DFB-Torhüterin „Natze“ Angerer setzt sich gegen Atomkraft ein und träumt von Welttrips mit ihrem grünen VW-Bus. Beim Empfang der Europameisterinnen auf dem Frankfurter Römerberg jubeln ihr und dem Team 6000 Anhänger zu.

Frankfurt. Kapitänin, das endet ja nicht nach 90 Minuten. Das ist man auch auf dem Römerbalkon, beim Feiern. Jedenfalls Nadine Angerer. Die deutsche Finalheldin lachte und hüpfte und sang mit ihren Kameradinnen am Montag beim Empfang für die Fußball-Europameisterinnen vor über 6000 Fans, sie interviewte mit Mikrofon in der Hand ihre Mitspielerinnen, sie stimmte das „Uffta“ an, sie strahlte, sie schunkelte. Eine Führungsspielerin auch und grade beim Feiern. „So sehn Sieger aus“, sangen Spielerinnen und Feiervolk und dann das natürlich unvermeidliche „We Are the Champions“.

Als erste führte Angerer gemeinsam mit Bundestrainerin Silvia Neid auch die deutsche Siegerpolonäse in das historische Frankfurter Rathaus an, den EM-Pokal fest gegriffen, den schwarzen Hut auf dem Kopf. Den hatte sie nur kurz in der Nacht zuvor abgeben müssen, als Wolfgang Niersbach, der Präsident des Deutschen Fußball-Bundes (DFB), ihn sich auf der Titel-Fete im Stockholmer Mannschaftshotel aufsetzte und die Nummer eins in den Arm nahm. Bis in die Morgenstunden hatten es die deutschen Fußballerinnen krachen lassen.

„Im Flieger war es ganz still – alle waren todmüde, weil wir richtig abgerockt haben“, sagte Angerer auf dem roten Teppich am Flughafen. Ruhe aber gab es nur kurz im Flieger. Auf dem Rathausbalkon wurde „Super-Natze“ am Montagmittag minutenlang mit Sprechchören gefeiert und sorgte für Jubelstimmung. „Ich hoffe, ihr habt richtig Bock auf Party mit uns“, rief sie in die begeisterte Menge.

Was für ein Kontrast zu den Szenen nach dem WM-Aus zwei Jahre zuvor. Da tauchte Nadine Angerer weit nach Mitternacht mit leerem Blick im noblen Mannschaftsquartier in Wolfsburg auf. In beiden Händen hielt sie je eine Flasche Tequila, den weißen. Sie wollte nicht reden, ging mit den Buddeln rein ins Wolfsburger Ritz und gab sich ihrem Kummer hin.

Im Verlauf der gerade zu Ende gegangenen EM hatte sie ihre Mitspielerinnen aus der Nationalmannschaft darauf eingeschworen, so etwas nie wieder erleben zu wollen. Lange habe sie gebraucht, um das zu verarbeiten, erzählte die deutsche Nationaltorhüterin. Als es nun in Schweden nicht lief in der Gruppenphase und sogar das Aus einkalkuliert werden musste, da waren die Erinnerungen von 2011 wieder hoch gekommen. Angerer rüttelte die Mannschaft auf. Sie ist mit 34 Jahren die älteste und mit weit über 100 Länderspielen die erfahrenste im Team, überzeugend in ihren Worten und authentisch in ihrer Art, dazu noch Spielführerin. Wer anderes als sie sollte es machen?

Angerer hat richtig Persönlichkeit

Hätte der Frauenfußball flächendeckend Persönlichkeiten vom Schlage einer Nadine Angerer, würde es wahrscheinlich leichter fallen, aus der sportlichen Nische herauskommen zu können. Frisch, unverblümt und unverstellt wie sie ist. Dazu sportlich überzeugend. Angerer hat für die Großen der Frauenliga gespielt, bei Turbine Potsdam und Rekordmeister FFC Frankfurt, dazu noch beim schwedischen Frauen-Renommierklub Djurgarden IF. Sie hat beim WM-Titelgewinn 2007 in China während des gesamten Turniers kein Tor zugelassen, 540 Minuten ohne Gegentreffer, das war Rekord. Im Finale gegen Brasilien hielt sie einen Elfmeter von Weltfußballerin Marta. Deutschland gewann 2:0. Angerer war da schon eine Heldin. Eine zum Gernhaben. Jetzt wird sie im September nach Brisbane gehen, danach in die USA. „Ich wollte die Chance nutzen, durch den Fußball die Welt zu sehen.“

Mit Angerer verbindet man Rucksacktouren durch die Welt, Tauchen mit Haien und Entwicklungshilfe in Afrika. Dazu noch Demonstrationen gegen Atomkraft und den Traum von einer Tour mit ihrem grünen VW-Bus von Berlin nach Kapstadt. Auf den Ventilen stecken Totenköpfe, aber das nur am Rande. Sie propagiert das nicht, lebt es aber. Putzt ihre Zähne nie am Waschbecken, sondern läuft mit der Bürste durch die Wohnung. Und kauft sich ein Haus auf Fuerteventura, einfach aus der Lust heraus, ohne einen Plan.

Und dann ist da die Torhüterin. Wer sie spielen sieht, der denkt nicht an eine Demonstrantin für eine bessere Welt, sondern erlebt eine Demonstration der Stärke. Finsterer Blick, hochkonzentriert, eine Widersacherin von Format, 1,76 Meter, etwa 70 Kilo schwer. Die Vorträge vor Führungskräften hält: „Wie Sie den Spagat zwischen Führen und Geführt werden erfolgreich meistern.“

Bundestrainer Silvia Neid sagte nach dem 1:0 gegen Norwegen: „Sie wollte einfach keinen reinlassen.“ Angerer sagte, sie sei über die beiden zweifelhaften Elfmeter wütend gewesen, „das muss auch mal sein“. Davon war am Montag nichts mehr zu spüren. Da herrschte nur noch Freude, und die Kapitänin lobte noch einmal ihre jungen Mitspielerinnen: „Auch das Feiern haben sie ganz schnell gelernt.“