Vor dem Spiel gegen Argentinien (Mittwoch 20.45 Uhr) rechnet Joachim Löw bei seinem ersten Auftritt nach dem EM-Aus mit seinen Kritikern ab.

Frankfurt am Main. Es gibt ihn also doch noch. Drei Minuten vor der um 12.30 Uhr angekündigten Pressekonferenz ließ sich gestern Mittag Joachim Löw vor dem weißen Pressezelt neben der Frankfurter Commerzbank-Arena absetzen. Der Bundestrainer, der seit dem Halbfinalaus gegen Italien in etwa so häufig gesehen worden sein soll wie grüne Mars-Menschen, schritt, ohne nach links und rechts zu schauen, zum erhöhten Podium, öffnete ein Wasser und setzte sich hin. Was folgte, war ein in Form, Lautstärke und auch Zeitumfang noch nie dagewesener Monolog, in dem Löw, gut gebräunt, aber mit deutlich mehr grauen Strähnchen im Haupthaar als noch vor der EM, seinem offenbar aufgestauten Frust der vergangenen Wochen freien Lauf ließ. Einen Hauch von Giovanni Trapattonis Wutrede als damaliger Bayern-Trainer wollte ein Fotograf sogar erkannt haben.

"Die sportliche Kritik nach dem Aus gegen Italien nehme ich mit allem Verstand und aller Demut an", sagte Löw mit bebender Stimme, "Teile der nichtsportlichen Kritik halte ich für nicht zielführend." Dann erhob der 52-Jährige, der kaum ein Wort über das morgige Testländerspiel gegen Argentinien (20.45 Uhr/ZDF und im Liveticker auf abendblatt.de) zu verlieren hatte, die Stimme: "Um es deutlich zu sagen: Diese Kritik ermüdet mich."

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Sechs Wochen ist die 1:2-Niederlage gegen Italien nun schon her. Die Vorbereitung auf die Bundesliga hatte begonnen, die Olympischen Spiele rückten in den Fokus, und selbst beim Deutschen Fußball-Bund (DFB) wurde zuletzt mehr über den scheidenden Pressesprecher Harald Stenger als über die Gründe für das Halbfinalaus in Warschau debattiert. Doch Löw hat in all der Zeit, in der er schwieg, weder die Niederlage noch die anschließende Kritik daran vergessen. Die Bezeichnung seiner Spieler als "Memmen" in der "Bild"-Zeitung empfand er als Unverschämtheit, die Veröffentlichung seines blauen Glückspullovers, den die "Sport Bild" als Symbol des Scheiterns aus einem Hotelpapierkorb fingerte, als Frechheit. Doch wirklich geschmerzt haben ihn drei Vorwürfe, die er gestern in Frankfurt nacheinander abarbeitete.

"Punkt eins", sagte Löw, und unterstrich die Wichtigkeit der nun folgenden Worte mit einer Wiederholung: "Punkt eins: die Leitwolfdiskussion." Anders als immer wieder behauptet habe die Nationalmannschaft keine flache Hierarchie, sagte Löw mit blitzenden Augen, es gebe sehr wohl Führungsspieler, und überhaupt sei die ganze Diskussion scheinheilig. "Wo sind denn die Mannschaften mit den klassischen Leitwölfen gelandet?", fragte der Badener in die Runde, ohne aber Zeit für eine eventuelle Antwort zu lassen.

Im Eiltempo galoppierte Löw, von seinem Medienberater Roland Eitel offenbar bestens vorbereit, von Kritikpunkt zu Kritikpunkt. So habe ihn der von einigen Boulevardmedien verbreitete Vorwurf, dass Spieler mit Migrationshintergrund die Hymne nicht mitsingen und vielleicht deshalb weniger kämpfen würden, regelrecht entsetzt: "Den unterschwelligen Vorwurf, die Jungs seien deswegen weniger gute Deutsche, halte ich für fatal." Das Wasserglas neben dem Mikrofon war noch immer halb voll, aber eine Trinkpause wollte sich der gerade in Fahrt kommende Freiburger nicht gönnen.

"Der nächste Vorwurf, der mir nicht gefällt, ist, dass die Spieler zu verwöhnt seien", bellte Löw mit erhobener Stimme. Die Kritik, dass der DFB seine Nationalspieler in Polen und in der Ukraine verwöhnt habe, wolle er so nicht stehen lassen. "Oder glauben Sie etwa, dass die Spanier selber kochen? Die haben auch einen Koch!" Seine Spieler würden die Annehmlichkeiten, die es für Spitzenleistungen nun mal braucht, sehr wohl zu schätzen wissen.

Die Medienschelte war beendet, Löws Wutrede war erst am Anfang. Überhaupt nicht zu schätzen, betonte Löw, wisse er die Kritik von Markus Babbel, der ihm bei der Nichtnominierung von Torhüter Tim Wiese schlechten Stil vorgeworfen hatte. Die Art und Weise der öffentlichen Kritik des Hoffenheimer Coachs sei "eine Respektlosigkeit", die er so nicht hinnehmen werde. Wie, wann und wo sein Trainerteam und er eine derartige Entscheidung für oder gegen einen Spieler treffen würden, bleibe seine Sache, "da kann mir auch niemand reinreden".

Als Stenger, der nach dem Argentinien-Spiel durch Jens Gittner ersetzt wird, nach Löws 25-minütigem Monolog schließlich fragte, ob es denn noch Fragen gebe, erlaubte sich der Bundestrainer ein erstes und letztes Mal ein kurzes Lächeln. Es war alles gesagt.

Ein paar sportliche Fragen gab es dann aber doch noch, die Löw, mittlerweile wieder etwas entspannter, höflich wie eh und je beantwortete. Nein, es sei kein Fehler gewesen, bei der EM auf den nicht fitten Bastian Schweinsteiger zu setzen. Auch die viel diskutierte Taktik gegen Italien sei wohlüberlegt gewesen. Es sei immer noch ein kleiner Schritt zwischen Weltklasse und Weltspitze zu gehen, den er gemeinsam mit der Mannschaft bis zur WM 2014 beschreiten wolle. "Fakt ist und war vor allem eines: Unser Weg ist der richtige, und an diesem Weg werden wir festhalten."

Nach einer Dreiviertelstunde war Löw dann genauso plötzlich wieder verschwunden, wie er zuvor gekommen war. Die Pressekonferenz war beendet, aber vor allem mit der Zeit der Leichtigkeit, so schrieb es die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" bereits vor einer Woche, dürfte es ein für allemal vorbei sein. Wann die Wunden, die bei Löw nach der geballten EM-Kritik zurückgeblieben sind, verheilt sein werden, wird sich erst mit der Zeit zeigen. Im Spiel gegen Argentinien geht es dagegen morgen ganz profan nur: um Fußball.