Vor dem Qualifikationsspiel gegen Österreich gibt Deutschlands Nummer eins den Wechsel zum Rekordmeister bekannt

Wien. Natürlich war es nur Zufall, als gestern Mittag genau in dem Moment ein Handy mit der Melodie "Spiel mir das Lied vom Tod" ertönte, als Manuel Neuer von mehr als 100 Journalisten zu seinen Zielen mit dem künftigen Arbeitgeber befragt wurde. Der Nationaltorhüter, freundlich, aber ungewöhnlich ernst, ließ sich aber auch im Presseraum des Wiener Ernst-Happel-Stadions, wo Deutschlands Fußballer heute (20.30 Uhr/ARD) auf Österreich treffen, nicht beirren und von dem akustischen Störmanöver nicht irritieren. Nach einer kurzen Höflichkeitspause atmete Neuer, Schalkes bisherige Nummer eins, tief durch und antwortete, dass er sich in München beim großen FC Bayern persönlich weiterentwickeln wolle. So einfach sei das.

In München. Beim FC Bayern. So einfach war das in den vergangenen Wochen dann eben doch nicht. Neuer musste lange warten, bis er endlich auch offiziell aussprechen durfte, wo er zumindest in den kommenden fünf Jahren seinen Lebensmittelpunkt sieht. 18 Millionen Euro sofort, sieben Millionen Euro Bonuszahlungen, abhängig vom Erfolg des Rekordmeisters. So viel war Bayerns Verantwortlichen die Verpflichtung des Nationaltorhüters, den nicht wenige für den besten Keeper der Welt halten, wert. "Ich bin froh, dass ich den Wechsel endlich verkünden darf. Mich hat das alles schon sehr belastet", sagte Neuer gestern und wirkte dabei so befreit, als sei ihm ein zentnerschwerer Stein vom Herzen gefallen.

Monatelang hatten Schalkes und Bayerns Verantwortliche hinter und auch vor den Kulissen um jeden Cent gefeilscht. Der Personalie Neuer wurde in Gelsenkirchen größere Bedeutung als der Zukunft Guido Westerwelles oder der Vergangenheit Jörg Kachelmanns beigemessen. Tiefpunkt der unendlichen Geschichte war der öffentliche Protest zahlreicher Bayern-Ultras, die aus ihrer Abneigung gegenüber dem ehemaligen Schalke-Ultra Neuer keinen Hehl machten. Vor dem Pokalhalbfinale der Bayern gegen Schalke am 2. März ließ der Fanklub "Münchner Schickeria" mehrere Tausend Plakate mit der Aufschrift "Koan Neuer" verteilen, die Bayerns Anhänger während des Spiels mit Begeisterung in die Höhe hielten. Koan Neuer, auf Hochdeutsch: Kein Neuer, mehr gab es eigentlich nicht zu sagen.

Dass es am Ende doch noch zum Transfer kam, überraschte letztlich niemanden mehr. "Für mich war das ein absolut logischer Wechsel, ein logischer Wechsel", sagte Bundestrainer Joachim Löw, der gern die entscheidenden Worte wiederholt, wenn ihm etwas sehr wichtig ist. "Bayern München hat den Anspruch, jedes Jahr um Titel mitzuspielen", da sei es ganz normal, dass Deutschlands bester Torhüter zu Deutschlands bestem Klub wechseln wolle. Neuer selbst, dessen Freundin Kathrin in München lebt, hörte den Ausführungen aufmerksam zu, verzog bei Löws mehr als 20-minütiger Frage-und-Antwort-Runde aber keine Miene. Erst als der 25-Jährige, der künftig sieben Millionen Euro pro Jahr verdient, gefragt wurde, ob er bereits eine Lederhose habe, lächelte Neuer. Er habe eine, diese sei kein Geschenk der Bayern.

Auch Schalke 04 hat trotz der zu erwartenden 25 Millionen Euro offenbar nichts zu verschenken. So entschied sich Sportchef Horst Heldt dagegen, die über Nacht explosionsartig gestiegenen Ablösesummen für die umworbenen Kevin Trapp (Kaiserslautern) und Ron-Robert Zieler (Hannover) zu zahlen, und nahm stattdessen Frankfurts Ralf Fährmann als Neuer-Ersatz ablösefrei unter Vertrag. "Ralf ist ein sehr talentierter Schlussmann, dessen sportliche Entwicklung längst noch nicht abgeschlossen ist", lobte Heldt den Altbekannten, der schon im zarten Alter von 14 Jahren für Schalke spielte. Ob Fährmann in Neuers doch sehr große Fußstapfen treten kann, wird sich zeigen.

Zumindest in Österreich glaubt offenbar der eine oder andere, dass diese Fußstapfen in Wahrheit gar nicht so groß seien. So fragte die "Kronenzeitung" etwas ketzerisch, was denn bitte schön Österreichs Nummer eins Christian Gratzei, 19, und Neuer überhaupt unterscheiden würde. Die überraschende Antwort: fünfeinhalb Jahre, zwölf Länderspiele, eine WM-Teilnahme, acht Zentimeter Körpergröße und schlappe 23 Millionen Euro. Ansonsten, merkte die Boulevardzeitung aus Wien an, sei ihr Steirer in "absoluter Topstimmung", Neuer dürfte dagegen das Hickhack um seine Zukunft nachhaltig belastet haben. Zumindest diese Einschätzung will Neu-Münchner Neuer, Schuhgröße 47, spätestens heute Abend widerlegen. Nachhaltig.