Früher galt im DFB-Trainingslager schon ein Bootsausflug als Ablenkung, heute geht's im Hubschrauber nach Monaco. Ein Rückblick.

Tourrettes. Oliver Bierhoff wollte nichts, aber auch gar nichts, dem Zufall überlassen. Gleich zweimal reiste der DFB-Manager in den vergangenen Monaten ins südfranzösische Tourrettes, um das luxuriöse Fünf-Sterne-Ressort Terre Blanche auf alle Eventualitäten hin zu überprüfen, die beiden zugehörigen Golfplätze einem Stresstest zu unterziehen und vor allem jegliche Möglichkeit eines Lagerkollers der deutschen Fußballelite bereits im Vorfeld der Vorbereitung auf die EM in Polen und in der Ukraine auszuschließen. "Ich bin mir sicher, dass sich die Spieler wohlfühlen", urteilte Bierhoff nach einem abschließenden Besuch mit Bundestrainer Joachim Löw und dessen Assistenten Hansi Flick im März, "die Bedingungen sind wirklich gut."

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Dass Bierhoff mit seiner theoretischen Einschätzung vor zwei Monaten nur teilweise recht hatte, zeigte die gelebte Praxis in den vergangenen sieben Tagen. Die Bedingungen in dem 300 Hektar großen Luxusressort 45 Autominuten nördlich der Côte d'Azur sind nicht gut, sie sind überragend. Was von draußen aussieht wie ein Hochsicherheitsgefängnis, wirkt von innen wie die natürliche Heimat von Gott in Frankreich. Hotelbesitzer, 1899-Hoffenheim-Mäzen und Nationalmannschaftsfan Dietmar Hopp, der auf dem großzügigen Gelände eine eigene Villa hat, scheute keine Kosten und Mühen, der DFB-Auswahl den zweiwöchigen Aufenthalt in Südfrankreich so angenehm wie möglich zu machen.

Löws Mannschaft steht ein 3200 Quadratmeter großer Spa-Bereich zur Verfügung, zwei Player-Lounges mit Tischtennis, Poolbillard, Kicker und Spielekonsolen und eine vom französischen Spitzenkoch Philippe Jourdin geleitete Haute Cuisine. Genächtigt wird in 60 bis 100 Quadratmeter großen Suiten, die für Nichtnationalspieler pro Woche 3500 bis 8000 Euro kosten. Und weil es in der Nachbarschaft lediglich einen herkömmlichen Kunstrasenplatz gab, der den DFB-Ansprüchen nicht genügte, ließ Hopp für 2,3 Millionen Euro einen Rasenplatz mit Tartanbahn errichten, auf dem Mesut Özil, Lukas Podolski, Miroslav Klose und Co. das Projekt EM-Titel angehen können.

Dass aber weniger manchmal auch mehr sein kann, zeigt ein kleiner Rückblick auf die Quartiere der deutschen Mannschaften vor großen Turnieren. So gehört manch unscheinbarer Ort wie das schleswig-holsteinische Malente oder das westfälische Kaiserau aufgrund der anschließenden Turniererfolge längst zum nationalen Erinnerungsschatz. Dabei wagten die Protagonisten von gestern von den so selbstverständlichen Annehmlichkeiten von heute nicht einmal zu träumen.

So kann nicht nur Paul Breitner ein Lied davon singen, wie man sich eine vierwöchige Vorbereitung in der Sportschule in Malente vor der WM 1974 vorzustellen hat. "Ich war ja 18 Monate bei der Bundeswehr. Es ist eine absolute Parallele zu einer Kaserne! Wenn man zu zweit über Wochen hinweg in einer Acht-Quadratmeter-Zelle eingeschnürt ist, dann kann das nur kontraproduktiv sein." Die einzige Möglichkeit der Abwechslung sei die nächtliche Flucht nach Hamburg gewesen, wo die Spielerfrauen untergebracht waren. "Es war in Malente nicht so schlimm, wie es immer gemacht wurde", erinnert sich Berti Vogts, "es war viel schlimmer."

Dabei griff auch Vogts als späterer Bundestrainer noch bis 1994 auf die abgelegene Sportschule zurück, bei der sich auch die Medienvertreter etwas einfallen lassen mussten, um auf der abgeriegelten Anlage einen Blick auf den Trainingsplatz zu erhaschen. Beliebter Treffpunkt der Journalisten war deshalb das angrenzende Grundstück der Familie Zaun, von wo aus die Reporter das Training ungestört verfolgen konnten. Wer Glück hatte, erinnert sich Hausherrin Renate Zaun gerne, ergatterte einen Platz im Schlafzimmer, wo es ein Telefon gab. Im Gegenzug durfte sich die nette Frau Zaun über derart viele Blumensträuße freuen, dass sie nach eigener Aussage einen eigenen Handel hätte aufmachen können.

Als legendär wird auch immer wieder das Trainingslager vor der WM 1982 im Schwarzwald am beschaulichen Schluchsee bezeichnet, der später aus gutem Grund gerne auch Schlucksee genannt wurde. Die Geschichten von nächtlichen Trinkgelagen, feucht-fröhlichen Pokerrunden und leichten Mädchen konnte man später sogar detailliert in Toni Schumachers Skandalbuch "Anpfiff" nachlesen, was dem ehemaligen Nationaltorhüter nicht nur Freunde beim DFB einbrachte.

Die Mutter aller Vorbereitungen war sicherlich das Trainingslager im Hotel Belvedere in Spiez, wo Bundestrainer Sepp Herberger vor der Weltmeisterschaft 1954 in der Schweiz den "Geist von Spiez" kreierte. Die Spieler lenkten sich mit Skatrunden und Bootsausflügen vom harten Trainingsalltag ab, während die wenigen Medienvertreter genauso wie die Spielerfrauen von Herberger kurzerhand zu unerwünschten Personen erklärt wurden.

Familienfreundlich wurde die Vorbereitung erst fünf Jahrzehnte später, als Jürgen Klinsmann vor der WM 2006 damit anfing, ein sogenanntes Regenerationstrainingslager mit den Familien in den Veranstaltungskalender aufzunehmen. 2006 war Sardinien das Ziel, vor der EM 2008 ging es mit Kind und Kegel nach Mallorca, vor der WM 2010 nach Sizilien und in diesem Sommer zunächst wieder nach Sardinien.

Klinsmann, Bierhoff und Löw waren es auch, die Luxus und ein vielfältiges Freizeitprogramm zum Standard vor den großen Turnieren machten. Einmal wurde Bergsteiger Reinhold Messner zur Auflockerung eingeladen, ein anderes Mal kam Rugby-Legende Jonah Lomu vorbei. In Südfrankreich waren es in diesem Jahr die Fomel-1-Piloten Michael Schumacher und Nico Rosberg, die zu einem Kurzbesuch auftauchten. Und auch die Aktivitäten abseits des Fußballplatzes werden dem heutigen Anspruchsdenken angepasst. Statt wie anno '54 einfach mit dem Ruderboot über den See zu schippern, werden die Spieler zur Zerstreuung am Sonntag mit Hubschraubern abgeholt, von denen sie zum Formel-1-Rennen nach Monaco geflogen werden.

Letztendlich, das weiß natürlich auch Löw, kann erst nach dem Turnier bilanziert werden, ob sich der Aufwand eines Trainingslagers gelohnt hat oder nicht. So kann sich Bierhoff noch ganz genau daran erinnern, wie es beim ersten Training in der Vorbereitung zur EM 1996 in Belfast "wie aus Kübeln goss und der Zeugwart die Regenjacken vergessen hatte". In positiver Erinnerung ist das verregnete Trainingslager in Nordirland trotzdem, was aber weniger an einem Hubschrauberausflug oder einem speziellen Gast liegt, sondern vielmehr an Bierhoffs späteren Schuss ins Glück zum 2:1-Finalsieg gegen Tschechien bei der Europameisterschaft in England. "Diese Bilder bleiben über Generationen im kollektiven Fußballgedächtnis haften", sagt Bierhoff, der später nur allzu gerne Ähnliches über die Geschehnisse des 1. Juli in Kiew berichten würde. Gut vorbereitet, da ist sich der Golden-Goal-Schütze von damals sicher, ist die Nationalmannschaft in jedem Fall.

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