Hamburg. Vor dem Start der WM in Tschechien erklären Anna Kracklauer und Paula Rossen aus dem Riemen-Team den Konflikt mit dem DRV

Einen Blick auf die Ergebnisse werden sie schon werfen. Aber die ganze Zeit am Livestream zusehen, wie die anderen dort um Medaillen rudern, wo sie auch gern dabei gewesen wären? Das wollen sich Paula Rossen und Anna Kracklauer dann doch nicht antun. Nach einer Saison, die in allen Belangen an ihren Kräften zehrte, konzentrieren sich die Hamburgerinnen, die für den RC Allemannia starten, auf den Blick nach vorn.

Bei der WM in Racice (Tschechien), die an diesem Sonntag beginnt, ist das deutsche Frauenriemen-Team mit keinem Boot vertreten. Über die Gründe dafür und ihre persönlichen Konsequenzen wollen die beiden 23-Jährigen sich öffentlich erklären, denn nach den vielen Verwerfungen, die im Deutschen Ruder-Verband (DRV) in den vergangenen Monaten für extreme Unruhe gesorgt haben, ist ihnen an einer sachlichen Aufarbeitung gelegen.

Heim-EM in München hat die Probleme im Rudern offenbart

Vor allem die Heim-EM in München Mitte August hatte schonungslos die Defizite offengelegt, die im DRV schon seit der Olympiasaison 2021 schwelen. Im olympischen Bereich konnte lediglich Alexandra Föster (20/Meschede) mit Bronze im Einer eine Medaille holen, in der Nationenwertung reichte das nur zu Platz acht. In diversen anschließenden Krisensitzungen wurden die Versäumnisse zwischen den Athletinnen und Athleten sowie der leitenden Bundestrainerin Brigitte Bielig und Sportdirektor Mario Woldt diskutiert. Konsequenzen allerdings wurden noch keine gezogen, und genau daran entzünden sich immer wieder neue Konflikte, die zu beidseitigem Verdruss führen.

Anna Kracklauer und Paula Rossen haben in den vergangenen Monaten unter den Widrigkeiten gelitten. Beim Weltcupfinale in Luzern (Schweiz) Anfang Juli saßen sie noch gemeinsam im Achter, in dem sie wegen mehrfacher Umbesetzungen wenig gemeinsame Trainingszeit hatten. Anschließend wurde für die EM eine erneute Umstellung vorgenommen – gegen den vor Luzern erfolgten Rat der zuständigen Trainer, von der Verbandsspitze verordnet. Rossen rückte in den Vierer, Kracklauer war nur noch als Ersatzfrau vorgesehen. Nach dem vorhersehbaren Leistungseinbruch bei der EM wurde dann – auch weil im anschließenden Athletik-Trainingslager in Zakopane (Polen) der gesamte Kader an Corona erkrankte – entschieden, auf die WM zu verzichten.

Ein Schritt, den die beiden Studentinnen nachvollziehen können. „Wir haben nicht den Anspruch, bei einer WM, wo es noch einmal härter zugeht als bei einer EM, hinterherzurudern“, sagt Paula Rossen. Das Problem sei gewesen, dass mit jeder Kaderumstellung das Selbstbewusstsein und das Vertrauen darin, dass der Verband eine langfristige Strategie verfolge, geschwunden sei. „Die Moral ging immer weiter in den Keller“, sagt Anna Kracklauer, „weil wir das Gefühl hatten, dass die vielen Umstellungen eine Entwicklung eher verhindert als befördert haben.“

Brief an die sportliche Leitung mit eingehender Analyse

In einem Brief an die sportliche Leitung, der am 4. September versandt wurde, erstellte das weibliche Riemen-Team unter Federführung von Achter-Steuerfrau Larina Hillemann (26/Lübeck) eine ausführliche Analyse des Ist-Zustands. Ausdrücklich betonen die Athletinnen darin die von Bundestrainerin Bielig immer wieder geforderte Leistungsbereitschaft, bitten aber auch eindringlich um Unterstützung durch den Verband.

So soll es ein klares Bekenntnis zum Leitstützpunkt Berlin geben, Ziele und Leistungsparameter sollen deutlich definiert und kommuniziert werden, zudem wünschen sich die Athletinnen eine langfristige Strategie für die Besetzung der Boote, die spätestens nach den Wintertrainingslagern festgelegt werden und bis einschließlich der WM 2023 im September in Belgrad (Serbien) gelten soll, die als Qualifikationswettkampf für die Olympischen Spiele in Paris 2024 höchste Bedeutung hat.

Dass es auf dieses Schreiben bislang noch keine Reaktion gegeben hat – wenigstens keine, die an das gesamte Team kommuniziert wurde –, erstaunt die beiden. Es passe aber ins Bild. „Wir haben schon das Gefühl, dass man uns zuhört. Aber es fehlt noch an der Umsetzung, um das Vertrauen in den Verband wieder wachsen zu lassen“, sagt Paula Rossen. Man habe bisweilen das Gefühl, dass in der Verbandsspitze noch nicht verstanden werde, dass die aktuelle Athletengeneration eine andere Art der Ansprache brauche. „Für ein erfolgreiches Umfeld muss die Planung mit den Athletinnen besprochen werden“, sagt Anna Kracklauer, „wir würden gern mehr eingebunden und wertgeschätzt werden.“ Es ginge ihnen keinesfalls darum, das Verbandsbashing auf die Spitze zu treiben. „Auch wir Athletinnen müssen uns noch mehr als Team begreifen, um unser Potenzial auszuschöpfen. Aber wir brauchen dafür die Unterstützung des Verbands“, sagen sie.

Rossen und Kracklauer befürworten Zentralisierung

Immerhin hatte die Verbandsspitze alle Athletinnen aufgefordert, bis zum 31. August zu erklären, ob sie bereit seien, dem Sport alles unterzuordnen und dauerhaft am Stützpunkt in Berlin zu trainieren. Anna Kracklauer und Paula Rossen sind Verfechterinnen der Zentralisierung, weil sie die Effekte des gemeinsamen Trainings schätzen. Dennoch zögert Anna Kracklauer mit ihrer Zusage. „Ich möchte eine verbindliche Perspektive aufgezeigt bekommen, bevor ich diese Entscheidung treffe“, sagt sie. Paula Rossen hat zwar zugesagt und ist bereits auf Wohnungssuche in der Hauptstadt, aber auch sie sagt: „Wenn ich im Frühjahr sehe, dass eine weitere Saison der Ungewissheit droht wie in diesem Jahr, muss ich mir über meine Perspektiven erneut Gedanken machen.“

Am Ende müsse der Verband verstehen, dass er seine Kaderathletinnen einbinden und ernst nehmen muss. „Ohne uns gibt es keinen Leistungssport“, sagt Paula Rossen, „wir sind bereit, alles dafür zu geben. Aber nur, wenn es für alle Sinn ergibt.“