bestätigt fühlen durfte. Das 1:3 durch Ivo Ilicevic (75.) war lediglich Ergebniskosmetik. Jarolim, der für den gesperrten Westermann die Kapitänsbinde tragen und sich als einziger Hamburger äußern durfte, ließ sich zu einem vernichtenden Urteil hinreißen: "Uns hat das Herz gefehlt."

So war es auch nicht weiter verwunderlich, dass bei einigen der bislang so nachgiebigen Fans nach dem Schlusspfiff der Geduldsfaden riss. Lediglich das sofortige Einschreiten von Marketingvorstand Hilke, Supporters-Chef Ralf Bednarek, den Aufsichtsräten Marek Erhardt und Manfred Ertel, sowie der herbeigeeilte Westermann konnten am Eingangstor im Nordosten des Stadions verhindern, dass mehr als 200 wütende Anhänger die sprachlosen Spieler zur Rede stellten. Öffentlich kommentieren wollte Kapitän Westermann, der sich die Partie zuvor im Fanblock auf der Nordtribüne angesehen hatte, seinen deeskalierenden Einsatz allerdings nicht: "In dieser Lage gibt es nicht viel zu besprechen."

Statt öffentlicher Worte sind bis zum nächsten Spiel am kommenden Freitag in Wolfsburg vor allem also Taten gefordert. Als sicher gilt, dass Trainer Fink in der Abwehr wieder auf Westermann für Michael Mancienne und Dennis Aogo für Slobodan Rajkovic zurückgreifen wird, gute Einsatzchancen werden zudem Tomas Rincon für den völlig verunsicherten Robert Tesche eingeräumt. Mit Spannung wird Finks Entscheidung im Sturm erwartet, wo Platzhirsch Mladen Petric eine Ablösung droht. Hinter vorgehaltener Hand wird dem formschwachen Kroaten, der in der 59. Minute das Kunststück schaffte, den Ball aus drei Metern vorbei am leeren Tor zu schieben, vorgeworfen, seit der geplatzten Vertragsverlängerung gedanklich nicht mehr bei der Sache zu sein. Nur sprechen wollte Petric über die Vorwürfe genauso wenig wie über seinen lust- und leblosen Auftritt gegen den SC Freiburg.

Ein Kurztrainingslager, das haben Fink und Arnesen unmittelbar nach der Niederlage gegen Freiburg festgelegt, wird es vorerst aber nicht geben. "Die Situation ist prekär, aber nicht aussichtslos", sagte Fink, und forderte: "Es muss sich einiges ändern." Die Frage, was sich konkret ändern muss, konnte der 44-Jährige allerdings nicht beantworten. "Wir müssen die Chancen nutzen, und bei Chancen des Gegners enger am Mann sein." Ähnliches hatte er bereits nach dem 1:3 gegen Schalke und dem 0:4 gegen Stuttgart gefordert. Nur gehört hat ihn offenbar keiner.