Jupp Heynckes schwärmte von der Willensleistung seines Teams – und der „Hunger“ auf dem Weg ins Heimfinale bleibt riesengroß. Nach dem 2:1-Erfolg im grandiosen Halbfinal-Hinspiel wollen die Münchner um Siegtorschütze Mario Gomez auch in Madrid auf Sieg spielen.

München. Mario Gomez hatte seine dunkle Wollmütze tiefer als sonst ins Gesicht gezogen, doch das Funkeln in seinen Augen war klar zu erkennen. „Ich träume davon, ins Finale zu kommen“, sagte er, „und es ist nicht nur ein Traum. Wir haben auch den Glauben und die Möglichkeit, es zu schaffen.“ Die Erfüllung dieses Traums vom „Finale dahoam“ in der Champions League am 19. Mai ist für Bayern München nach dem 2:1 (1:0) im Halbfinal-Hinspiel gegen Real Madrid zum Greifen nah. Doch nicht nur Last-Minute-Torschütze Gomez sieht die Münchner vor dem Rückspiel am kommenden Mittwoch vor einer Herkulesaufgabe.

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„2:1, das ist ein gefährliches Ergebnis“, mahnte Gomez nach seinem zwölften Treffer im laufenden Wettbewerb (90.), „wir müssen nochmal 90 Minuten Vollgas geben.“ Die Verantwortlichen bemühten mit Blick auf das Gastspiel im Estadio Santiago Bernabeu Wörter wie „schwierig“ (Vorstandsboss Karl-Heinz Rummenigge), „hartes Stück Arbeit“ (Trainer Jupp Heynckes) oder „heißer Tanz“ (Sportdirektor Christian Nerlinger). Präsident Uli Hoeneß sprach nicht, doch sein verhaltener Jubel nach dem Spiel ließ erahnen, wie groß der Respekt vor den Königlichen bleibt. Bei aller angebrachter Skepsis überwog allerdings der Stolz der Bayern.

Dank der Treffer von Franck Ribery (17.) und Gomez hatten sie Madrid nicht nur auch im fünften Halbfinal-Heimspiel bezwungen, mit ihrem leidenschaftlichen Auftritt begeisterten sie auch die Fans. Rummenigges Brust schwoll sichtbar an, als er die Spieler lobte, Heynckes legte seine Zurückhaltung ab.

„Leidenschaft, Gier, Hunger - all das, was ich gefordert habe, haben meine Spieler gezeigt“, sagte er. Und Nerlinger stellte zufrieden fest, dass die Mannschaft bewiesen habe, „dass wir auf diesem Niveau Fußball spielen können“. Nach dem Tiefschlag von Dortmund und der verpassten Meisterschaft Balsam auf die geschundene Seele.

Am Freitag dürfen die Bayern die Trophäe mit den großen „Ohren“ schon mal aus nächster Nähe betrachten: Dann bringt UEFA-Präsident Michel Platini den Pokal fürs Finale an die Isar. Doch nicht nur die Qualität der Königlichen mit dem seltsamer Weise ausgewechselten Torschützen Mesut Özil, Cristiano Ronaldo und Sturmtank Karim Benzema verhinderte Überschwang. Auch die ein oder andere offen zutage getretene eigene Schwäche ließ leise zweifeln. Kapitän Philipp Lahm etwa hatte Superstar Ronaldo über 90 Minuten im Griff, stand beim 1:1 von Özil (53.) aber fast zehn Meter vom passgebenden Portugiesen entfernt.

Zuvor hatte Bastian Schweinsteiger, nach langer Verletzungspause sichtbar noch nicht wieder voll auf der Höhe, entscheidend im Zweikampf gepatzt. „Beim 1:1 haben wir nicht gut ausgesehen“, monierte Rummenigge, Torwart Manuel Neuer betrieb gar ungewohnt heftige Kollegenschelte. „Wir haben eigenen Eckball! Aus so einer Situation darf man kein Gegentor bekommen!“, sagte er. Schweinsteiger wollte sich zu seinem Fauxpas nicht äußern, Heynckes aber nahm den Vize-Kapitän in Schutz - obwohl er ihn ausgewechselt hatte (61.). Zwar habe Schweinsteiger beim 1:1 „unglücklich agiert“, insgesamt sei er aber zufrieden gewesen mit ihm. Dennoch: Schweinsteiger wird sich in Madrid steigern müssen.

Und hätte der ansonsten ordentliche Sami Khedira Lahms Flanke auf Gomez und damit den Münchner Sieg verhindert, was mit einem kurzen Sprint leicht möglich gewesen wäre, hätte Real im Rückspiel schon ein 0:0 gereicht.

So aber erwarten die Bayern in einer Woche nicht weniger als einen Sturmlauf Reals. Das aber, glaubt Franz Beckenbauer, könnte ihnen Möglichkeiten eröffnen. „Real muss offensiver spielen, da wird es Räume zum Kontern geben“, sagte er. Die Chancen auf den neunten Endspiel-Einzug bezifferte der „Kaiser“ deshalb optimistisch auf „60:40“. Rummenigge sieht die Münchner beim zehnten Auftritt in Madrid (2 Siege, 6 Niederlagen) „nicht chancenlos“, Arjen Robben schwor gar: „Wir kommen weiter!“ Das fürchtet auch die spanische Presse. „Der Wolf bleibt böse“, schrieb etwa das Madrider Sportblatt AS über den Angstgegner.

Die Königlichen sehen das qua ihrer Klub-Doktrin, gemäß der neben dem Sieg nur noch der Sieg und der Sieg zählen, erwartungsgemäß anders. „Ich glaube an unsere Stärke“, versicherte Özil nach seinem „leichtesten Tor“, und ergänzte schelmisch grinsend: „Wir sehen uns wieder in München.“

Trainer Jose Mourinho, der Schiedsrichter Howard Webb (England) gar nicht vorwerfen wollte, dass der vor Riberys Tor die Abseitsstellung Luiz Gustavos übersehen hatte, hält dafür nicht mehr als ein „normales Ergebnis“ vonnöten. „1:0, 2:0, 3:1 - das ist machbar. Es wäre nicht das größte Comeback der Geschichte.“ Der Coach wie ganz Madrid setzt jetzt auf die „Hölle Bernabeu“.

Internationale Pressestimmen

SPANIEN

„El País“: „Real spekulierte auf ein Remis und wurde dafür bestraft. Beide Teams zwängten die Partie in ein taktisches Korsett. Sie wussten, dass jeder Fehler entscheidende Konsequenzen haben kann, und taten daher alles, Fehler zu vermeiden.“

„El Mundo“: „Wieder einmal stolpert Real Madrid in der Hölle von München. Immer diese Deutschen! Dabei trägt der Schütze des Siegtores der Bayern einen spanischen Namen: Gómez.“

„Marca“: „Özils Tor kann Gold wert sein. Real hat gute Chancen, zum Finale nach München zurückzukehren.“

„As“: „Real kann in München einfach nicht gewinnen, auch wenn Augenthaler, Hoeneß und Rummenigge längst nicht mehr spielen. Die alten Schreckgespenster haben zwar Haare verloren, nicht aber ihre Wirkung auf die Madrilenen.“

ENGLAND

„Sun“: „Mario Gomez landete in letzter Sekunde einen Treffer und befeuerte damit Bayerns Traum von einem Finale in München.“

„Daily Mail“: „Die Bilanz von Real Madrid in München ist derart schlecht, dass man um Jose Mourinhos Hoffnungen fürchten muss, die Champions League mit drei verschiedenen Clubs zu gewinnen – selbst, wenn sie bis zum Finale in der Allianz Arena im nächsten Monat überall gewinnen. Sie sind in diesem Wettkampf zehnmal nach Bayern gefahren, und neunmal haben sie verloren.“

„The Times“: „Gómez lacht zuletzt, indem er den Bayern eine schmale Führung gibt.“

„Daily Telegraph“: „Gómez' Schmettern und Packen betäubt Real“

„The Guardian“: „Es war ein Spiel zwischen zwei Größen des europäischen Fußballs, aber es hatte eine Rohheit und eine Hitzigkeit in sich, die jeden an die Rivalität zwischen diesen Clubs erinnerte.“

ITALIEN

„La Gazzetta dello Sport“: „Bayern reale (königliches Bayern). Mou zittert. Das Gomez-Tor lässt Real erstarren.“

„Tuttosport“: „Ribery und Gomez – Oh weh, Mourinho. Bayern und Real zeigten ein wunderschönes Spiel.“

„Corriere dello Sport“: „Gomez versenkt Mourinho.“

FRANKREICH

„L'Équipe“: „Von einem explosiven Ribéry angetrieben haben die Deutschen die spanische Armada zum Kentern gebracht. Angesichts der Intensität dieser ersten Begegnung zeichnet sich für nächsten Mittwoch in Madrid ein fantastisches Halbfinal-Spiel ab.“

„France Football“: „Das ist Fußball! Bayern München hat sich in einem hochklassigen Spiel daheim im ersten Halbfinale der Champions League gegen Real Madrid mit 2:1 durchgesetzt. Eine gute Nachricht für Laurent Blanc: Franck Ribéry, Schütze des ersten Treffers, hat es lichterloh brennen lassen.“

„Le Figaro“: „Die Bayern können daran glauben! Das Team galt vor dem Halbfinale als Außenseiter, aber Bayern München hat alle Voraussagen Lügen gestraft und das Hinspiel gegen Real Madrid 2:1 gewonnen.“

PORTUGAL

„Público“: „Mourinho musste in der letzten Minute der Partie schmerzhaft zur Kenntnis nehmen, dass er mit seiner vor dem Spiel gemachten Aussage Recht hatte: Die Bayern spielen wie eine echte Mannschaft.“

„Jornal de Noticias“: „Bayern ist wirklich der Angstgegner von Real Madrid in der Champions. Ironie des Schicksals: Es war ausgerechnet das Ausgleichstor von Özil (53.) nach Pass des inspirationslosen Ronaldo, der kurz davor eine Chance in unglaublicher Form vergeben hatte, das den Anfang vom Ende von Real Madrid in der Allianz Arena einleitete. Die Bayern wachten auf, Real zog sich zurück und José Mourinho setzte irrtümlicherweise auf das Unentschieden.“

„A Bola“: „Tradition hat im Fußball noch Gewicht. Die „Merengues„ können in München weiter einfach nicht gewinnen. In zehn Auswärtsspielen bei den Bayern hat die Mannschaft aus Madrid neun Schlappen kassiert und nur ein Remis erreicht. Bayern und Real waren auf der Höhe ihrer Ruhmesblätter und lieferten ein großes Match.“

Statistik:

München: Neuer - Lahm, Boateng, Badstuber, Alaba - Luiz Gustavo, Schweinsteiger (61. Thomas Müller) - Robben, Toni Kroos, Ribery - Gomez. - Trainer: Heynckes

Real: Casillas - Arbeloa, Pepe, Ramos, Coentrao - Alonso, Khedira - Di Maria (80. Granero), Özil (69. Marcelo), Ronaldo - Benzema (84. Higuain). - Trainer: Mourinho

Schiedsrichter: Howard Webb (Rotherham)

Tore: 1:0 Ribery (17.), 1:1 Özil (53.), 2:1 Gomez (90.)

Zuschauer: 66.000 (ausverkauft)

Beste Spieler: Badstuber, Schweinsteiger, Ribery - Alonso, Özil, Benzema

Gelbe Karten: Badstuber (2), Robben, Lahm (2) - Alonso (4), Coentrao (2), Di Maria, Ramos (2), Higuain (2), Marcelo

Torschüsse: 15:13

Ecken: 6:4

Ballbesitz: 53:47 Prozent

Mit Material von sid