Der frühere Abendblatt-Reporter Wolfgang Golz erinnert sich an „seine“ acht Bundestrainer beim DFB – seit Helmut Schön 1978.

Hamburg. Joachim Löw und sein Team haben die Pflicht erfüllt. 2014 in Brasilien hat die deutsche Nationalmannschaft die große Chance, erstmals seit 1996 wieder einen Titel zu gewinnen. Es wäre die Krönung für Löw, der viele prominente Vorgänger hatte, die bei diesem Unterfangen gescheitert sind. Wolfgang Golz erinnert sich.

1978, Weltmeisterschaft in Argentinien, meine erste von sechs. Deutschland ist Titelverteidiger, aber Franz Beckenbauer darf nicht mitmachen, weil er im Ausland spielt. Ja, so war das damals. Ich bin in Buenos Aires stationiert und berichte für das Abendblatt zum Beispiel über Argentinien, Holland oder Österreich. Als Deutschland in Buenos Aires gegen Italien (0:0) spielen muss, herrscht ein fürchterliches Unwetter. Deshalb erreicht nur der DFB-Tross Argentiniens Hauptstadt, unbequem in einem Militärflugzeug und durchgerüttelt vom Orkan. Fans und Journalisten mussten in Cordoba bleiben.

Endzeitstimmung hängt über Bundestrainer Helmut Schöns Karriere. Der Zögerer und Zauderer driftet ins Weinerliche ab. Er mag gar nicht vor die Presse treten, der Magen ist verstimmt. Von Willi Schulz weiß man, wenn es eng wird, schlägt es Schön schon früher auf den Gaster. Bei der WM 1974 in Deutschland ließ er sich nach dem 0:1 gegen die DDR – zum Glück – von Kapitän Franz Beckenbauer entmachten. Schöns Ende nach dem 2:3 gegen Österreich („I werd narrisch“) ist kläglich: Vom Alkohol beduselt, zeigt sich der Lange Arm in Arm mit seinem Kleinen (Kapitän Vogts) im Offiziersclub von Ascocinga. Ein Bild des Jammers.

Da kommt Schöns Nachfolger Jupp Derwall, Rheinländer, anders daher. Er hat viel gelitten unter Teetrinker Schön. Mit „Prost, ich bin der Jupp“, wirbt er für sich. Derwall lüftet beim DFB durch: Die Nationalelf steigt in piekfeinen Hotels statt in spartanischen Sportschulen ab. Und sie legt einen fulminanten Start hin. Gleich ein 4:3 in Prag, Sieg über Vize-Weltmeister Holland, Sieg über Weltmeister Argentinien, 23 Spiele ohne Niederlage mit dem Höhepunkt EM-Sieg 1980 in Rom. Und einem Eklat.

Im Endspiel erzielt Horst Hrubesch zwar beide Tore zum 2:1 über Belgien, aber Derwall doziert, ihm lägen spielende Mittelstürmer wie Klaus Allofs mehr. Hrubesch, mit der Aussage konfrontiert: „Der Alte spinnt.“ Derwall lässt die Leine locker, mobbt aber Bernd Schuster, als der wegen der Geburt seines Kindes ein Länderspiel absagt. Er wirft Schuster gar raus, weil der vor einem Länderspiel lieber schlafen geht statt zu einer Saufparty bei Hansi Müller. Derwall holt Weltmeister Paul Breitner zurück und wird 1982 Vize-Weltmeister, zwei Jahre später scheitert er in der Vorrunde der EM, und die unerträgliche Leichtigkeit des Rheinländers ist dem DFB endgültig über.

So gerät Franz Beckenbauer an den Job. Eher unfreiwillig. Sein Freund und Journalist Jörg F. Hüls lässt ihn per „Bild“-Schlagzeile verkünden, „Ich bin bereit.“ Dann steht er auch bereit. Doch erstes Spiel, erste Niederlage, 1:3 gegen Argentinien. Aus Furcht vor des Kaisers Schlagwetter stellen die Spieler im Mannschaftsbus auf stumm. Doch Beckenbauer lacht: „Was ist los? Ist doch keine Beerdigung!“ Beckenbauer, als Leichtfuß eingeschätzt, arbeitet mit Akribie. Berti Vogts klagt später über Videoanalysen bis tief in die Nacht. Beckenbauer flucht, fordert, formt. Mit Rumpelfußballern wird er 1986 Vize-Weltmeister. Seine „Entschuldigung“: „Mit Junioren wirst nicht Weltmeister.“

Doch 1990 holt er dann mit der bislang jüngsten Mannschaft den WM-Titel. Aber er flucht selbst nach Siegen, tritt Eimer durch die Luft und Löcher in Türen. Er ist jähzornig und sanftmütig. Malocher und Gentleman. Nach dem Endspiel lässt er seinen Spielern den Rausch der Feier. Er verkriecht sich in persönliche Einsamkeit.

Seinem Nachfolger Berti Vogts sattelt er mächtige Bürde auf: „Jetzt kommen noch die Spieler aus der DDR dazu. Damit sind wir über Jahre unschlagbar.“ Doch die erste Niederlage gibt es schon in Spiel sieben nach Kaiser Franz – 0:1 gegen Wales. Vogts flucht nur still. Mit Vogts, der Handwerker nach dem Künstler, steht ein Stilwechsel an. War vorher der Trainer der Star, propagiert Vogts: „Die Mannschaft ist der Star.“ Dabei tummeln sich Stars im Team wie Matthäus, Brehme oder Klinsmann.

Der globale Blick schrumpft wieder ins Regionale. Vogts arbeitet verbissen und wirkt immer verkniffen. Er traut niemandem. Und er rettet sich in Oberlehrer-Attitüde: „Das muss man wissen.“ Er lässt sich vom DFB viele Handlungen vorschreiben. So feuert er Effenberg wegen des gestreckten Mittelfingers bei der WM in den USA.

Vogts hat Probleme mit den Ost-Spielern. Im Grunde kommt nur Matthias Sammer richtig durch. Aber der (und nicht Kapitän Klinsmann) ist auch der Treiber, als Deutschland 1996 zum letzten Mal Europameister und Sammer „Europas Fußballer des Jahres“ wird. Selbst der Titel löst die Verklemmungen bei Vogts nicht. Resignierend klagt er: „Ich kann machen was ich will. Selbst wenn ich wie Jesus übers Wasser ginge, hieße es doch: Seht, nicht mal schwimmen kann er.“ Das Aus im Viertelfinale der WM 1998 ist auch Vogts´ Aus. Er flüchtet sich in Schiedsrichterschelte und spricht vom Komplott der Fifa. Kleiner Mann klein geblieben …

Unter Teamchef Erich Ribbeck waren die Länderspiele wie Ausflüge

Nachfolger Erich Ribbeck bleibt eine Randnotiz. Klug in der Argumentation, charmant beim Plaudern – aber mit 61 Jahren weit weg von der Jugend. Länderspiele nehmen die Spieler wie Ausflüge wahr, Training ist mehr Entspannung. Bei der EM 2000 wundert sich HSV-Torwart Jörg Butt: „Da ist ja kein System im Training. Nicht mal bei Standards gibt es eine Zuordnung.“ Das Aus bereits in der EM-Vorrunde bedeutete für Ribbeck die Rente.

Seine Nachfolge erweist sich als schwere Geburt. Wunschkandidat vieler ist Christoph Daum. Platter Plauderer für die Einen, Trainer-Guru für die Anderen. In Sorge um die Nationalelf macht Bayerns Uli Hoeneß Daums Kokain-Problem öffentlich. Daum spricht von Lügen – bis sein eigenes Gebäude mit einer Haarprobe zerfällt.

Was nun? Beim Treffen der Großkopferten des Fußballs zeigt Uli Hoeneß auf Rudi Völler: „Du solltest das machen.“ Und er macht. Völler führt, wie er gerne geführt worden ist: locker, immer ein spitzbübisches Lächeln im Gesicht. Nach dem Chaos um Daum ist er die denkbar beste Lösung. Die Spieler mögen ihn, weil er denkt wie sie. Er hält im Fernsehen beim verdutzten Waldi Hartmann seine berüchtigte „Scheiß“-Rede, und hätte Torwarttitan Kahn ihm nicht das WM-Finale mit Fehlern verpatzt, wer weiß, vielleicht wäre Deutschland Weltmeister geworden.

Dann Jürgen Klinsmann, der dritte Weltmeister als deutscher Teamchef. Er puscht, er feuert an, er treibt psychologische Betreuung voran. Vor allem: Er holt sich Joachim Löw als Assistenten. Nur Insider erfahren es: Die Taktik und den Feinschliff besorgt Löw. Klinsmann gibt den Strahlemann für Fans und Kameras. Nur nach dem 1:4 in Italien kurz vor der Heim-WM gefriert sein Lächeln. Hoffnung bei null. Dann folgt das Sommermärchen 2006, das den Deutschen die Selbsterkenntnis beschert und das Ausland sich wundern lässt: Wir sind ja gar nicht so verklemmt, können auch entspannt. Dafür, für wunderschöne Spiele und einem herrlichen dritten Platz sei Klinsmann Dank …

Kam Klinsmann sportlich daher, besticht Joachim Löw durch modische Eleganz. Viele Damen verfolgen die Länderspiele in der Hoffnung, modische Tipps für den Herrn Gemahl zu erhalten. Doch so softig sich Löw gibt, so sanft er von „das Beschte, das Schönschte, das Gröschte“ reden mag, er kann auch knallhart. Wie er Torsten Frings verabschiedet, wie er seinen Capitano Michael Ballack wegbeißt, lässt manchen zusammenzucken.

Er redet auch den Bundesliga-Trainern ins Handwerk. Dabei wartet er mit Beispielen auf. Passgeschwindigkeit geringer als in anderen Ligen, Passgenauigkeit schwächer als woanders. Und überhaupt: andere Trainingselemente müssen her. Anfangs grollen die Trainer, längst haben sie Löws Vorstellungen übernommen. Der lässt stürmen, und die Talente blühen auf wie Frühjahrsblumen auf der Alm. Platz zwei bei der EM 2008, Platz drei bei der WM 2012, Halbfinale bei der jüngsten EM und Zauberfußball in fast jedem Spiel. Nur das verlorene Halbfinale gegen Italien bei der EM 2012 nagt. In einem Anfall von taktischem Nonsens zerbricht er eine funktionierende Mannschaft, repariert den Fehler früh und behauptet am Ende stocksteif, alles richtig gemacht zu haben. Nun ist die WM-Qualifikation geschafft, und Löw hat die Chance: dann bitte besser machen!

Wolfgang Golz schrieb von 1976 bis 1979 für das „Abendblatt“, war u. a. Chefreporter der „WamS“, Autor und stellv. Chefredakteur bei „Sport-Bild", arbeitete u. a. für die Bundesregierung („Deutschland – Land der Ideen“), „Guten Morgen, Hamburg.de“ und „Fußball-Raritäten.de“. Er berichtete über rund 300 Fußball-Länderspiele, von Olympia, sechs Fußball-WM und erhielt mehrere Journalisten-Preise.