Corny Littmann warnt vor englischen Verhältnissen. St. Paulis Präsident will für Gästefans nicht mehr verantwortlich sein und kritisiert die DFL.

Hamburg. Keine Stehplätze und kein Alkohol, dafür Polizisten, die von den Vereinen bezahlt oder einem hohen Aufgebot vereinseigener Sicherheitskräfte ersetzt werden und Zuschauer, die beim Kauf der Karte ihren Ausweis vorzeigen und persönliche Daten angeben mussten. Alltag in immer mehr europäischen Stadien, darunter auch sämtliche Fußball-Arenen in den ehemaligen Hochburgen der Fußballromantik: England und Italien. "Niemand will diese englisch-italienischen Verhältnisse", sagt Corny Littmann, "aber es wird auch bei uns passieren, wenn wir nicht kreativ und fantasievoll mit dem Gewaltproblem umgehen."

Während andere Vereine angesichts steigender Härte und Häufigkeit von Sicherheitsverstößen Ohnmacht demonstrieren und die Gewalt als ein Gesellschaftsproblem aus dem Stadion diskutieren, sieht der Präsident des FC St. Pauli Vereine und Verbände mehr denn je in der Pflicht. "Wir sollten nicht den Kopf in den Sand stecken. Zu sagen, es gibt kriminelle Fangruppen auf der einen, die Polizei auf der anderen Seite, und wir stehen achselzuckend in der Mitte, ist ein Armutszeugnis. Die Vereinsführungen sind da einziger kompetenter Dialogpartner", sagt Littmann, der verhärtete Fronten festgestellt hat: "Die Situation zwischen Fans und Polizei ist sehr emotionalisiert, und ich kann beide Seiten verstehen. Die Polizeiaufgebote werden immer größer, die Ausrüstung immer martialischer. Fans fühlen sich kriminalisiert, die Beamten sind unzufrieden über den erhöhten Aufwand. Es ist ein Teufelskreis."

Doch der 57-Jährige zeigt Lösungswege auf und will Vorfälle wie am vergangenen Wochenende beim Bundesligaspiel zwischen Hertha BSC und dem 1. FC Nürnberg, als etwa 100 Berliner Randalierer nach dem Schlusspfiff in den Innenraum des Olympiastadions eindrangen und für Sachbeschädigungen sorgten, präventiv bekämpfen. "So ein Verhalten fällt nicht vom Himmel sondern ist vielmehr Ausdruck des Bemühens des Vereins in die eigene Fanarbeit", glaubt Littmann und nennt ein weiteres Beispiel: "Wenn uns Verantwortliche von Hansa Rostock achselzuckend sagen, dass ein Drittel ihrer Fans rechtsradikal sind, dann frage ich mich, weshalb man die noch ins Stadion lässt."

Die Vereine sollen mehr Verantwortung übernehmen, sich den Problemen nicht verschließen. Und da sei es auch unerheblich, ob der Klub ein Heim- oder ein Auswärtsspiel bestreite. "Wenn im Gästeblock Bengalos gezündet werden, wenn Schneebälle oder andere Gegenstände auf das Spielfeld geworfen werden, dann haftet dafür bislang der Heimverein. Weshalb?", fragt Littmann, "wir sollten eine Mitverantwortung für unsere Fans übernehmen. Auch außerhalb der 90 Minuten und außerhalb des Stadions. Vorausgesetzt, der andere Verein täte dies auch für seine Anhänger."

Ein Vorschlag, den er aufgrund der Hausrecht-Problematik für juristisch schwierig, in der Praxis aber für umsetzbar hält und den St. Paulis Präsidium jüngst der Deutschen Fußball-Liga (DFL) in Frankfurt offerierte - und abblitzte. "Wir haben daraufhin ein paar grundsätzliche Fragen zu klären versucht", sagt Littmann und zählt auf: "Wie ist denn die genaue Erwartung an den Verein, der das Hausrecht hat? In welchem Umfang und mit welcher Qualität sollen die Kontrollen vor dem Stadion durchgeführt werden? Schließlich sind wir ja dazu verpflichtet, zehn Prozent der Karten an Gästefans zu geben. Nähere Auskünfte erhielten wir auf unsere Fragen nicht, außer der Folge, dass man bei Verstößen bestraft wird. Das kann es nicht sein", findet Littmann und macht damit ein weiteres Problem deutlich: "Die DFL muss sich fragen, wofür sie eigentlich Verantwortung trägt. In den meisten Sicherheitsfragen nimmt sie maximal eine Mittlerrolle ein. Als wir in der Hinrunde gefragt haben, weshalb unser Spiel in Rostock trotz der Erfahrungen aus der Vergangenheit auf einem Montagabend stattfindet, erhielten wir keine Antwort."

Vor dem Rückspiel gegen Rostock am 28. März stellte St. Pauli nun einen Antrag, der die mögliche Aussperrung der Rostocker Fans thematisierte. "Wir wollten sehen, wie weit unsere Entscheidungsfreiheit geht", erklärt Littmann. Die bindende Entscheidung oblag ohnehin der Hamburger Polizei: Das Sitzplatzkontingent von 500 Plätzen blieb unangetastet, die Tickets werden nur personalisiert verkauft, Stehplätze gestrichen. England und Italien lassen grüßen.

Lesen Sie morgen: HSV-Supporterschef Ralf Bednarek spricht über Vorurteile und Klischees gegenüber Fußballfans.