Im ersten EM-Halbfinale treffen die Stars der spanischen Spitzenklubs aufeinander. Vor allem gegen den Nachbarn zeigt sich Portugal oft sensibel.

Donezk. Endlich, mögen einige sagen. Endlich hat diese EM ihre erste große Verschwörungstheorie. Sie geht so: Der Vorsitzende des Schiedsrichterkomitees der Uefa, Angel Maria Villar, ist Spanier. Sein Vize, Senes Erzik, ist Türke. Erzik ist gleichzeitig Marketingdirektor der Unicef. Die Unicef wirbt auf den Trikots des FC Barcelona. Und wer pfeift heute das Halbfinale Spanien gegen Portugal? Richtig, Cuneyt Cakir: ein Türke.

"Portugal ist indigniert", schrie das größte Sportblatt "A Bola" am Dienstag von seiner Titelseite herunter, "die Alarmglocken schrillen." In den Medien wird dazu an einen Kommentar von Michel Platini erinnert. Der Präsident des europäischen Fußballverbandes Uefa sagte vor einigen Tagen in Warschau, er würde ein Finale zwischen Spanien und Deutschland begrüßen.

Wenn es um Franzosen wie Platini geht, sind die Portugiesen sensibel. Bis heute fühlen sie sich wegen des EM-Halbfinales 2000 betrogen, als Zinedine Zidane einen umstrittenen Elfmeter zum Endspieleinzug nutzte. Paulo Bento, der jetzige Nationaltrainer, wurde danach für ein halbes Jahr gesperrt, weil er im Zorn auf den österreichischen Schiedsrichter Günter Benkö losgegangen war.

Besonders sensibel sind die Portugiesen aber auch, wenn es um Spanien geht. Beim bislang letzten Aufeinandertreffen im WM-Achtelfinale 2010 verloren sie durch ein Abseitstor von David Villa. Zusätzlich wird ihnen andauernd von höchster Stelle eingebimst, dass es in Sachen spanischer Fußball nie mit rechten Dingen zugeht. Okay, nicht von ganz höchster Stelle. Aber von der, die in Portugal nach eigener Auskunft "direkt nach dem lieben Gott" kommt: José Mourinho. Der Trainer von Real Madrid inszeniert sich seit Jahren als Don Quichote im Kampf gegen die dunklen Weltmächte des Fußballs, die seiner Auffassung nach den FC Barcelona unterstützen. 2011 wetterte er nach dem Platzverweis für seinen Spieler Pepe im Champions-League-Halbfinale: "Ich weiß nicht, ob es Villar ist, die Uefa oder die Unicef." Er habe nur eine Frage: "Warum?"

Auch manche Anhänger von Real Madrid glauben an diese Theorien. Für sie wird es heute in Donezk (20.45 Uhr, ZDF und im Liveticker auf abendblatt.de ) etwas kompliziert. Denn es spielt nicht nur Spanien gegen Portugal. Im Subtext spielt auch Barcelona gegen Madrid. Und Spanien ist dabei Barcelona. Zwar ist das nominelle Übergewicht der Katalanen in der Auswahl nach den Verletzungen von Carles Puyol und David Villa nicht mehr so groß wie etwa bei der WM 2010, als bis zu sieben Barcelona-Akteure in der Startelf standen. In Polen und der Ukraine gab es in manchen Startaufstellungen sogar einen Gleichstand mit jeweils vier Spielern. Allerdings stellt Madrid dabei nicht zufällig das Rückgrat der Defensive (Torhüter Casillas, die Verteidiger Ramos und Arbeloa, Abräumer Alonso), derweil Barcelona die zentralen Offensiven Xavi und Iniesta beisteuert. Sie sind unverhandelbar, sie bestimmen die Identität dieser Mannschaft: Ballbesitz, lange Pass-Sequenzen. Spanien spielt in seiner Grundausrichtung wie Barcelona.

"Die Spielweise hier ist anders als in Madrid", sagt daher ein Real-Profi wie Xabi Alonso . Seine Klubmannschaft setzt auf einen körperlichen, direkten Konterfußball. Während der Barcelona-Stil das Mittelfeld betont, will es der Mourinho-Stil so schnell wie möglich überbrücken. Es ist ein Ansatz, der auf die Qualitäten von Real-Heros Cristiano Ronaldo zugeschnitten ist. Derselbe Ansatz, den Portugal bei dieser EM zeigt.

Die bisherigen Turnierstatistiken illustrieren die gegensätzlichen Philosophien. Spanien hat die höchste Ballbesitzquote (61 Prozent) sowie die drei häufigsten Passgeber (Xavi, Alonso, Busquets). Portugal hat von allen Halbfinalisten den geringsten Ballbesitz (46 Prozent), stellt aber in Ronaldo den Spieler, der mit Abstand die meisten Torschüsse vorzuweisen hat (30).

Neben ihm stehen in Paulo Bentos Elf in Abwehrchef Pepe und Linksverteidiger Fabio Coentrao zwei weitere Real-Profis; insgesamt zehn der elf Stammspieler werden vom Mourinho-Agenten Jorge Mendes betreut, der den portugiesischen Verband und große Teile des portugiesischen Fußballs fest im Griff hat. Für seine Topklienten Mourinho und Ronaldo ist er eine der wichtigsten Bezugsfiguren. "Bruder meines Bruders" hat der Trainer seinen Spieler daher schon mal genannt.

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Gehört zur offiziellen Sprachregelung bei Mourinho wie bei Portugal, dass es sich bei Ronaldo um den besten Spieler der Welt handelt, fällt auf, wie sich die spanischen Madrid-Profis bei der Nationalelf von dieser Linie sanft distanzieren. "Zusammen mit Messi der beste Fußballspieler der Welt," sagte Kapitän Iker Casillas dieser Tage. Dass die spanischen Real-Profis den Sonderstatus Ronaldos in Madrid, wo er als einziger Spieler von Defensivaufgaben freigestellt ist, nur wenig goutieren, gilt als offenes Geheimnis. Insbesondere sein heutiger Gegner, Rechtsverteidiger Arbeloa, soll mit "CR7" wegen dessen Allüren auch schon direkt aneinandergeraten sein. "Du kannst ihn nicht 90 Minuten lang stoppen", bekannte Arbeloa nun vor dem Duell mit Ronaldo, "aber es wird eine wundervolle Herausforderung für mich." Um den Superstar der Portugiesen auszuschalten, müsse man "mental und physisch vorbereitet sein" und "das Beste zeigen".

Auf portugiesischer Seite ist von dem Keil, den Mourinhos Anti-Barcelona-Haltung vorübergehend zwischen die spanischen Nationalspieler getrieben hat, bei diesem Turnier nichts mehr zu spüren. Ganz im Gegenteil: Ronaldo oder Pepe werden sie mit auf den Platz bringen. Wird die traditionelle Rivalität und der Umstand dazugenommen, dass Portugal den Spaniern bei einem Freundschaftsspiel im November 2010 mit 4:0 die höchste Niederlage seit 1963 zufügte, erwartet den Zuschauer ein interessantes Halbfinale.

Letzteres erwartet auch Spaniens Trainer Vicente del Bosque, der seine Mannschaft vor dem EM-Halbfinale gegen Portugal noch einmal besonders motiviert hat. "Das ist das wichtigste Spiel unseres Lebens", sagte der 61-Jährige vor dem Prestigeduell. "Wir wollen unseren Titel verteidigen. Und Portugal könnte bei dieser EM den größten Erfolg seiner Fußball-Geschichte erreichen. Wir stehen beide unter Druck."