Jerome traf auf Kevin-Prince Boateng. Am Ende durften sich beide über den Einzug ins Achtelfinale freuen

Johannesburg. Nach dem Abpfiff gab er seine Anspannung dann zu. "Ich habe den ganzen Tag doch viel über dieses ganz besondere Spiel nachgedacht", erklärte Jerome Boateng. Am Montag hatte der HSV-Star von seinem Debüt bei dieser WM erfahren. "Da hat mir der Bundestrainer gesagt, dass ich mich auf einen Einsatz vorbereiten soll."

Und so kam es im Soccer-City-Stadion von Johannesburg nicht nur zum Duell Deutschland gegen Ghana, sondern auch Bruder gegen Bruder - das erste Mal bei einer WM kam es zu solch einer Konstellation. Joachim Löw hatte sich entschieden, seine Abwehr nach der schwachen Vorstellung von Holger Badstuber umzustellen. Am Ende fiel seine Wahl auf Jerome Boateng, der zwar in der Regel auf der rechten Seite verteidigt, für die Hamburger in der Vergangenheit aber auch schon gute Spiele auf links gezeigt hatte.

Als die Nationalhymnen erklangen, wirkte Jerome Boateng ergriffen, seine Augen schienen feucht, er musste schlucken. Kurz darauf, um 20.17 Uhr, klatschten sich die beiden Brüder, die zuvor jeden Kontakt vermieden hatten, beim üblichen Händeschütteln beider Teams ab und schauten sich kurz an, blieben aber reserviert. Der Streit um die Aufarbeitung der Verletzung von Michael Ballack wirkte bis zum Spiel nach. Jerome, der in der kommenden Saison für Manchester City spielen wird, hatte seinen Bruder für das Foul scharf kritisiert. Der brutale Tritt von Kevin-Prince Boateng hatte Ballack seinen WM-Traum gekostet. Entsprechend harsch fiel auch die mediale Reaktion in Deutschland aus.

Wer erwartet hätte, dass Jerome Boateng, der im Spiel nur selten auf seinen eher auf der anderen Seite agierenden Bruder traf, mit seinen Nerven zu kämpfen haben würde, täuschte sich. Zwar konnte er nicht jeden Angriff unterbinden, gehörte aber zumindest in der ersten Halbzeit noch zu den besseren Spielern in der deutschen Mannschaft. Hinten links hielt er den Laden bis auf eine nicht verhinderte Flanke von Andre Ayew (32.) dicht. Dafür rettete der 21-Jährige, der nicht bei der Hymne mitsang, in Zweikämpfen gegen Ayew (24.) und war auch gegen Asamoah Gyan (22.) zur Stelle. Kurz nach dem Führungstor stand er gegen Prince Tagoe schlecht, klärte aber noch zur Ecke.

Kevin-Prince Boateng, 23, der vor dem Spiel von den deutschen Fans lautstark ausgepfiffen wurde, hatte sich "auf der Playstation für das Duell gegen Deutschland" warm geschossen - sein einziger Schussversuch vor der Pause wurde abgeblockt (38.). Vergeblich und blass mühte er sich als Ballverteiler im Mittelfeld, das von ihm versprochene "geile" Spiel gab es nicht.

"Man muss versuchen, ihn auf dem Platz zu bändigen", hatte Bastian Schweinsteiger die Marschroute vorgegeben. Das gelang gegen den Mann mit den vielen Tattoos, der vor dem Spiel mit der Hand auf dem Herzen und geschlossenen Augen der Hymne seines Wahl-Landes gelauscht hatte.

Nach dem Schlusspfiff aber konnten sich dann beide Boatengs freuen. Nach dem 1:0 (0:0) von Johannesburg steht die Familie Boateng jedenfalls komplett im WM-Achtelfinale - ein weiteres WM-Zusammentreffen ist also nicht ausgeschlossen.

Von einem "Familienkrieg" ("ghanasoccernet") hatte der 21-jährige Je-rome Boateng ohnehin nichts wissen wollen. "Er ist mein Bruder und bleibt mein Bruder", sagte der Hamburger - vielleicht blieb ja in den Stadion-Katakomben Zeit für eine längere Aussprache.