Der Wechsel von Mario Götze für 37 Millionen Euro zum FC Bayern trübt Dortmunds Vorfreude auf das Champions-League-Spiel gegen Real Madrid

Dortmund. Aki Schmidt ist selbst ein Dortmunder Idol. Europacupsieger, Volksheld und heute noch eloquenter Stadionführer. Schmidt hat immer gute Laune, aber als er Dienstagmittag mit einer Besuchergruppe über das Gelände an der Arena ging, sah er gar nicht glücklich aus. "Die haben uns das Herz rausgerissen", sagte Schmidt nur - und ging weiter. Die, damit waren die Bayern gemeint, und das Herz ist Dortmunds aktueller Held, der 20 Jahre alte Mario Götze. Kurz zuvor hatte Schmidt erfahren, dass Götze nach dieser Saison für 37 Millionen Euro zum Rekordmeister wechselt. Seither ist nicht nur der alte Volksheld Schmidt im Lager der Dortmunder desillusioniert.

Der Weggang des Jahrhunderttalents schmerzt die Borussia in vielerlei Hinsicht. Einer wie Götze ist sportlich nicht zu ersetzen, zudem wird der größte Widersacher in Deutschland noch weiter gestärkt. Und dann ist da ja noch der Zeitpunkt: Die Meldung gelangte einen Tag vor dem wichtigen Halbfinalspiel in der Champions League gegen Real Madrid (Mittwoch, 20.45 Uhr, ZDF, Sky und abendblatt.de) über "Bild" an die Öffentlichkeit, weshalb die Diskussion über Taktik und Gegner völlig in den Hintergrund gedrängt wurde.

Erstaunlich gefasst saß Trainer Jürgen Klopp auf dem Podium im Presseraum und beantwortete Fragen nach dem spektakulären Transfer. "Dass es an die Öffentlichkeit kommt, ist mir gestern Abend um zehn Uhr mitgeteilt worden", sagte Klopp. Er selbst habe davon schon seit dem Viertelfinalrückspiel gegen Malaga gewusst. "Die Zeit heilt nicht alle Wunden, aber sie hilft beim Heilen auf jeden Fall."

Wie Klopp weiter ausführte, habe Götze seinen Vertrag vor einem Jahr nur bis 2016 verlängert, weil ihm eine entsprechende Ausstiegsklausel zugebilligt worden war. Demnach musste ein interessierter Verein bis zum 30. April dieses Jahres 37 Millionen Euro Ablöse für einen vorzeitigen Wechsel des Nationalspielers zahlen - fast dreimal so viel, wie der HSV für Rafael van der Vaart (13 Millionen Euro) bezahlte. "Die Nachricht an sich ist nicht so gut. Mario ist ein außergewöhnlicher Spieler, den du nicht verlieren willst. Wir hätten ihn gern hier behalten", sagte Klopp. Und es ehrte den Trainer durchaus, dass er selbst einen Transfer aus der Vergangenheit bemühte und nicht den Moralapostel mimte. "Für alle, die besonders wütend sind: Falls sie es vergessen haben, vor einem Jahr haben wir für eine festgeschriebene Ablöse von gut 17 Millionen Euro Marco Reus verpflichtet." Sollte heißen: So ist eben das Geschäft.

Dass die Nachricht bewusst von den Bayern gestreut wurde, um abzulenken von der zunehmenden Wucht um die Steuersünden ihres Präsidenten Uli Hoeneß, mochte Jürgen Klopp aber nicht glauben. "So weit geht die Rivalität dann nicht, dass die Bayern ein Interesse daran haben, uns ein Ei ins Nest zu legen", sagte er. "Wir werden auf jeden Fall alles dafür tun, dass, wer auch immer wollte, dass wir gestört werden in unserer Vorbereitung, keinen Erfolg haben wird. Das ist eine ganz klare Jetzt-erst-recht-Situation."

Klopp ist inzwischen recht geübt darin, namhafte Abgänge zu kommentieren. Nuri Sahin, Shinji Kagawa, nun Mario Götze. Doch gerade beim Eigengewächs, das seit seinem neunten Lebensjahr für die Dortmunder spielt, liegen die Dinge etwas anders. Es ist mit Blickrichtung München sicher nicht verwerflich, das deutsche Vorzeigetalent schlechthin zu verpflichten, wenn es die Vertragsmodalitäten erlauben. Ausstiegsklauseln sind dafür da, dass von ihnen Gebrauch gemacht wird. Insofern handeln die Bayern bei allem Aufstöhnen in der Branche keineswegs unmoralisch. Aber allen Traditionalisten der Sportart verursacht der Transfer dennoch gehörig Bauchschmerzen. All die Götzes, Hummels und Reus', so die Annahme, würden nie zu den Bayern gehen, weil in Dortmund etwas Großes entsteht, weil dort Fußball geatmet wird, weil sie einen authentisch entrückten Trainer haben - und weil die letzte Million auf dem Gehaltsscheck eben nicht die einzige Komponente im Leben eines Profis ist. Dass nun ausgerechnet Professorensohn Götze, 20, der statt fünf nun sieben Millionen Euro im Jahr verdienen soll, dieses Schema durchbricht, ist deshalb nicht nur für die Fans der Borussia eine Katastrophe.

Der Coup entlarvt nebenbei auch Uli Hoeneß. Vor einer Woche erst sprach sich der Bayern-Präsident für mehr Wettbewerb in der Liga aus und befürchtete spanische Verhältnisse. Er wolle das Ganze mit BVB-Boss Hans-Joachim Watzke nach der Saison erläutern und nach Lösungen fahnden. Das Treffen können sie sich jetzt wohl sparen. Es wird, wie von BVB-Trainer Klopp prognostiziert, allenfalls schottische Verhältnisse in der Bundesliga geben. Ein Team wird Meister (die Bayern), der Rest balgt sich um die Champions- und Europa-League-Plätze sowie um den Klassenverbleib.

Ob Götze eine derartige Gewissheit auf Titelgewinne schon mit 20 Jahren benötigt? Der durchaus reflektierende Mittelfeldspieler wird sich seine Gedanken gemacht haben. Er hat sich schließlich gegen das Dortmunder Projekt entschieden - und für den von einer Magie begleiteten kommenden Bayern-Trainer Pep Guardiola. "Mario ist der Wunschspieler von Pep Guardiola", ließ Klopp wissen. "Und es ist für ihn die Chance, mit einem außergewöhnlichen Trainer zusammenzuarbeiten."

Derart nachsichtig mochten viele andere nicht mit dem kleinen Offensivkünstler umgehen, der bei den Bayern einen Vierjahresvertrag erhält. Nach Bekanntwerden des Wechsels musste Götze als "Verräter" im Internet einen "Shitstorm" über sich ergehen lassen - und ließ die Kommentarfunktion ausschalten. "Die Vorfreude auf das Spiel gegen Real ist wie weggeblasen", ließ ein User wissen, ein anderer meinte drastischer: "Ich kann heute Morgen gar nicht so viel frühstücken, wie ich kotzen könnte." 1500 Nutzer pro Stunde richteten ihren Daumen auf Götzes Facebook-Seite im Netz nach unten.

Kritik gab es auch von prominenter Seite. Rekordnationalspieler Lothar Matthäus fasste zusammen: "Das schadet der Glaubwürdigkeit des Fußballs. Ich bin schockiert." Der Transfer hätte auch zwei Tage oder auch zwei Wochen später verkündet werden können. "Dortmund bereitet sich auf das Duell mit Real Madrid vor, eines der wichtigsten Spiele in der Historie des Vereins", sagte Matthäus. "Das ist unglaublich. Ich weiß nicht, ob das Fair Play ist. Gegenüber den Dortmunder Fans ist das nicht fair." Das einzige Positive an dem spektakulären Wechsel sei, dass "Götze der Bundesliga erhalten" bleibe.