Der Hannover-Boss will die 50+1-Regel abschaffen und mehr Einfluss für Investoren. Stimmen die 36 Klubs dagegen, zieht er vor Gericht.

Großburgwedel. Seit Wochen ist die Vorfreude in den Kindergärten und Grundschulen zu spüren. Die Laternen sind gebastelt, die Lieder einstudiert und die Beutel, in die möglichst viele Süßigkeiten hineinwandern sollen, liegen einsatzbereit parat. Hunderttausende Kinder werden sich morgen, am 11. November, wie jedes Jahr auf einen Umzug begeben. Bei der Deutschen Fußball-Liga (DFL) ist bereits heute Martinstag - wenn auch nur mit einem Kind.

Auf der Ligatagung der 36 deutschen Profiklubs in Frankfurt am Main stehen zwei Anträge zur Abstimmung, die den deutschen Fußball nachhaltig verändern werden und auf einen Mann zurückgehen: Martin Kind. Seit mehr als drei Jahren kämpft der 65 Jahre alte Präsident von Hannover 96 hartnäckig für die Aufhebung eines Statuts, das die Einflussnahme von Investoren im deutschen Fußball verhindert. Die "50+1-Regelung", wonach der Verein in seinen ausgegliederten Kapitalgesellschaften eine Stimmenmehrheit von mindestens 50 Prozent und einer Stimme haben muss, soll abgeschafft werden. "Ich habe viel Geld und Zeit investiert, das ist ein wichtiger Tag für mich", sagt Kind.

Bislang war der erfolgreiche Kaufmann aus Großburgwedel mit seinem Anliegen stets abgeblitzt. Bis zum heutigen Tag hatte es der DFL-Vorstand geschafft, das Thema aufzuschieben. Der Gegenwind, der Kind aus den Medien und den Fankurven ins Gesicht blies, war heftig. Er wurde persönlich beleidigt und geriet zur Zielscheibe von Traditionalisten. Seine Familie erhielt Drohungen, Filialen seiner Hörgeräte-Firma wurden mit Schmierereien überzogen.

Doch der Selfmade-Millionär blieb standhaft. Die Regelung sei nicht mehr zeitgemäß, mit dem VfL Wolfsburg (Volkswagen) und Bayer Leverkusen (Bayer) seien bereits zwei Ausnahmefälle in der Liga. Die Chancengleichheit bleibe auf der Strecke, die aktuelle Situation sei mit geltendem Wettbewerbsrecht nicht vereinbar, führt er an. Jede einzelne Nachfrage steigert und stimuliert bei ihm die Motivation, den Gegenüber zu bekehren. Kind ist Kämpfer in eigener Sache. Es geht ihm um Hannover 96, seinen Verein, dem er seit 2006 ein zweites Mal vorsteht. "Sehen Sie, wir haben eine Phase der Stagnation. Bei unseren Einnahmemöglichkeiten habe ich keine Chance, 96 weiterzuentwickeln. Wir werden immer zwischen Platz zehn und 16 herumdümpeln. Aber ich will nach oben. Und dafür müssen wir frisches Kapital generieren", sagt er, steht auf und kehrt mit einem leeren Blatt Papier zurück. "Sehen Sie", führt er seine Ausführungen fort, die er nun mit einer Zeichnung veranschaulicht. 100 Millionen Euro benötige er, um 96 ans Ziel zu bringen, "dauerhaft zwischen Platz drei und acht". Ausführungen, die die Frage aufwerfen, weshalb er Einnahmen erhöhen will, wo er durch Verringerung der Personalkosten den gleichen Effekt erzielen könnte. Der Mann mit dem markant vorstehenden Kinn legt den Stift aus den feingliedrigen Fingern und wirkt für einen Moment überrascht: "Sie haben Recht, die Spieler verdienen viel zu viel Geld. Aber der Wettbewerb zwingt mich, die Linie der Vernunft zu verlassen. In der Konsequenz würden wir absteigen und ich würde zerrissen."

Das wird er momentan allerdings auch. Die Erfolge seiner Wahlkampftour durch die Medien sind überschaubar. Kind weiß, dass sein Antrag heute nicht die erforderliche Zwei-Drittel-Mehrheit bekommen wird. "Es soll eine Lex Hannover geschaffen werden, die nur einem Verein nutzt", kritisiert Michael Meier, Geschäftsführer des 1. FC Köln. Auch der HSV und der FC St. Pauli werden gegen Kinds Vorstoß votieren.

Vorab wird ein Antrag des FSV Frankfurt verhandelt, der dem Ligaverband am 20. Oktober zugestellt wurde. "Wir lehnen den Antrag von Hannover 96 in der vorliegenden Form ab, da wir eine völlige Abschaffung der Regelung nicht befürworten. Jedoch halten wir eine Änderung für zwingend erforderlich. Bei der Beibehaltung befürchten wir eine Aufhebung seitens der ordentlichen Gerichtsbarkeit", heißt es darin. Kind hatte stets betont, den Weg durch alle Instanzen zu gehen. Dass ihm dort Recht zugesprochen werden würde, gilt als sicher. "Selbst wenn ich vor Gericht gewänne, wären wir alle Verlierer. Wir haben letztmals die Chance, die Parameter selbst festzulegen", appelliert Kind und hat Regelungspunkte vorgeschlagen: Haltedauer der Investitionen, Markenerhalt, kostenloser Rückfall des Investor-Anteils bei Insolvenz, keine Mehrfachbeteiligung. "Außerdem ist ja kein Verein verpflichtet, Anteile abzugeben."

Kind hat seine Hausaufgaben gemacht. Regionale Investoren stehen längst bereit und würden 96 einen Wettbewerbsvorteil verschaffen. Und man darf davon ausgehen, dass er an dem Frankfurter Antrag, der nur eine einfache Mehrheit benötigt, nicht unbeteiligt gewesen ist. Darin wird der Ligavorstand aufgefordert, auf der nächsten Sitzung ein Konsensmodell zur Abstimmung vorzulegen. Dieses solle sich inhaltlich an Kinds Punkten orientieren. Er mag nicht viel mit dem barmherzigen St. Martin gemein haben, im Milliardengeschäft Bundesliga sind andere Werte entscheidend. Doch er wird gewinnen. Vielleicht heute, spätestens vor Gericht.