In Kasachstan wird heute erst um Mitternacht gekickt. Und der Gegner ist wegen Aussagen des DFB-Trainers auch noch schwer beleidigt.

Direkt nach der Ankunft folgte die Entschuldigung. "Wir spielen gerne in Kasachstan", sagte Bundestrainer Joachim Löw am Donnerstag im völlig überfüllten Presseraum des Stadions in Astana. Mit seiner Forderung, dass es besser wäre, wenn die Fußballzwerge sich bei der Qualifikation zur WM zunächst in einer Vorqualifikation durchsetzen müssten, habe er auf keinen Fall Kasachstan gemeint. Das sei schließlich, sagte Löw dann, das "neuntgrößte Land der Welt".

Mit dieser Detailkenntnis wollte der Bundestrainer die Gastgeber vor dem Qualifikationsspiel an diesem Freitag (19 Uhr, ZDF, Liveticker auf www.abendblatt.de) beruhigen. Denn die Kasachen waren schwer beleidigt. "Niemand hat das Recht, unserer Nationalmannschaft vorzuschreiben, wie und gegen wen sie spielen darf", hatte ein Vertreter des Fußballverbands geschimpft.

Solche Sätze treffen die Kasachen an einer empfindlichen Stelle. Was können sie schon dafür, geografisch weder richtig zu Europa noch zu Asien zu gehören? Und dann noch dieser blöde Borat-Film, in dem ein kasachischer Reporter sich in den USA gründlich danebenbenimmt. Viele Menschen haben da vermutlich zum ersten Mal überhaupt von Kasachstan gehört.

Dabei ist die Nation durch Bodenschätze reich geworden. Und das zeigt sich nirgendwo deutlicher als in Astana. Hier, mitten in der kasachischen Steppe, hat Präsident Nursultan Nasarbajew eine Stadt errichtet. Eine Stadt? Eine Metropole, die aussieht, als hätte man einer Horde Architekturstudenten unbegrenzten Zugang zu Geld und Halluzinogenen gegeben. Ein Disneyland im Nirgendwo. Seit 1997 ist Astana die Hauptstadt des Riesenreiches, das achtmal so groß ist wie Deutschland.

Goldene Wolkenkratzer strecken sich dort in den Himmel. Ein schräg gestelltes, 150 Meter hohes Beduinenzelt aus Stahl und Glas (erbaut von Norman Foster, der dem Reichstag die Kuppel aufsetzte) lässt den Betrachter staunen. In der Stadtmitte erhebt sich der Bajterek-Turm. Wer emporsteigt in das goldene Ei von 22 Meter Durchmesser, das an der Spitze thront, hat dort oben einen prima Blick über das Sammelsurium der skurrilen Bauwerke. Und kann zudem seine Hand in den Händeabdruck des Präsidenten Nasarbajew legen. Der ist dort in Bronze gegossen.

Die Lage inmitten der Steppe macht Astana zur zweitkältesten Hauptstadt der Welt. Nur in Ulan Bator in der Mongolei ist es noch frostiger. Im Winter kann es in Astana bis zu minus 40 Grad kalt werden. Kein Wunder also, dass das Länderspiel auf Kunstrasen unter einem vollständig verschließbaren Stadiondach stattfindet. Auch wenn es derzeit mit minus vier Grad auch nicht viel kälter ist als in Deutschland.

Es ist also eine imposante Kulisse, die sich den deutschen Nationalspielern präsentiert. Allein: Sie werden so gut wie nichts davon sehen. Denn Astana liegt so weit östlich, dass die Zeitverschiebung bis dorthin plus fünf Stunden beträgt. 4000 Kilometer liegen zwischen der kasachischen Hauptstadt und Berlin. Für die Planer des Deutschen Fußball-Bundes gab es deshalb zwei Möglichkeiten: Entweder eine sehr frühe Anreise, um für die Spieler jede Form von Jetlag zu vermeiden. Oder Plan B.

Der besagt, dass der Zeitunterschied schlicht ignoriert wird. Und so machte es der DFB-Tross, wie übrigens schon beim 3:0 im Oktober 2010. Auch diesmal flog die Mannschaft erst am Donnerstag zum Spielort. Übrigens pünktlich: Als einer der wenigen Lufthansa-Flieger wurde die Sondermaschine im Streikchaos planmäßig abgefertigt. In Astana wurden die Hotelzimmer so präpariert, dass sie komplett abgedunkelt werden können. Die Spieler blieben also quasi in der Mitteleuropäischen Zeitzone. Und werden am Freitag bis tief in den kasachischen Vormittag hinein schlafen.

Von Vorteil ist es, dass das Spiel erst um 24 Uhr Ortszeit stattfindet. So wird die Partie zur deutschen Primetime angepfiffen, und die Akteure von Bundestrainer Löw können in ihrem Rhythmus bleiben. Für die Gastgeber hingegen ist eine Anstoßzeit um Mitternacht schon beinahe ein Affront, heißt es doch nicht mehr und nicht weniger, als dass der große DFB den "kleinen" Kasachen die Bedingungen diktieren darf.

Doch warum spielt Kasachstan überhaupt in der europäischen Qualifikationsgruppe um die WM 2014 mit? Weil der Verband offiziell zur Uefa gehört. Zwar liegt das Land de facto in Zentralasien, doch als Teil der ehemaligen UdSSR konnte sich Kasachstan beim Zerfall der Sowjetunion 1990 aussuchen, ob es dem europäischen oder asiatischen Dachverband beitreten wolle. Zwar entschied sich Kasachstan zunächst für die Asian Football Confederation, wechselte 2002 aber zur Uefa.

Wenigstens über die Favoritenrolle braucht nicht gestritten zu werden. Kasachstan hat aus bisher vier Qualifikationsspielen einen Punkt geholt. Die deutsche Mannschaft patzte zwar zuletzt beim 4:4 gegen Schweden (nach einem 4:0-Vorsprung, wir erinnern uns mit Grausen), trotzdem führt die DFB-Auswahl die Gruppe C souverän an.

"Wir dürfen Kasachstan auf keinen Fall unterschätzen. Diese Mannschaft wird sich mit Händen und Füßen wehren", warnte Löw dennoch und erinnerte daran, dass man 2010 beim 3:0 gegen die Kasachen mit einem 0:0 zur Pause in die Kabine gegangen sei. Auf zwei bis drei Positionen habe er sich bei der Aufstellung noch nicht festgelegt, auch bei der Besetzung des Sturms: "Es könnte auch sein, dass Mario Götze links und Mario Gomez vorne spielt."