Nach dem Verkauf der traditionsreichen Adolf-Jäger-Kampfbahn hat sich die geplante Zusammenarbeit mit Union 03 zerschlagen.

Hamburg. Das ist wirklich romantisch. Der Frühling kündigt sich an, aber an den Abenden ist es ja immer noch Winter, und die Spieler von Altona 93 stoßen weiße Wolken vor sich her. Sie laufen im Kreis, am Ende eines Spielfeldes, das in Fluchtlicht getaucht ist. Manchmal taucht einer von ihnen ins Licht, dann ist er wieder in der Nacht verschwunden. Man kann das deshalb so gut sehen, weil der vordere Teil des Spielfelds komplett im Dunkeln liegt.

„Ja, die Anlage funktioniert nicht mehr richtig, wir bekommen sie einfach nicht zum Laufen“, sagt André Jütting, einer der Co-Trainer der Oberligamannschaft von Altona 93. Vorbei mit der Romantik.

So ergeht es einem oft, wenn man sich mit dem Hamburger Stadtteilverein Altona 93 beschäftigt. Es ist eine altbekannte Fußballgeschichte, die sich seit Jahren an der Griegstraße in Ottensen abspielt, sie handelt vom Zwiespalt zwischen Romantik und Realität. Denn eigentlich könnte alles so einfach sein: Ein Verein, der jetzt noch in der Oberliga spielt, möchte in die Regionalliga aufsteigen. Dafür bräuchte er aber ein regionalligataugliches Stadion. Die traditionsreiche Adolf-Jäger-Kampfbahn, auf der Altona 93 derzeit seine Heimspiele austrägt, ist dafür allerdings zu alt, mindestens eine Million Euro würde es kosten, sie zu modernisieren. Deshalb hat der Verein 2007 das Gelände an zwei Immobilieninvestoren verkauft. Der Kaufvertrag wird jedoch erst dann endgültig vollzogen, wenn Altona 93 ein Gelände für das neue Stadion gefunden hat. Derzeit liegen die Umzugspläne auf Eis. Eine angedachte Kooperation mit dem Nachbarclub Union 03 hat sich zerschlagen.

Es gibt Vereine, die sich eine Tradition erkaufen, wie die TSG Hoffenheim, die dank der Millionen von SAP-Mitbegründer Dietmar Hopp in die Bundesliga aufstieg und das Gründungsjahr 1899 fest im Vereinsnamen verankerte. Mit Tradition lässt sich im Fußball eine Menge Geld verdienen, denn erst sie macht aus der Ansammlung einiger Sportler und Vereinsmenschen eine Marke. Es gibt aber auch Vereine, die so viel Tradition haben, dass sie sie nicht mehr bezahlen können. So ein Verein ist Altona 93.

Wenn es um Fußballgeschichte geht, gibt es kaum einen Hamburger Verein, der Altona 93 das Wasser reichen kann. Der AFC gehört zu den Gründervereinen des Deutschen Fußball-Bundes, 1893 hatten Gymnasialschüler und Kaufleute den Verein gegründet. 1903 richtete der AFC das erste Endspiel um die deutsche Fußballmeisterschaft aus, seinen Platz benannte der Verein später nach seinem berühmtesten Spieler: Adolf Jäger – ein Star des deutschen Fußballs, zwischen 1908 und 1924 spielte er für die Nationalmannschaft.

Auf der Adolf-Jäger-Kampfbahn fanden Länderspiele statt, 1922 zum Beispiel, als Norddeutschland auf Südschweden traf und Adolf Jäger alle vier Tore zum 4:1 erzielte. 15.000 Menschen gingen damals ins Stadion, die Bilder vom Spiel erzählen auch die Geschichte der Arbeiterstadt Altona: Hinter dem Stadion ragten die Schlote der angrenzenden Fabriken in den Himmel.

Heute ist das Stadion so marode, dass nicht einmal mehr das Flutlicht funktioniert. Die Mannschaftsräume sind auf dem Stand der 50er-Jahre, die Holztribüne ist morsch, im Grunde ist es wie mit einem alten Kahn: Es gibt unzählige Lecks, und alles, was man tun kann, ist hier und da mal notdürftig drüberzulöten.

Fans und Anwohner aber lieben diesen alten Kahn. Sie lieben seinen Namen und die morsche Tribüne, die alten Pappeln hinter dem Tor und den denkmalgeschützten Eingang an der Griegstraße. Zu den Heimspielen am Sonntagnachmittag kommen Punks mit ihren Hunden, Rentner in beigen Anoraks und Väter mit Kinderwagen. Sie breiten dann auf der Wiese bei den Pappeln eine Decke aus und schauen mit ihren Freunden das Spiel. 800 Fans kommen durchschnittlich zu den Heimspielen, das ist Ligarekord. Wenn es nach ihnen ginge, würden sie gern an der Griegstraße bleiben. Und so stellt sich bei Altona 93 an jedem Spieltag aufs Neue die Frage: Wohin steuert dieser Verein, Richtung Romantik oder Realität?

Wenn man mit denen spricht, die die sportliche Verantwortung tragen, dann ist derzeit sehr viel Ernüchterung im Spiel. Es ist nicht leicht, eine Mannschaft zu formen und zu entwickeln, die zumindest für die kommende Saison keine Perspektive mehr auf den Aufstieg hat. Dabei hatte es konkrete Pläne dafür gegeben. Mit dem SC Union 03, einem anderen Altonaer Verein, hatte man sich in Gesprächen auf eine gemeinsame Nutzung des Stadions an der Waidmannstraße geeinigt. Den Umbau zum regionalligatauglichen Stadion hätte Altona 93 getragen, auch die Kosten für den neuen Kunstrasenplatz. Doch Ende November brach Union die Gespräche ab. „Wir wollten damit nichts mehr zu tun haben“, sagt der 2. Vorsitzende von Union, Peter Hestermann. „Als Verein stehen wir jetzt völlig auf dem Schlauch“, sagt André Jütting.

Jütting ist ein ruhiger Mensch, einer, der erst dann in Fahrt kommt, wenn er über etwas spricht, das ihn bewegt. Etwas wie Altona 93. Der „Virus AFC“ hat ihn gepackt, seitdem er 2009 Co-Trainer wurde. Wenn man ihn fragt, wie viele Stunden er in der Woche für den Verein arbeitet, dann weicht er der Antwort aus. Er möchte nicht, dass es seine Lebensgefährtin schwarz auf weiß hat, sagt er grinsend.

Jütting hatte wie alle Vereinsoffiziellen fest damit gerechnet, dass der Umzug an die Waidmannstraße klappt. Die Perspektive hieß Regionalliga. Jetzt heißt sie „Zurück auf Los“. Es war schon immer schwierig, gute Fußballer an die Griegstraße zu locken, dafür sind die Bedingungen einfach zu schlecht. Auch Geld zahlt der AFC im Vergleich weniger. „Bei uns wird jeder Spieler kranken- und sozialversichert und bei der Genossenschaft gemeldet. Das heißt aber auch, dass der Verein höhere Kosten hat.“ Entsprechend weniger hat der Spieler in der Tasche. Da müssen schnell andere Argumente her.

Das Argument hieß bislang: sportliche Entwicklung. Spätestens in der übernächsten Saison wollte Altona den Aufstieg in die Regionalliga packen, derzeit stehen sie auf Platz vier in der Oberliga. Im Winter haben wichtige Spieler den Verein verlassen. Stürmer Deniz Kacan hat sich „beruflich umorientiert“, wie es im Fußball so schön heißt. Er arbeitet jetzt in einem Lager und muss morgens um 5 Uhr raus. Junior Ngoleh ist für einen Job nach Süddeutschland gegangen. Man kann nun sagen, das wäre so oder so passiert. Es könnte aber auch sein, dass die Spieler ohnehin nicht mehr an das geglaubt haben, was man ihnen bei Altona 93 in Sachen Entwicklung versprochen hatte.

Wenn der Präsident ins Stadion kommt, kann man das einen Auftritt nennen

Hinzu kommt, dass die Sponsoreneinnahmen im nächsten Jahr stark zurückgehen werden. Hauptsponsor Dirk Barthel mahnt schon lange, dass sich der Verein auf eine breitere Basis stellen muss. Barthel ist seit 1999 Präsident von Altona 93, und wenn dieser Verein ohne Adolf-Jäger-Kampfbahn eigentlich nicht denkbar ist, so ist er es ohne Dirk Barthel derzeit noch weniger. Barthel ist Chef eines 75 Jahre alten Schiffsunternehmens und das Modell eines Hanseaten. Er trägt dunkelblaue Zweireiher, sein Tonfall ist nasal, und wenn er von seinem Lodenmantel umweht das Stadion betritt und den Punks auf dem „Zeckenhügel“ winkt, kann man das schon einen Auftritt nennen.

Es sind die entscheidenden Monate, die jetzt anbrechen für Altona 93. In seiner Magisterarbeit hat der ehemalige HSV-Torwart Richard „Richie“ Golz vor Kurzem eine Strategie für den Stadtteilverein entwickelt: Ein Großsponsor müsse kommen und das Stadion retten – wo sonst in Deutschland gebe es noch so viel Fußballtradition an einem Ort. Gute Idee, hat man an der Griegstraße gesagt. Und dazu müde gelächelt.