Bundestrainer Joachim Löw misst dem ungewohnten Untergrund, einem Kunstrasen, geringe Bedeutung bei. 1967 ging es ohne Naturrasen schief.

Mainz. Kraftvoll warf Joachim Löw den Ball mit seiner rechten Hand auf den Boden. Sechs-, siebenmal ließ der Bundestrainer die Kugel aufprallen. Mit der linken Hand das gleiche Spiel. Kurz darauf ging der 49-Jährige in die Knie und ließ das grobkörnige Gummigranulat durch seine Finger rieseln. So richtig zufrieden wirkte der 49-Jährige auf dem Kunstrasen-Trainingsplatz des Bundesligaklubs Mainz 05 nach seinem persönlichen Belastungstest nicht - doch später ließ er sich davon nichts mehr anmerken. Niemand soll die Tatsache, dass die deutsche Fußballnationalmannschaft am Sonnabend in Moskau nach 822 Länderspielen in ihrer 101-jährigen Geschichte gegen Russland erstmals auf Kunstrasen spielen wird, als billiges Alibi nutzen dürfen.



"Ich werde den veränderten Bedingungen keine große Bedeutung beimessen", sagte Löw, der bis zum Abflug nach Moskau am Donnerstag immerhin fünf Trainingseinheiten auf dem grünen Teppich absolvieren kann. Am Freitag ist im Luschniki-Stadion noch eine Abschlusseinheit vor dem vorentscheidenden WM-Qualifikationsspiel (Sa., 17 Uhr MESZ, ZDF live) vorgesehen. Der DFB-Elf reicht - ein Sieg am kommenden Mittwoch in Hamburg gegen Finnland vorausgesetzt - ein Unentschieden, um Verfolger Russland auf Distanz zu halten und sich die Play-off-Spiele im November für die WM 2010 in Südafrika zu ersparen.


Zwar testeten die Nationalspieler gestern schon fleißig, welches Schuhwerk ihrer Ausrüster das passende ist - die Wahl dürfte zwischen Nocken oder kurzen Stollen fallen -, doch der Mainzer Untergrund ist dem Spielfeld in Moskau nur sehr ähnlich, obwohl beide Beläge von der in Paris ansässigen Firma Tarkett Sports stammen. Der von der Fifa lizenzierte Kunstrasen in Moskau hat 63 Millimeter lange Halme aus dem Kunststoff Polyethylen und trägt den Namen Tarkett Fieldturf-xm, der Belag in Mainz (Tarkett Prestige-xm) ist nur 40 Millimeter hoch, weil der deutsche Gesetzgeber vorschreibt, dass unter dem Kunstgarn noch eine Kautschuk-Dämpfungsschicht verlegt werden muss.


"Der Boden ist schnell, aber das trifft auf nassen Naturrasen ja genauso zu", beurteilte Piotr Trochowski das Geläuf nach der ersten Trainingseinheit, während Kapitän Michael Ballack sogar das Positive suchte: "Es gibt auch Vorteile. Der Platz ist eben, der Ball rollt besser." Passpräzision, Ballannahme und -mitnahme sowie die Organisation im Defensiv- und Offensivverhalten - dies sollen die Arbeitsschwerpunkte laut Löw in den kommenden Tagen sein. Punkte, auf die der Bundestrainer eigentlich immer viel Wert legt.


Glaubt man zudem einer wissenschaftlichen Studie Kunstrasen, die am Dienstag von der Deutschen Sporthochschule in Köln veröffentlicht wurde, wird der Belag das so bedeutende Spiel gegen die Russen nicht entscheiden. Gute und gut gepflegte Kunstrasenplätze werden das Spiel nicht messbar beeinflussen, lautet die Erkenntnis der Untersuchung. Vom Weltverband Fifa in Auftrag gegebene Analysen kommen zur gleichen Erkenntnis. Fifa-Präsident Joseph S. Blatter gilt als großer Anhänger des Kunstrasens.


Die gleiche Akribie, mit der Löw seine Spieler auf den ungewohnten Belag vorbereitet, gilt auch für andere Bereiche. Alle Aktivitäten, die die Konzentration der Spieler stören könnten, sind untersagt. Private Termine sind unerwünscht, Werbetermine nicht vorgesehen. Etliche Spieler wie Ballack oder René Adler werden abseits der täglichen Pressekonferenzen keine weiteren Medientermine wahrnehmen.


Es gilt auch, eine ruhmreiche Serie zu verteidigen. Seit 1934 hat die DFB-Auswahl bei 72 WM-Qualifikationen nicht ein einziges Auswärtsspiel verloren. Die einzigen Niederlagen setzte es 1985 gegen Portugal (0:1 in Stuttgart) und 2001 gegen England (1:5 in München). Nur einmal ging es schief, als Deutschland 1967 mit dem 0:0 in Albanien die EM in Italien verpasste. Damals wurde auch nicht auf Naturrasen gespielt - sondern auf einem Ascheplatz. Aber den kann man mit dem modernen Kunstgras nun wirklich nicht vergleichen.