Die HSV-Vorstände Carl Jarchow und Joachim Hilke sind ein Jahr im Amt. Geändert hat sich viel - fehlt “bloß“ noch der sportliche Erfolg.

Hamburg. "Ich hege keine langfristigen Ambitionen und werde nach der Beendigung der Tätigkeit auf meinen Dauerkartenplatz zurückkehren."

Die Ankündigung von Carl-Edgar Jarchow bei seinem ersten offiziellen Auftritt als kommissarischer Vorsitzender am 16. März 2011 - am 15. März wurde er berufen - ist längst Makulatur. Im Juli wurde sein Vertrag dem seines Vorstandskollegen Joachim Hilke angepasst und bis März 2013 verlängert. Doch dieses Datum wird nicht das Ende sein. "Ich kann mir vorstellen, dass wir langfristig in der personellen Konstellation auf der Führungsebene zusammenarbeiten", sagt Aufsichtsratsvorsitzender Otto Rieckhoff schon jetzt.

Wenn Rieckhoff heute an den vergangenen März zurückdenkt, spricht er von "Chaos". Das 0:6 in München glich einer sportlichen Hinrichtung, die das Aus für die hohen Ziele und den amtsmüden Trainer Armin Veh bedeuteten. Die Führungskrise im Verein hatte ihren Höhepunkt erreicht. Im Aufsichtsrat scheiterte eine Vertragsverlängerung mit Bernd Hoffmann und Katja Kraus mit 7:5 Stimmen, der designierte Sportchef Frank Arnesen war noch bei Chelsea gebunden, in der Mitgliedschaft wurden Stimmen gesammelt, um die Kontrolleure abzuwählen. Führungsspieler wie Frank Rost ("Sollen sie mich doch abfackeln") kritisierten offen die Bosse. Rieckhoff: "Überall brannte es lichterloh."

+++ Das machen die "Ex" heute +++

Was Jarchow vorfand, beschreibt er so: "Wir stellten fest, dass die Hierarchie in der Mannschaft überhaupt nicht stimmte, es gab kein Mannschaftsgefüge." Was auch übertragen auf den ganzen Verein galt. "Über viele Jahre hatte sich eine Entfremdung zwischen Teilen des Vorstands und der Mitgliedschaft aufgebaut." Schnell war für Jarchow und Hilke klar, dass auch finanziell große Einschnitte nötig sein würden. Topverdiener wie Ruud van Nistelrooy oder Zé Roberto mussten von der Gehaltsliste, um die Personalkosten von 48 auf unter 40 Millionen Euro zu senken.

+++ Zurück im Abstiegskampf: Finks erster Schwächeanfall +++

Ein Jahr danach. Vor Marketingexperten hält Jarchows Kollege Hilke im Hotel Adina einen Vortrag. Trotzig sagt er, dass er seinen Traum, einmal auf dem Balkon des Rathauses zu stehen, nicht aufgibt und nennt die über allem stehende goldene Regel für seine Arbeit: "Fußballspiele zu gewinnen." Doch das gelang äußerst selten. 33 Bundesligaspiele hat der HSV in den vergangenen zwölf "Jarchow-Monaten" bestritten, die Bilanz liest sich mit 35 Punkten mager. Es ist die Ausbeute eines Abstiegskandidaten. "Das ist viel zu wenig", stimmt der HSV-Vorsitzende zu. Gegen Ende der abgelaufenen Saison sei die Motivation der Mannschaft deutlich gesunken. "Und dass die laufende Saison des Übergangs die schwierigste werden würde, war uns bewusst, auch wenn uns der Start negativ überraschte. Aber die jungen Spieler müssen Erfahrungen sammeln, damit wir den nächsten Schritt machen können." Sollte jedoch am Sonnabend die Partie gegen Freiburg verloren gehen, droht bei der im sportlichen Sinne wilden Fahrt des HSV Schleudergefahr, die von der Finanzsituation eher noch beschleunigt wird. Nach 2010/11 (4,9 Millionen Euro Verlust) wird auch das laufende Geschäftsjahr mit einem Millionen-Minus abgeschlossen.

Schuld daran sind nicht nur (Transfer-)Altlasten, sondern auch die durch den Misserfolg gesunkenen TV-Einnahmen. "Das können wir ertragen, aber es darf nicht so weitergehen, das wird die letzte Saison mit einem Minus", kündigt Jarchow an. Auf 37 Millionen Euro soll der Profi-Etat sinken. Der Spielerbereich ist jedoch nur einer von vielen Posten, die beim HSV einer strengen Kostenkontrolle unterworfen wurden. Die komplette Geschäftsstelle wurde neu geordnet und verschlankt - zehn Angestellte verließen den Klub.

Nachhaltigkeit ist ein Modewort, das beim HSV jedoch überall gelebt wird. Um endlich in einigen Jahren einen Teil der Mannschaft aus der Nachwuchs-Abteilung rekrutieren zu können, gab es in Norderstedt umfangreiche Strukturveränderungen. Einen kompletten Systemwechsel gibt es ab dem 1. Juli im medizinischen Bereich, wenn das UKE offiziell die komplette Betreuung der Profis für einen Festbetrag (rund 400 000 Euro) übernimmt. Bisher kostete den Verein dieser Posten über eine Million Euro pro Jahr. Auch was die Weiterentwicklung des Volksparks betrifft, sind die Planungen weit vorangeschritten. Das interne Ziel unter dem Motto "Vision Volkspark" lautet, den kompletten Leistungsbereich des HSV zu bündeln.

Spürbare Veränderungen sind auch im Bereich Öffentlichkeitsarbeit, Marketing und Imagebildung zu beobachten. Mit dem zur neuen Saison eingeführten HSV-TV setzt der Klub zunehmend auf das Verbreiten eigener Inhalte. Dass der HSV im Sommer nach Südkorea fliegt, ist das Ergebnis der Bemühungen, die Auslandskontakte zu verbessern. Aber auch ein intensiverer Austausch mit der Deutschen Fußball Liga wird angestrebt. Glänzte der HSV früher beim Verband durch Abwesenheit, ist er jetzt in Ausschüssen (Finanzen, Marketing) vertreten.

Für Ruhe wollte Jarchow sorgen. Viele arbeitshemmende Themen sind tatsächlich in der Versenkung verschwunden. Während Hoffmann zuletzt als Reizfigur den Verein spaltete, zeigt sich an Jarchows teamorientiertem Führungsstil deutlich dessen Unabhängigkeit, was auch Rieckhoff festgestellt hat: "Die Entscheidungen sind nicht von persönlichen Interessen geprägt, sondern werden ausschließlich im Sinne des HSV getroffen." Jarchow betätigt sich eher als leiser Lenker des schwer zu steuernden HSV-Gebildes. Man stelle sich vor, Hoffmann hätte hinter der Nordtribüne verschärfte Einlasskontrollen eingeführt, um den Pyrotechnikern den Spaß zu verderben. Jarchow tut es einfach - und kaum jemand sagt etwas.

Wer in die Geschäftsstelle des HSV hineinhorcht, hört Begriffe wie "Berechenbarkeit" und "Zuverlässigkeit". Jarchows Marschroute einer strikten Aufgabenteilung von Vorstand (operatives Geschäft) und Aufsichtsrat (Kontrolle) führte zudem dazu, dass das Kontrollgremium kaum noch öffentlich wahrgenommen wird. Es scheint, als habe Jarchow den HSV wieder zu einem Fußballklub gemacht. Es wird nicht mehr über Beraterverträge diskutiert, sondern ob Petric noch einen neuen Vertrag erhalten soll oder nicht. Der neue Hoffmann ist eher Hilke. Er ist es, der intern als Manager auftritt, nach neuen Geschäftsfeldern und Erwerbsmöglichkeiten forscht.

Was hat sich Jarchow für sein zweites HSV-Jahr vorgenommen? "Wir wollen den HSV im Jubiläumsjahr (125 Jahre HSV, d. Red.) gut präsentieren und den Verein weiterentwickeln, auch was den Zusammenhalt und den Umgang miteinander in den Abteilungen, Gremien und Organen betrifft." Jarchow scheint auf einem guten Weg, den Verein zu einen. Fehlt "bloß" noch der sportliche Erfolg, möchte man sagen. Aber sein Traum, kommende Saison um Platz eins bis sechs zu spielen, wird ohne millionenschwere Investoren-Investitionen kaum Realität werden.