Bundestrainer Joachim Löw erklärt das Ende der Karriere von Michael Ballack im DFB-Team. Beckenbauer fordert ihn zum Abschiedsspiel auf.

Berlin/Hamburg. Einen Tag nach seiner Ausbootung durch Bundestrainer Joachim Löw hat sich Michael Ballack bis zum Freitagmittag weiterhin nicht dazu geäußert, ob er das Angebot eines Abschiedsspiels in der deutschen Fußball-Nationalmannschaft annehmen wird. Der 34-jährige Profi von Bayer Leverkusen soll nach dem Willen von Löw die DFB-Auswahl am 10. August im Freundschaftsspiel gegen Brasilien in Stuttgart noch einmal als Kapitän anführen und dann offiziell aus der Nationalmannschaft verabschiedet werden.

„Wir würden ihm gerne einen würdigen Abschiedsrahmen geben. Aber dazu gehören immer zwei“, hatte DFB-Präsident Theo Zwanziger am Donnerstag erklärt und damit leise Zweifel an Ballacks Bereitschaft zur Teilnahme an einem Abschiedsspiel anklingen lassen.

Franz Beckenbauer forderte den 98-maligen Nationalspieler am Freitag dazu auf, das Angebot des Bundestrainers anzunehmen. „Irgendwann kommt halt für jeden die Zeit abzutreten. Michael Ballack hat auf jeden Fall einen würdigen Abschied verdient. Ich kann ihm nur empfehlen, das Angebot anzunehmen und sich gegen Brasilien mit einem tollen Spiel zu verabschieden“, riet der „Kaiser“ in der „Bild“-Zeitung.

(dpa/abendblatt.de)

Ballack, der Unvollendete

Vor knapp einem Jahr, am 6. Juli 2010, fielen diese entlarvenden Sätze in Erasmia, dem Quartier der deutschen Nationalmannschaft vor den Toren Pretorias während der WM in Südafrika. "Es ist schön, dass Michael Ballack hergekommen ist, um uns zu unterstützen. Er lässt uns gewähren. Er ist nicht so nah an der Mannschaft, ganz eng ist er bei uns jetzt nicht." Wochen zuvor war Ballacks Aus für die WM nach einem rüden Foul von Kevin-Prince Boateng während des FA-Cup-Finales zwischen Chelsea und Portsmouth noch seitenlang beklagt worden. Jetzt stand die DFB-Auswahl im Halbfinale gegen Spanien, die deutschen Fans feierten die junge, so erfrischend aufspielende Mannschaft von Bundestrainer Joachim Löw. Ballack hingegen wirkte wie ein Fremdkörper und reiste vorzeitig ab. Den von Jürgen Klinsmann einst so getauften "Capitano" gab es nicht mehr, innerhalb kurzer Zeit war der Leitwolf von der Hierarchiespitze der Mannschaft gestürzt worden. Philipp Lahm wagte sogar die offene Revolte gegen Ballack und erhob Ansprüche auf die Binde auch nach der WM.

Jetzt erfolgte das offizielle Aus für Ballack. Unter Pressemitteilung Nummer 60/2011 verbreitete der Deutsche Fußball-Bund gestern um 11.07 Uhr eine Erklärung Löws, dass der 34-Jährige künftig nicht mehr dem Kader der Nationalmannschaft angehören wird. "Die vergangenen Monate haben gezeigt, dass viele junge Spieler in den Blickpunkt gerückt sind und gute Perspektiven besitzen. Mit ihnen ist die Entwicklung der Nationalmannschaft seit der WM 2010 in Südafrika absolut positiv verlaufen", sagte der Bundestrainer. "Nachdem ich diese Thematik mit Michael Ballack zuletzt bei unserem Treffen Ende März 2011 in aller Offenheit erörtert habe und wir danach mehrfach telefoniert haben, ist nun vor dem Start in die EM-Saison der Zeitpunkt gekommen, hier klar Position zu beziehen. In unseren Gesprächen hatte ich den Eindruck, dass Michael durchaus Verständnis für unsere Sichtweise hat. Im Interesse aller ist daher jetzt eine ehrliche und klare Entscheidung angebracht."

Über ein Jahrzehnt war Ballack das Gesicht der DFB-Elf. Als er am 28. April 1999 in Bremen gegen Schottland (0:1) sein Debüt feierte, standen noch Lothar Matthäus, Oliver Bierhoff, Carsten Jancker und Ulf Kirsten auf dem Platz. Als sein 98. und letztes Länderspiel wird das Freundschaftsspiel am 3. März 2010 in München gegen Argentinien (0:1) in der Statistik geführt werden. An Nummer 99 scheint Ballack wenig Interesse zu haben. Zwar bemühten sich Löw und der DFB, dem 34-Jährigen im Rahmen des Testspiels gegen Brasilien am 10. August in Stuttgart einen würdigen Abschied zu verschaffen. "Wir wollen ihm ein ehrliches Dankeschön für seine großen Verdienste um den deutschen Fußball sagen", sagte der Bundestrainer. Doch die Neigung Ballacks, dieses Angebot anzunehmen, schien wenig ausgeprägt zu sein. Offensichtlich wurde Ballack sogar ein Ultimatum für diese Woche gestellt, selbst seinen Rücktritt zu erklären und das Angebot eines Abschiedsspiels anzunehmen. Da er sich aber nicht äußerte und auf Tauchstation ging, erklärte der DFB jetzt offensiv das Ende der Ära Ballack.

Die Beziehung zwischen Löw und Ballack dürfte auf einem Tiefpunkt angelangt sein - bezeichnend, dass es gestern in der Presseerklärung kein abgestimmtes Ballack-Zitat gab.

Offensichtlich fühlt sich der gebürtige Görlitzer ausgemustert, abserviert. Sein erklärtes Ziel war die Teilnahme an der EM 2012 in Polen und in der Ukraine. Dass Ballack in seiner glanzvollen Karriere ein großer Titel verwehrt blieb, ist vielfach beklagt worden. Unvergessen ist das Verpassen des WM-Finales gegen Brasilien 2002, als er sich im Halbfinale gegen Südkorea für das Team opferte und eine Verwarnung in Kauf nahm. Das Ende passt deshalb zu seiner DFB-Karriere. Er geht als der Unvollendete in die Geschichte der deutschen Nationalmannschaft ein, als Vize-Weltmeister 2002, WM-Dritter 2006 und Vize-Europameister 2008.

Der Konflikt zwischen Löw und Ballack schwelt indes schon seit 2008. Während der EM in Österreich und der Schweiz festigte Ballack seinen Ruf als ehrgeiziger Nörgler. Als sich die jüngeren Spieler im Mannschaftsquartier am Lago Maggiore mit ihren Frauen am Pool sonnten, protestierte er wütend. Nach dem verlorenen Finale gegen Spanien geriet er mit Oliver Bierhoff wegen einer Fanaktion auf dem Platz aneinander und soll den Teammanager als "Pisser" beschimpft haben. Wie wenig beliebt er bei einigen Mitspielern war, zeigte sich auch 2009, als ihm Lukas Podolski während des Wales-Spiels eine Ohrfeige verpasste, nachdem Ballack mehr Laufarbeit ("Beweg dich!") eingefordert hatte.

Kurz vor dem Rauswurf stand Ballack bereits im Oktober 2008, als er öffentlich mehr Respekt und Loyalität gegenüber seinem Kumpel Torsten Frings, Kevin Kuranyi und natürlich ihm selbst einforderte. Im Konkurrenzkampf, mutmaßte Ballack damals, habe es "in der Vergangenheit wohl Fälle gegeben, bei denen das Leistungsprinzip nicht angewendet wurde".

Löw reagierte extrem verärgert, bestellte Ballack zum Rapport. Umso dankbarer ist er jetzt, dass junge Spieler wie Sami Khedira mit der WM 2010 den entscheidenden Karriereschub bekamen. Ballack hingegen wurde durch eine weitere schwere Verletzung im vergangenen September zurückgeworfen, als er sich bei einem üblen Foul des Hannoveraners Sergio Pinto einen Bruch des Schienbeinkopfes zuzog, der ihn für Monate zur Pause zwang. Dass Bayers Trainer Jupp Heynckes nur bedingt von Ballacks Fähigkeiten überzeugt war, zeigte sich daran, dass der Coach seinen Neuzugang häufig auf die Bank setzte. Der Höhepunkt der Demütigung erfolgte im Februar, als Heynckes den Capitano a. D. beim Spiel in Frankfurt vor den Augen des Bundestrainers 40 Minuten lang warm laufen ließ, ohne ihn einzuwechseln.

Nun nimmt Löw bewusst in Kauf, bei einer Verletzung eines Spielers der neuen Generation nicht auf Ballack zurückgreifen zu können. Seine Erfahrungen bei den vergangenen drei großen Turnieren haben ihm gezeigt, dass schnelle Regeneration unverzichtbar für das immer schnellere Spiel ist.

Ballack hingegen wäre bei der WM schon fast 36 Jahre alt und fällt deshalb aus dem Raster. Er kann sich jetzt voll auf seine zweite Saison bei Bayer Leverkusen konzentrieren und sich mit Auftritten in der Champions League trösten - sollte er wenigstens dort den Konkurrenzkampf gewinnen. Am Sonntag ist sein erstes Training angesetzt.