Vor allem die Defensive präsentierte sich in der zweiten Hälfte gegen stark aufspielende Leverkusener als Torso. Der HSV muss um Europa zittern.

Leverkusen. Wenn sich geschiedene Ehepaare einige Monate nach der Trennung mit ihren jeweils neuen Partner wiedersehen, kribbelt es immer. Kann es der Nachfolger mit mir aufnehmen - oder sticht er mich etwa sogar aus? Umgekehrt will man zeigen, dass man jetzt die schönere Braut besitzt.

So ähnlich dürfte sich Bruno Labbadia gefühlt haben, als er am Sonntagnachmittag die BayArena, seine frühere Wirkungsstätte, betrat. Aber dieses anfängliche Knistern wich beim HSV-Trainer am Ende tiefer Enttäuschung. Ausgerechnet beim Werkklub müssen die Hamburger nach der bitteren 2:4-Niederlage ihre letzten Champions-League-Träume bei nun zehn Punkten Rückstand auf Platz drei begraben.

Nachdem die Bayer-Fans kurz vor dem Anpfiff ihren früheren Trainer erwartungsgemäß mit der üblichen Fäkalsprache ("Sch...-Labbadia") begrüßt hatten, entwickelte sich ein - anders als noch beim 0:0 in der Hinrunde - unterhaltsames Bundesligaspiel mit vielen Torszenen, wobei der HSV zunächst die besseren Akzente setzen konnte. Aber auch die Leverkusener deckten früh die Schwachzonen der Hamburger auf. Vor allem Barnetta konnte die rechte HSV-Seite, wo Guy Demel für den gelbgesperrten Tomas Rincon in die Startelf gerutscht war, mehrfach offen legen.

Dass Labbadias Elf gegen den offensivstarken Gegner nicht alle Chancen unterbinden können würde, war klar, doch wie das 0:1 zustande kam, war besonders ärgerlich und vermeidbar. Bei Barnettas Pass in die bis zur Mittellinie aufgerückte HSV-Abwehr träumten David Rozehnal und Joris Mathijsen selig, wodurch Stefan Kießling frei auf Frank Rost zulaufen konnte. Nur ein Beispiel für zu viele Fehler im HSV-System an diesem Tag.

Immerhin, die Heynckes-Mannschaft revanchierte sich und zeigte sich nur elf Minuten später ebenfalls spendabel, als sich René Adler und Sami Hyypiä behinderten und Zé Roberto zum 1:1 einschießen konnte. Der erneut Lapsus von Adler feuerte die Diskussion um die neue Nummer eins im DFB-Tor weiter an, wurde aber durch den rot-schwarzen Wirbelsturm in der zweiten Halbzeit abgemildert.

Das 2:4 aus Sicht des HSV klingt harmloser, als es war. Erschreckend, wie die extrem motivierten Leverkusener - natürlich wollten sie es ihrem am Ende unbeliebten Trainer beweisen - die HSV-Profis an die Wand spielten und den willenlos vorgeführten Gästen keinen Raum zum Atmen ließen. Während Bayer als wild entschlossene Mannschaft auftrat, die unbedingt noch um die Deutsche Meisterschaft spielen will, wirkte der HSV uninspiriert und ließ alle noch in der ersten Hälfte gezeigten Qualitäten vermissen. So eine Leistung darf einer Klassemannschaft, die der HSV sein will, einfach nicht passieren.

"Wir hatten die ideale Mischung, die es braucht, um den HSV zu schlagen", brauchte es Leverkusens Rudi Völler später auf den Punkt. "Fußballerische Qualität, gemischt mit dem nötigen Biss und dem Gift, um in die Zweikämpfe reinzukommen."

Beim HSV reihten sich hingegen individuelle Fehler an den nächsten: Wie beim Kopfballtor durch Derdiyok (Mathijsen!) zum 1:2 oder dem 3:1 durch Kießling (Aogo!). Aber auch als Mannschaft funktionierte der HSV nicht mehr. Wie ein brüchiger Organismus, der nur an einer Stelle angepiekst werden musste, um zu Staub zu zerfallen, wirkte der Hamburger Verbund. So war das Team auch beim 2:4 durch Castro völlig unsortiert.

Labbadia musste anerkennen, dass der ehemalige Partner zu Recht mit anderen Zielen flirten darf, während er mit dem HSV vorerst im Ehealltag angekommen ist. Die letzte Chance ist nun die Europa League. Aber wer sich defensiv so schwach präsentiert wie in Leverkusen, darf nicht von irgendwelchen Finalteilnahmen träumen.