Grüppchenbildung gibt es im Kader nur im gesunden Maß. Der Erfolg der Hamburg Freezers in der Deutschen Eishockey-Liga liegt aber auch an der Dichte an Führungsspielern.

Hamburg. Wenn man Christoph Schubert auf das Thema Hierarchie in einer Mannschaft anspricht, kommen düstere Erinnerungen an seine Anfänge als junges Abwehrtalent an die Oberfläche. „Ich war 18 Jahre jung, machte die Vorbereitung bei den München Barons mit“, erinnert sich der Kapitän der Hamburg Freezers. „Wir haben eine Laufeinheit gemacht, sollten in einer Gruppe joggen, doch ich rannte vorweg. Da klatschte mir mein damaliger Verteidigungspartner Chris Luongo einen Schläger in die Beine und meinte: Hey, wir sollen zusammen laufen! Wenn du weiter da vorne herumrennst, landet mein Schläger bei dir im Gesicht.“ Heute, 14 Jahre später, kann Schubert darüber lachen.

Im Jahr 2014 sind solche Szenarien nicht mehr denkbar. Die Zeiten, in denen ein Kapitän als Diktator Angst und Schrecken verbreitet, sind vorbei. Während gern über Führungsspieler diskutiert und nach „Typen“ gerufen wird, zeigt das Beispiel des Hauptrundenmeisters der Deutschen Eishockey-Liga (DEL), dass man auch mit einer flachen Hierarchie Erfolg haben kann. „Als 18-Jähriger hätte ich mich nie getraut, die Klappe aufzureißen. Dass es heute anders ist, liegt auch am Wandel der Gesellschaft. Junge Menschen haben ein ganz anderes Selbstverständnis, wenn sie neu in eine Gruppe kommen“, sagt Schubert, der seit der Saison 2011/12 Kapitän der Freezers ist und sich in dieser Rolle endlich wohlfühlt.

Das war längst nicht immer so. Es gab Phasen, das gibt der 32-Jährige offen zu, da wollte er das Amt hinwerfen, weil es ihn schlichtweg überfordert hatte. Schubert war ein Opfer der früheren Grüppchenbildung. Selbst in der Vorsaison kämpfte der Nationalverteidiger noch mit Akzeptanzschwierigkeiten und hatte häufig unter dem dominanten Auftreten der Alphatiere Patrick Köppchen, Thomas Dolak oder Rob Collins zu leiden. Der ehemalige NHL-Profi wirkte in der Mannschaft isoliert, war selten bei Unternehmungen der Kollegen dabei. „Am Anfang war es echt schlimm. Auf der einen Seite die deutsche Fraktion, dort die Nordamerikaner, da die Frankokanadier. Ich dachte, wo bin ich denn hier gelandet?“, erinnert sich Schubert.

Alles im Rahmen

Grüppchenbildung gibt es im aktuellen Kader nur noch im gesunden Maß. Die Singles und jungen Spieler wie James Bettauer und Phil Dupuis verbringen die Freizeit häufig gemeinsam, ebenso die Profis mit Kindern. Kabinenfeste gibt es drei-, viermal pro Saison. „Unsere Skandinavier Nielsen, Jakobsen, Madsen und Ejdepalm hängen nur aufeinander. Aber da muss ich als Kapitän nicht einschreiten. Das ist alles im Rahmen“, sagt Schubert.

Mittlerweile ist der Bayer als Leader akzeptiert, auch weil er nicht mehr auf sich allein gestellt ist. Vor allem Duvie Westcott, 36, und Thomas Oppenheimer, 24, haben sich in dieser Saison als Anführer auf und neben dem Eis herauskristallisiert. Oppenheimer belegt den Fakt, dass sich Führungsspieler längst nicht mehr über das Alter definieren. Das Motto bei den Freezers: Wer Leistung bringt, darf sich auch verbal einbringen. „Für mich gibt es ohnehin ganz unterschiedliche Arten der Führungsstärke. Man muss nicht der große Redner sein. Für mich ist Marius Möchel trotz seiner 22 Jahre ein Leader, weil er sich für das Team aufopfert, sich in 160 Stundenkilometer schnelle Schüsse wirft“, sagt Westcott, der eine Bezugsperson für die jungen Spieler ist.

Als die Freezers im Oktober 2013 auf den letzten Platz abgerutscht waren, lag Schubert mit schwerer Gehirnerschütterung wochenlang flach. Westcott und Oppenheimer vertraten ihn abwechselnd als Kapitän – und das mit Bravour. Den größten Sprung in der internen Hackordnung hat zweifelsohne Oppenheimer gemacht. Der 24-Jährige ist in den vergangenen drei Jahren zu einer Persönlichkeit gereift, scheut sich nicht, intern Tacheles zu reden. Selbst mit Trainer Benoît Laporte sucht er, wenn nötig, das kontroverse Gespräch. In der mannschaftsinternen Krisensitzung nach dem 1:5 in Ingolstadt im Oktober war der Nationalspieler einer der Wortführer. Auch nach der 0:1-Niederlage gegen Mannheim, die Ende Februar den alleinigen Rekord an Heimsiegen zunichte machte, war es Oppenheimer, der lautstark in der Kabine zu hören war. Viele sehen in dem gebürtigen Bayern den heimlichen Chef der Freezers.

Keine Wortführer

„Das sehe ich nicht so. Wir haben eine hohe Dichte an Führungsspielern. Ich sage meine Meinung, bin hin und wieder aber zu explosiv“, sagt Oppenheimer, der aber im Gegensatz zu David Wolf meist den richtigen Ton trifft und deshalb eine Hierarchiestufe höher anzusiedeln ist als der körperlich dauerpräsente Torjäger. Mit Wolf auf einer Ebene stehen Abwehrspieler Mathieu Roy und die Torhüter Dimitrij Kotschnew und Sébastien Caron, die allesamt ob ihrer Persönlichkeit keine Wortführer sind, sondern durch Leistung überzeugen. Topscorer Jerome Flaake hegt ebenfalls keine Führungsansprüche, er will nur Tore schießen.

Natürlich ist auch in der Kabine des Hauptrundensiegers nicht alles eitel Sonnenschein, es kracht auch mal gewaltig. Vereinzelt kam es im Training zu Rudelbildungen und verbalen Entgleisungen. In einer großen Gruppe gibt es unterschiedliche Meinungen und Charaktere. Gerade die frankokanadische Fraktion ist nicht immer leicht zu händeln. „Reibereien sind nicht schlimm. Wir sind ja nicht im Kindergarten. Da ist keiner nachtragend“, sagt Schubert, der neben Oppenheimer, Westcott, Roy Morten Madsen und Matt Pettinger auch dem sechs Mann starken Mannschaftsrat angehört.

Kapitän Schubert will das Thema Führungsspieler grundsätzlich nicht überbewerten. Ein gesundes Klima in der Kabine sei wichtig, letztlich zähle aber nur das, was auf dem Eis passiert. „Als Kapitän ist man ein Stück weit limitiert. Ich bin einer von 22, die versuchen, ein Spiel zu gewinnen. Längst sind nicht mehr die großen Redner gefragt, sondern die, die sportlich Gas geben.“ Und davon haben die Freezers in dieser Saison zum Glück genug.