Der neue Sportchef Urs Siegenthaler rückt in den Vorstand und verordnet dem HSV einen Neuanfang - wahrscheinlich ohne Zé Roberto.

Hamburg. Im Konferenzraum der HSV-Geschäftsstelle in der Nordbank-Arena hat der Aufsichtsrats schon oft wichtige Entscheidungen getroffen. An diesem Montagabend stand nicht weniger als die Zukunft des angeschlagenen Bundesligaklubs auf dem Spiel. Hauptdarsteller der zweistündigen Konferenz war der Schweizer Urs Siegenthaler, designierter Sportchef. Er skizzierte die neue Philosophie, die künftig für den HSV gelten soll.

Die Mitglieder des Kontrollgremiums, die bislang dachten, Siegenthaler würde eher im Hintergrund arbeiten, sahen sich nach der Konferenz eines Besseren belehrt. Der gelernte Ingenieur, derzeit noch als Chefscout in Diensten des DFB, will den HSV grundlegend verändern - und sieht dringenden Handlungsbedarf: "Wir müssen hier erst noch das Fundament legen." Das Vorstandsmandat dafür wird er in Kürze erhalten.

Denn der 62-Jährige will nun doch als offizieller "Vorstand Sport" in die Führung des HSV wechseln. Damit wird voraussichtlich zum 1. August die seit der Demission Beiersdorfers am 23. Juni 2009 vakante Sportchefstelle im Vorstand wieder besetzt.

Zu Beginn seines Referats verwies Siegenthaler auf die Friedensliebe seines Heimatlandes. Seit Jahrhunderten hätten sich die Eidgenossen nicht mehr in kriegerische Auseinandersetzungen verwickeln lassen. Schweizer seien daher, so Siegenthaler, zum Vermittler geboren. Genau die Rolle, die in der Rückrunden-Krise des HSV, als Labbadias Führungsstil immer mehr in die Kritik geriet, schmerzlich vermisst worden.

Allerdings wird sich Siegenthaler nicht auf eine Diplomatenrolle festlegen lassen. Im Gegenteil: Der Schweizer stellte unmissverständlich klar, dass er neben sich und dem Trainer im sportlichen Entscheidungsbereich niemanden dulden werde. "Das muss reichen. Wenn der Aufsichtsrat da noch jemanden holen will, bin ich zu viel."

Auch bei den Profis will Siegenthaler eher mit der Machete als mit der Nagelschere alte Zöpfe abtrennen. Der Schweizer sprach vor den Aufsichtsräten von den zehn Geboten, die künftig beim HSV gelten sollen. Das oberste heißt Disziplin. Kein Profi wird sich mehr erlauben können, später als eine Stunde vor Trainingsbeginn zu erscheinen. Siegenthaler wird auch eigenmächtige Urlaubs-Überziehungen - Zé Roberto etwa kam im Winter zwei Wochen zu spät aus seiner brasilianischen Heimat zurück - nicht mehr tolerieren. Er kündigte an, in solchen Fällen sofort alle Gehaltszahlungen einzufrieren.

Auch der Kader des HSV wird sich gravierend verändern. Unabhängig von der Laufzeit der Verträge wird sich der HSV von Spielern trennen, die Einstellung oder sportliche Klasse vermissen lassen. Als sicher gilt, dass Guy Demel, dessen Vertrag noch im Winter vorzeitig verlängert werden sollte, gehen muss. Spätestens durch seine Fehler im Europa-League-Halbfinale hat Demel wohl den letzten Kredit beim Vorstand verspielt. Eng wird es ebenso für David Rozehnal, dessen fünf Millionen Euro teure Verpflichtung zu den teuersten Transfer-Irrtümern der HSV-Geschichte zählt, dicht gefolgt vom Zehn-Millionen-Euro-Einkauf Marcus Berg.

Auch die Wege von Zé Roberto und dem HSV werden sich wohl wieder trennen. Wiederholt soll der Brasilianer in der Kabine geäußert haben, dass er auf der Zielgeraden seiner Karriere unbedingt das lukrative Angebot der Red Bulls New York annehmen will. Entsprechend lustlos waren seine Auftritte in der Rückrunde. Öffentlich hält sich der Vorstand noch bedeckt, um eine angemessene Ablöse zu erzielen.

Trainer muss zur Vereinsphilosophie passen, nicht umgekehrt

Da fügt es sich gut, dass Siegenthaler verstärkt auf Talente setzen will. Und zwar in erster Linie auf deutschsprachige. Die Nachwuchsarbeit des Vereins, sagte Siegenthaler, werfe seit Jahren trotz Millionen-Investitionen kaum sportliche Rendite ab. Auch hier soll es Veränderungen geben. Ob Rodolfo Cardoso Trainer des U-23-Teams bleiben darf, ist offen.

Und der neue Cheftrainer? Siegenthaler sagte, künftig müsse der Trainer zur Vereinsphilosophie passen - und nicht mehr umgekehrt. "Ich werde als Sportchef nicht täglich vermitteln müssen", beantwortete der neue Sportchef die Frage, ob er sich ähnlich wie sein Vorgänger Beiersdorfer nah an der Mannschaft aufhalten wird. "Wenn ich irgendwann zwischen Trainer und Mannschaft vermitteln muss, wäre es eh schon zu spät."

Umso wichtiger wird die Auswahl des neuen Trainers. Eine Aufgabe, die Siegenthaler selbst angehen will. "Er muss eine starke Persönlichkeit sein. Er muss gleich denken, gleich sprechen und gleich handeln." Kandidaten werden bald benannt. Von ihm allein, denn "mehr als ein Koch verderben den Brei". In diesem Punkt will der geborene Vermittler genau das nicht mehr sein. Gut, dass der Aufsichtsrat hinter ihm steht. Dessen Mitglieder hat er an jenem Abend nachhaltig beeindruckt. Zumindest in der Theorie.