Weltmeister Rainer Bonhof erklärt, wie sich Borussia Mönchengladbach vom Abstiegs- zum Meisterschaftskandidaten entwickelte.

M'gladbach/Hamburg. Fast jeden Tag steht Rainer Bonhof am Trainingsplatz im Borussia-Park und schaut den Mönchengladbacher Profis bei der Arbeit zu. So auch gestern, zwei Tage vor dem Spiel gegen den HSV (20.30 Uhr). "Was ich hier sehe, ist harte, intensive Arbeit", sagt der Weltmeister von 1974, der seit 2009 als Vizepräsident die sportliche Verantwortung trägt. "Und da haben Sie schon den Schlüssel für unseren Erfolg."

+++Hanke und Stranzl kehren gegen den HSV zurück+++

Am 13. Februar 2011 zogen Bonhof und seine Präsidiumskollegen den letzten Joker. Die Borussia lag sieben Punkte hinter dem Relegationsrang, als Trainer Michael Frontzeck seinen Platz für Lucien Favre räumen musste. In den folgenden Monaten wurde nicht nur der Abstieg vermieden - nach dem 1:1 beim HSV retteten sich die Gladbacher in den Relegationsspielen gegen Bochum -, es begann der wundersam anmutende Aufstieg, der die Borussia bis ins Pokal-Halbfinale und auf Rang zwei in der Liga führte. Inzwischen kursieren im Internet auf YouTube sogarVideomitschnitte von atemberaubend schnellen Kurzpassstafetten, die mit "Borussia Barcelona" betitelt sind. Und man fragt sich unweigerlich: Wie ist das möglich in so kurzer Zeit? Wie kann es sein, dass ein Mike Hanke im Angriff eines Meisterschaftskandidaten steht?

"Was viele Menschen in der Rückschau heute vergessen, ist die Tatsache, dass Frontzeck damals in der Defensive etliche verletzte Spieler nicht zur Verfügung standen", sagt Bonhof. Die Leistungsträger Stranzl, Nordtveit und Hanke wurden zudem erst im vergangenen Winter verpflichtet. Aber das sind nur störende Elemente, wenn im Fußballmärchen vom Niederrhein aufgezählt wird, dass die Borussia unter Frontzeck 56 Tore in 22 Spielen kassierte, unter Favre aber nur neun.

Natürlich ist der Aufschwung das Werk Favres. "Der Sport ist sein Ein und Alles", charakterisiert Bonhof den Trainer. "Er verbringt ganz einfach sehr viel Zeit damit, sich Gedanken über den Fußball zu machen."

Stundenlang brütet der 54-jährige Schweizer über Videomaterial zum kommenden Gegner. Bonhof: "Oft sind es die kleinen Dinge, die er auf einer DVD sieht. Wenn er glaubt, geeignete Maßnahmen gefunden zu haben, versucht er diese auf dem Trainingsplatz umzusetzen." Wenn der Begriff Konzepttrainer auf jemanden zutrifft, dann auf Favre, der fast pedantisch auf der Suche ist, die Formel des Erfolgs zu entschlüsseln, und der selbst zugibt: "Die Perfektion bleibt immer das Ziel."

Die Mannschaft hört bedingungslos auf den Lehrmeister, hat die Anforderungen sowohl in der Offensiv- als auch Defensivbewegung verinnerlicht. Weil Favre zumeist nur verletzungsbedingt oder wegen Sperren seine Stammelf umbaute, konnten sich in den vergangenen Monaten Lauf- und Passwege einspielen - mit Hanke als wertvollem Ballverteiler. Prämisse dieses hochgelobten Kombinationsspiels bleibt aber eine stabile Verteidigung. Nur 13 Gegentore sind Bestwert der Liga. Kürzlich beschrieb Abwehrchef Dante im "Spiegel", wie er von Favre profitierte. Der Brasilianer sagte, er sei antrittsschneller, weil ihm der Coach geraten habe, mehr auf dem Vorderfuß zu stehen, wenn er nicht am Ball sei.

Dante beschert Bonhof in diesen Tagen viel Arbeit. Erfolg macht neidisch und weckt Begehrlichkeiten der Konkurrenz, in diesem Fall der FC Bayern. Doch noch gibt sich Bonhof nicht geschlagen: "Dante will kommende Saison international spielen. Wenn auch er in den nächsten Spielen die entsprechende Leistung abliefert, dann kann er dies auch bei der Borussia tun." Ob die Gladbacher den Kampf um den bis 2014 unter Vertrag stehenden Verteidiger gewinnen können, ist jedoch offen. Schon bei Marco Reus (für 17 Millionen Euro im Sommer zu Dortmund) und Roman Neustädter (ablösefrei nach Schalke) ist der Klub vergeblich bis an die finanzielle Grenze gegangen. Und auch der Trainer ist mit seiner akribischen Arbeitsweise in den Fokus gerückt. Längst wird darüber spekuliert, ob er in München Jupp Heynckes beerben könnte.

Doch das ist Zukunftsmusik und hat weder in Bonhofs noch in Favres Kopf Platz. "Das ist eine verbotene Formulierung, aber der Trainer denkt wirklich nur ans nächste Spiel", sagt Gladbachs Vize, "und das ist Hamburg." Eine Partie, auf die sich Bonhof auch deshalb freut, weil er seinen langjährigen Freund Frank Arnesen trifft: "Er war 1980 mein Nachfolger in Valencia, seitdem kennen wir uns und haben uns auch einige Male im Urlaub auf Mallorca getroffen." Während Arnesens Ära bei Chelsea arbeitete Bonhof drei Jahre als Chefscout für Deutschland eng mit dem früheren Sportdirektor zusammen. Jetzt treffen sie sich wieder. Er als Vertreter eines Mitfavoriten für den Titel. Und Arnesen als Manager eines Vereins, der möglichst schnell einen ähnlichen Weg gehen will, wie ihn die Borussia hinter sich gelegt hat.