Der Formel-1-Weltmeister jubelt nach seinem Titelgewinn in Indien so enthusiastisch wie nie zuvor. Gefeiert werden soll bei Red Bull aber erst in Abu Dhabi.

Delhi. Die wichtigsten Gratulanten warteten schon am Telefon, als Sebastian Vettel nach dem Großen Preis von Indien den Weg vom Siegerpodest durch die Boxengasse antrat. Dutzende Fotografen und Fans warfen ihm sich in den Weg, um Fotos oder Autogramme des viermaligen Weltmeisters zu erhaschen, der mit dem Pokal in der einen und der Champagnerflasche in der anderen Hand kaum ausweichen konnte.

Vater Norbert, Mutter Heike und Bruder Fabian warteten schon seit Minuten in der Leitung, doch ihr Sohn wollte einfach nicht aufhören, am anderen Ende der Welt Hände zu schütteln. Als ihm das Handy dann endlich ans Ohr gehalten wurde, ging die Gratulation der Familie beinahe unter im Lärm des Formel-1-Titelgewinns.

Vettels 36. Grand-Prix-Sieg war einer seiner außergewöhnlichsten. Weniger weil er wieder mal eine halbe Minute früher ins Ziel gekommen war als der zweitplatzierte Nico Rosberg (Mercedes). Sondern weil er vielmehr nach der Zieldurchfahrt den Triumph enthusiastisch feierte wie nie. Am Ende seiner Ehrenrunde ließ er seinen Red-Bull-Boliden mit durchdrehenden Reifen auf dem Asphalt Pirouetten drehen. Anschließend fiel er vor dem Auto, dessen Überlegenheit ihm den zehnten Saisonsieg ermöglichte, auf die Knie. „Es sollte eine Geste des Danks an das Team sein“, sagte er später mit wackliger Stimme und feucht schimmernden Augen.

Obwohl der vorzeitige Titelgewinn abzusehen gewesen war, schüttelte der 26-Jährige sichtlich bewegt den Kopf, murmelte Worte wie „unfassbar“ und „überwältigt“. Als sich Vettel gefangen hatte, dankte er seinen Förderern der ersten Stunde. Dann wandte sich Vettel, der sonst peinlich darauf bedacht ist, keinen Fingerbreit seines Privatlebens preiszugeben, an seine Familie, seine Freunde und gleich zweimal an seine Freundin Hanna: „Ihr Vertrauen und ihre Liebe gibt mir unglaublich viel Kraft.“ Der Überschwang des Sieges erlaubte einen Blick hinter die sonst so sorgsam gepflegte Fassade.

Ein „spontaner Entschluss“ sei es gewesen, das Auto einfach auf der Zielgeraden stehen zu lassen und nicht wie vorgeschrieben in den Parc fermé zu steuern, sagte er. „Ich dachte: Weißt du was: Leck mich! Die Zuschauer auf der Tribüne haben so gejubelt, da musste ich einfach aussteigen. Es war ein tolles Gefühl.“ Später erhielt er dafür von den Rennkommissaren 25.000 Euro Geldstrafe und eine Verwarnung. Er wird es verschmerzen können, hat er doch mit dem Kniefall vor seinem Dienstwagen das Sinnbild dieser Saison geliefert.

Gefeiert wird erst in Abu Dhabi

Überhaupt war Vettel angetan vom Ort seines vierten Titelgewinns. „Aufrichtig traurig“ sei er, nicht mehr Eindrücke von dem riesigen Land in sich aufsaugen zu können. „Indien kann uns unglaublich viel lehren. Es gibt große Armut, aber die Menschen sind trotzdem glücklich. Natürlich funktioniert manches nicht so, wie wir es aus Europa kennen. Aber macht es das zu einem schlechteren Ort?“ Kurze Pause, dann: „Es ist wirklich schade, dass wir fast die ganze Zeit in der abgeschotteten Welt der Formel 1 leben.“ Doch schon am Abend flog er für zwei Tage zurück in seine Wahlheimat Schweiz, bevor am nächsten Wochenende der Große Preis von Abu Dhabi ansteht.

Erst dann soll das vierte Double aus Fahrer- und Konstrukteurstitel gefeiert werden, den Red Bull in Indien ebenfalls sicherte. „Viermal hintereinander Weltmeister zu werden kannst du nicht planen, und schon gar nicht damit rechnen“, hatte Teambesitzer Dietrich Mateschitz der „Welt am Sonntag“ gesagt. Bis sich Vettel der Tragweite seines Erfolges bewusst geworden ist, wird wohl etwas Zeit vergehen. Juan Manuel Fangio, Michael Schumacher und Alain Prost, die vor ihm ebenfalls vier Titel gewonnen hatten, seien weiterhin Idole für ihn: „Wahrscheinlich bin ich zu jung, um zu begreifen, was es bedeutet, in ihrer Gesellschaft zu stehen.“

Für Vettels Konkurrenten war es ein Wochenende zum Vergessen. Red-Bull-Rivale Mark Webber musste nach zwei Dritteln der Distanz mit einer defekten Lichtmaschine aussteigen. Der letzte verbliebene WM-Widersacher Fernando Alonso büßte schon in Runde eins alle Chancen ein, als er mit Webber kollidierte und seinen Vorderflügel beschädigte. Als Elfter kam er nicht einmal in die Punkteränge.