Jeder will spielen beim EM-Auftakt gegen Portugal, aber nur elf Mann können beginnen. Die Startelf-Plätze im deutschen Nationalteam sind immer noch hartumkämpft. Kanzlerin Merkel wollte mit einem Überraschungsbesuch nochmals eine zusätzliche Motivation setzen.

Danzig. Das bange Warten auf die Startelf-Verkündung von Joachim Löw zehrt an den Nerven der deutschen EM-Spieler. Auf dem Trainingsplatz schont keiner den anderen – der angekündigte Besuch von Kanzlerin Angela Merkel im Europameisterschafts-Quartier galt für Kapitän Philipp Lahm, der am Mittwoch eine Trainingspause einlegte, und dessen 22 Kollegen nur als kurze Auszeit.

„Sicher ist es eine große Ehre für die Mannschaft und ein gutes Omen“, kommentierte Innenverteidiger Per Mertesacker die für Mittwochabend angekündigte Stippvisite der fußballbegeisterten Bundeskanzlerin in Danzig. Auch bei den EM-Spielen wird die Regierungschefin dem Team wieder fest die Daumen drücken.

Auch Bastian Schweinsteiger meldete sich nach auskurierter Wadenverletzung spielbereit für den EM-Auftakt. „Ich bin heiß auf das erste Spiel gegen Portugal, auf das Turnier“, erklärte der Vizekapitän. Schweinsteiger hat aber noch kleine Zweifel an seiner Fitness nach den Verletzungsproblemen des vergangenen halben Jahres. „Ich bin immer noch in Behandlung, kann aber ohne Probleme trainieren“, erklärte der Mittelfeldspieler, der in den EM-Tests der deutschen Mannschaft gegen die Schweiz und Israel gefehlt hatte.

„Natürlich wäre es Zeit, dass man einen Titel holt. Aber man holt den Titel nicht einfach so, man muss etwas dafür tun“, betonte Schweinsteiger. Der Münchner sieht sich noch nicht bei 100 Prozent seiner Leistungsfähigkeit, fühlt sich aber für den EM-Auftakt bereit: „Ich hoffe, dass ich schnell auf hundert Prozent komme.“ Per Mertesacker erwartet bei Löws Personalauswahl harte Entscheidungen für einzelne Spieler: „Ich bin gespannt, wie die Mannschaft es auffängt und einzelne Spieler damit umgehen werden.“

Dortmunds Double-Sieger Mats Hummels in der Abwehr, Bayern-Jungstar Toni Kroos im Mittelfeld und Münchens Toptorjäger Mario Gomez im Angriff könnten die ersten Härtefälle in Löws Personalpuzzle werden. Auf dem Trainingsrasen unweit des deutschen Teamhotels Dwór Oliwski wird „intensiv“ gekämpft, bestätigte Teammanager Oliver Bierhoff: „Man spürt, es geht um die Plätze.“

Aussetzen musste am Mittwoch Bayern-Abwehrspieler Lahm, der stattdessen eine Regenerationseinheit im Teamhotel einlegte. Auch Sami Khedira konnte nur eingeschränkt trainieren. Der Mittelfeldspieler von Real Madrid hat muskuläre Probleme in der rechten Wade. Khedira beschränkte sich auf Lauftraining. „Keiner kann sich sicher sein, dass er einen Stammplatz hat“, sagte Torhüter Manuel Neuer, der persönlich als unumstrittene Nummer 1 in sein zweites großes Turnier geht.

Neuer hob nochmals die Bedeutung des ersten Spiels für den Turnierverlauf heraus. „Mit einem positiven Ergebnis ist es auch so, dass ein bisschen der Druck abfällt“, sagte der Schlussmann des FC Bayern. Das erste Spiel ist der Wegweiser, darin sind sich Manager, Bundestrainer und Spieler einig. 1984 (0:0 gegen Portugal), 2000 (1:1 gegen Rumänien) und 2004 (1:1 gegen Holland) blieb nicht nur der erhoffte Auftaktsieg aus. Das DFB-Team schlitterte jeweils in die Krise und musste sich jeweils nach der EM-Vorrunde verabschieden. Danach wurde auch immer ein neuer Bundestrainer eingestellt.

Nun wird erneut Portugal mit entscheiden, ob die Löw-Gruppe in die Turnierspur findet. Bierhoff ist „guter Dinge“. Nach intensiven Übungseinheiten werde das Tempo im Training langsam runtergefahren. Mehr Schwerpunkte setzt Löw nun auch außerhalb des Platzes mit Videositzungen, Einzelgesprächen und taktischen Teameinweisungen.

Ein ursprünglich erwogenes Testspiel gegen eine Amateur- oder Jugendmannschaft wurde gestrichen. Löw will „kein Verletzungsrisiko“ mehr eingehen. Auch jede Ablenkung ist – mit Ausnahme des Besuchs von Maskottchen Merkel – unerwünscht. So wollte Bierhoff auch eine leise Kritik von DFB-Präsidiumskollegen, die Jérome Boateng und Bastian Schweinsteiger eine nicht optimale Turniervorbereitung vorwarfen, nicht näher bewerten: „Mich beschäftigt das ehrlich nicht.“

Löw sieht sein Team in den zwei Jahren seit der WM in Südafrika derart gewachsen, „dass wir auch mit dieser eingeschränkten Vorbereitung bestens in das Turnier starten werden“. Vor zwei Jahren hatte Löw im Schnelldurchlauf eine Reihe von Auswahl-Frischlingen zu WM-Stammkräften befördert. Manuel Neuer (damals 5 Länderspiele), Jérome Boateng (5), Khedira (5), Toni Kroos (4), Thomas Müller (2) und auch Mesut Özil (10) waren nach nur wenigen Einsätzen in Südafrika zu bestaunten Stützen aufgestiegen.

Jetzt sind diese Profis bei den Topclubs Real Madrid und Bayern München gereift, haben in der souveränen EM-Qualifikation Maßstäbe gesetzt. Darum sollen nun auch die Früchte geerntet werden. „Wir sind WM-Dritter, EM-Zweiter. Das sind große Erfolge, aber jetzt wollen wir mehr“, erklärte Lahm: „Wir wissen jedoch auch, dass das kein Selbstläufer wird. Es gibt keine Garantien, dass man irgendwann den Titel gewinnt, nur weil man glaubt, dass man an der Reihe wäre.“ (dpa/dapd)

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