Der HSV-Fan über den Reiz, sich mit Anhängern anderer Klubs zu treffen und zu prügeln.

In seinem im vergangenen Sommer erschienenen Buch "In kleinen Gruppen, ohne Gesänge" schildert der Harburger Alexander Hoh (41) in 14 Kapiteln die skurrilsten Abenteuer aus zehn Jahren mit den Hamburg Hooligans zwischen 1985 und 1995.

Abendblatt:

In Ihrem Buch beschreiben Sie, dass es vorgekommen ist, dass Leute nach einem Gespräch mit Ihnen nicht glauben konnten, dass Sie an Fußball-Gewalt beteiligt waren. Wie erklären Sie sich, dass ein nach eigener Aussage friedliebender und ausgeglichener Mensch wie Sie ein Hooligan geworden ist?

Alexander Hoh:

Ich habe 1978 mein erstes HSV-Spiel besucht und 1984 als Jugendlicher zum ersten Mal Ausschreitungen beim Fußball beobachtet. Ich fand das alles unglaublich aufregend. Für mich war es die Suche nach Abenteuern, und natürlich hat auch die Gruppenzugehörigkeit eine Rolle gespielt.

Abendblatt:

Man hört oft, Hooligans seien aus allen Teilen der Gesellschaft gekommen. Wie war das in Ihrer Gruppe?

Hoh:

Genau so. Es war tatsächlich ein Querschnitt durch die Gesellschaft. Das Faszinierende war, dass Jugendliche mit derart verschiedenen sozialen Hintergründen und Werdegängen, die oftmals sonst keinerlei Gemeinsamkeiten hatten, so stark zusammengehalten haben.

Abendblatt:

Beschreiben Sie den Spaß, den es macht, sich auf der Straße oder im Stadion zu prügeln, immer im Bewusstsein, dass man sich verletzen oder festgenommen werden könnte.

Hoh:

Ich habe das Ganze immer aus sportlicher Perspektive betrachtet. Der Reiz war, dass man sich mit Gleichgesinnten misst. Auf der Straße kam der Reiz hinzu, dass man nie wusste, wann und wo man auf die Gegner traf. Hinzu kam noch, dass man ständig versuchte, die Polizei auszutricksen. Man darf auch nicht den Fehler machen, die Hamburg Hooligans nur auf Schlägereien zu reduzieren. Es gab viele Wochenenden, an denen es überhaupt keine Ausschreitungen gab und wir trotzdem eine Menge Spaß hatten. Wir waren eine sehr kreative und dynamische Gruppe und haben allerhand Schabernack veranstaltet.

Abendblatt:

Trotzdem haben Sie dabei in Kauf genommen, sich selbst, vor allem aber Unbeteiligte zu verletzen. Ganz zu schweigen von den Sachschäden.

Hoh:

Ehrlich gesagt habe ich mir in der Anfangszeit darüber nicht allzu viele Gedanken gemacht. Ich bin niemals mit dem Vorsatz losgezogen, Außenstehende zu verletzen, aber natürlich habe ich es billigend in Kauf genommen, dass es aus der Gruppe heraus passieren könnte. Und die Sachbeschädigungen und Plündereien, die zeitweise um sich griffen, haben mich persönlich schon relativ schnell genervt.

Abendblatt:

Hatten Sie niemals die Angst, einen Menschen zu töten oder selbst getötet zu werden?

Hoh:

Nein, darüber hat man sich keine Gedanken gemacht. Man steigt ja auch nicht ins Auto und denkt in jeden Moment: 'Gleich macht mich ein LKW platt!' Manchmal dachte man nach einer unübersichtlichen Schlägerei, besonders wenn Gegenstände geworfen wurden: 'Puh, da hast du aber Glück gehabt!' Aber das war es dann auch schon. Es gab eine Art ungeschriebenen Ehrenkodex unter den Hooligans. Wenn jemand am Boden lag, war Schluss, und darauf konnte man sich meistens auch verlassen.

Abendblatt:

Sie schreiben: 'Wir waren wahrlich keine Waisenknaben, aber wir waren ganz bestimmt auch nicht die kriminellen und gewalttätigen Elemente, als die wir gerne dargestellt wurden.' Haben Sie aber nicht gerade die Bühne Fußball benutzt, um Ihre Lust am Krawall öffentlichkeitswirksam auszuleben?

Hoh:

Auf keinen Fall. Wir waren ja schon alle leidenschaftliche HSV-Fans, bevor die Hamburg Hooligans existierten. Natürlich hat man in der Anfangszeit montags in die Zeitung geschaut, um zu sehen, was da stand. Aber das war ganz sicher keine Motivation. Die Berichte waren ja auch immer aufgebauscht und übertrieben dargestellt. Ein Klassiker war, dass in fast jedem Artikel über wildgewordene Fans, die mit Baseballschlägern aufeinander eingeprügelt haben, die Rede war. Ich habe in meiner Zeit niemals jemanden mit einem Baseballschläger beim Fußball gesehen. Fußballausschreitungen waren und sind immer für eine gute Schlagzeile gut, und bei brisanten Spielen sind auch heute noch häufig fast mehr Kamerateams als Hooligans anwesend. Es ist wirklich erstaunlich, mit welcher blanken Doppelmoral da teilweise berichtet wird.

Abendblatt:

Sie gehen auch mit der Polizei sehr kritisch ins Gericht. Kann man verlangen, pfleglich behandelt zu werden, wenn man sich selbst nicht an Gesetze hält?

Hoh:

Für die Polizei war es natürlich nicht einfach, und sicherlich hatten viele junge Beamte Angst und haben deshalb noch härter durchgegriffen. Es gab aber auch Polizisten, die nur darauf gewartet haben, dass etwas passiert, damit sie richtig austeilen können. Fakt ist, dass häufig die schwersten Verletzungen durch in Kopfhöhe geschlagene Polizeiknüppel verursacht wurden. In weiten Teilen der Öffentlichkeit besteht auch heute noch die Meinung, dass man bei Fußballkrawallen ordentlich dazwischen hauen muss. Ich bin jedoch der Meinung, dass die Polizei jederzeit die Grundrechte zu wahren hat. Wenn jemand mit Tempo 70 an einer Grundschule vorbeifährt und von der Polizei angehalten wird, wird der ja auch nicht erst mal nach Strich und Faden vermöbelt, weil er das Leben von Kindern gefährdet hat. Damals wie heute trägt das Auftreten der Polizei sehr stark dazu bei, wie angespannte Situationen eskalieren können. Das ist nicht nur auf Fußball beschränkt, da hat die Polizei großen Nachholbedarf.

Abendblatt:

Glauben Sie, dass all die Maßnahmen, die heute gegen Fußballgewalt versucht werden, überhaupt ins Ziel treffen können, oder wird es immer Menschen wie Sie geben, die sich von nichts abhalten lassen?

Hoh:

Natürlich wird es immer Leute geben, die sich durch nichts beeindrucken lassen. Wir hatten seinerzeit ein wesentlich verbraucherfreundlicheres Umfeld als heute. Viele der Aktionen, die ich im Buch beschreibe, wären heute so nicht mehr möglich. Durch die neuen Arenen passiert in den Profiligen im und ums Stadion kaum noch etwas, aber die Gewalt verlagert sich dann in die unteren Ligen, wo die Stadien marode sind und es wenig Ordnungsdienst gibt. Oder die Leute verabreden sich auf irgendeinem Acker. Ausschreitungen beim Fußball gab es immer und wird es immer geben, weil eben sehr viele Emotionen mit im Spiel sind.

Abendblatt:

Können Sie verstehen, dass viele Menschen Sie und Ihr Tun für asozial halten?

Hoh:

Ich habe Verständnis dafür, dass viele Leute das nicht nachvollziehen können. Ich habe das Buch auch nicht geschrieben, um mich zu rechtfertigen oder um vor meiner Vergangenheit zu Kreuze zu kriechen. Die vielen lustigen und unglaublichen Geschichten waren es einfach wert, zu Papier gebracht zu werden. Mir war es am wichtigsten, dass meine alten Gefährten das Buch lesen, es mit einem Lächeln beiseite legen und sagen: 'Genau so waren wir!'

Abendblatt:

Sie haben auf die Benutzung eines Pseudonyms verzichtet. Haben Sie keine Bedenken, dass das negative Konsequenzen für Sie haben könnte? Immerhin kommen alle Ihre Gefährten nur mit Spitznamen vor.

Hoh:

Die Geschichten sind schon so lange her, und wer damit noch ein Problem hat, dem kann ich auch nicht helfen. Das kann ich aber selbstverständlich nicht für alle meine Mitstreiter voraussetzen. In der Öffentlichkeit werden Hooligans immer noch undifferenziert als hirnlose Schläger dargestellt, und sicherlich hätten viele Ärger am Arbeitsplatz oder in der Familie bekommen. Viele meiner Gefährten haben heute verantwortungsvolle Posten.

Abendblatt:

Sie arbeiten im Gesundheitswesen. Empfinden Sie es als Ironie, dass ein früherer Hooligan heute Kranke pflegt?

Hoh:

Gar nicht. Darf zum Beispiel ein Arzt nicht Boxen als Hobby haben? Ich war auch in meiner aktiven Zeit schon Krankenpfleger, habe Beruf und Privatleben immer vom Fußball getrennt.

Abendblatt:

Das letzte Kapitel beschreibt Ihre letzte Fahrt Bei einem Treffen mit Hooligans von Dynamo Berlin beschreiben Sie eine Brutalität, die Sie noch nicht kannten. War das der Punkt, an dem Sie merkten, dass Sie aussteigen wollten?

Hoh:

An diesem Tag hatte ich zum ersten Mal das Gefühl: 'Die hauen dich richtig kaputt, wenn sie können.' Dass ich die Hamburg Ultras, wie wir uns seit 1989 nannten, verlassen habe, hatte jedoch mehrere Gründe. Dass die Schlägereien immer härter und ernsthafter wurden, war nur ein Teil. Viel schwerer wog, dass viele von meinen alten Freunden, mit denen ich jahrelang unterwegs war, aus den verschiedensten Gründen nicht mehr dabei waren. Die Unbekümmertheit und der Spaß waren weg. Ich mag auch das Wort Ausstieg nicht, das hört sich immer so nach Mafia oder krimineller Vergangenheit an.

Abendblatt:

Haben Sie sich seitdem jemals beim Fußball geprügelt?

Hoh:

Nie wieder. Nicht beim Fußball, und auch sonst nirgendwo.

Abendblatt:

Und es hat auch nie wieder gekribbelt?

Hoh:

Es gibt manchmal noch Situationen, wo mir der Gedanke 'Was wäre, wenn jetzt...' durch den Kopf schießt. Aber das ist nur kurz. Meine Zeit ist lange vorbei.

Lesen Sie morgen, wie die Polizei mit den Auseinandersetzungen mit Fans umgeht. Ein Beamter berichtet.