Löw stupst einem Balljungen den Ball aus dem Arm. Millionen an den TV-Geräten meinen: Diese Aktion ereignete sich live - falsch gedacht!

Charkow/Berlin. Kaugummi kauend schlendert Joachim Löw von hinten auf einen Balljungen zu. In bester Lausbubenmanier stupst der Bundestrainer dem Burschen in Charkow den Ball aus dem Arm. Diese harmlose Aktion sorgt nun für Ärger – aber nicht für Löw, sondern für die Europäische Fußball-Union. Die UEFA schnitt die Szene in der 22. Minute in die Live-Übertragung der EM-Partie gegen die Niederlande (2:1), obwohl sie sich bereits vor dem Match abgespielt hatte.

Die UEFA hat eine Produktionsfirma mit der Erstellung des Fernseh-Weltbildes beauftragt und sieht sich nun mit Vorwürfen der Manipulation und Zensur konfrontiert. Motive wie Flitzer im Stadion oder provokative Plakate passen nicht ins Bild des Verbandes. Die EM in Polen und der Ukraine soll eine stimmungsvolle Party sein.

Der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) forderte ZDF und UEFA auf, „die Manipulation der Fernsehbilder“ umgehend aufzuklären. „Die Öffentlichkeit hat über die Gebührenzahler hinaus Anspruch auf eine authentische Berichterstattung und Aufklärung darüber, ob es tatsächlich manipulierte Bilder gegeben hat“, sagte der DJV-Bundesvorsitzende Michael Konken.

Die UEFA bestätigte den Vorgang und verwies auf die alleinige Verantwortlichkeit des für das Spiel zuständigen Regisseurs des Weltbildes. „Es ist nicht unüblich, dass solche Szenen auch mal in die Live-Übertragung eingespielt werden“, sagte ein Sprecher der Europäischen Fußball-Union. Die UEFA könne diese Vorgänge aber aktuell nicht kontrollieren und steuern.

Die UEFA bestritt, unliebsame Motive bewusst auszublenden. Feuerwerkskörper oder Fahnen seien stets auch auf den TV-Bildern zu sehen gewesen, betonte der Verbandssprecher.

Das übertragende ZDF wies den Vorwurf der Bilder-Manipulation zurück. „Der Regisseur des Weltbildes hat die Szene in die Live-Übertragung eingespielt. Die Verantwortung liegt ausschließlich bei ihm“, erklärte ZDF-Sportchef Dieter Gruschwitz. „Wir haben keinerlei Einfluss auf das Weltbild.“ Alle seien von der Einblendung überrascht worden und hätten nichts davon gewusst. Das gelte auch für Reporter Bela Rethy und für Moderator Michael Steinbrecher.

ZDF-Chefredakteur Peter Frey zufolge hat der Sender bereits interveniert. „Auf die Gestaltung des Weltbildes bei der EM haben wir keinen Einfluss. Wir haben bei der UEFA moniert, dass tatsächlich der Anschein erweckt wurde, es handele sich um Live-Bilder“, sagte er. „Das entspricht nicht unseren journalistischen Standards. Wir erwarten von der UEFA, dass sie uns künftig darauf hinweist, ob sie während einer Live-Übertragung aufgezeichnetes Material verwendet.“

ARD-Teamchef Jörg Schönenborn nahm den Verband in Schutz. „Die Kritik an der UEFA insgesamt ist überzogen, wir arbeiten mit ihr sehr gut zusammen. Natürlich wäre für uns jede Form von Zensur oder Manipulation nicht tragbar“, erklärte er. Die ARD habe der UEFA „sehr deutlich gemacht, dass das deutsche Publikum erwartet, dass live drin ist, wenn live drauf steht. Live ist live und muss live bleiben.“

In Deutschland sahen mehr als 27 Millionen Zuschauer an den Bildschirmen, wie der Bundestrainer am Mittwochabend beim Stand von 0:0 auf den Balljungen zuschlenderte. „War das nicht vor dem Spiel?“, fragte Löw später etwas irritiert in die ZDF-Kamera.

Die UEFA hatte bei einer weiteren Szene eine schlechte Figur abgegeben. So bekamen TV-Zuschauer von zwei Protestplakaten gegen Menschenrechtsverletzungen im Gastgeberland Ukraine nichts mit. Das Banner von zwei Grünen-Abgeordneten brachte erst ZDF-Kommentator Rethy zur Sprache. (dpa)