Hamburg. Anna Kracklauer und Paula Rossen vom RC Allemannia gehen am Wochenende beim Weltcupfinale in Luzern für Deutschland an den Start.

Diese Anfrage überforderte selbst die Statistiker im Deutschen Ruderverband. Man müsse dazu alle Kaderlisten der vergangenen Jahrzehnte durchstöbern, hieß es, woran immerhin zu ersehen sei, dass es „sehr lang“ her sein müsse. Die Frage war gewesen, wann vor der laufenden Saison zuletzt eine Hamburgerin bei einem internationalen Wettkampf im deutschen Achter gesessen hatte. Und so war es an Werner Glowik, dem Vorsitzenden des Hamburger Landesverbands, die Lösung zu präsentieren: 2007 vertraten Maren Derlien (46) und Johanna Rönfeldt (40) die RG Hansa im Achter.

Die beiden, die die 15 Jahre währende Durststrecke Mitte Juni beim Weltcup in Posen (Polen) beenden konnten, sitzen am Montagnachmittag auf der Terrasse des Clubhauses ihres RC Allemannia an der Außenalster und strahlen eine Positivität aus, die ansteckt. Paula Rossen (23) und Anna Kracklauer (22) können die Vorfreude auf das Weltcupfinale, das von diesem Freitag bis Sonntag auf dem Rotsee in Luzern (Schweiz) stattfindet, nicht verbergen. Und warum sollten sie auch? Schließlich ist es ihr Premierenjahr im A-Kader, und es gleich ins Paradeboot zu schaffen, hatte keine von beiden erwartet.

Rudern: Hamburger Duo will mehr Frauenachter

Wobei, das stellen beide mit einer Mischung aus Verständnis und Bedauern fest, der weibliche Achter in der Wahrnehmung dem männlichen weit hinterherrudert. „Natürlich hat der Männerachter aufgrund seiner Erfolge und Tradition ein ganz anderes Standing. Aber schade ist es schon, dass meist nur die Männer gemeint sind, wenn vom Deutschlandachter die Rede ist“, sagt Anna Kracklauer. Was dagegen helfe? „Wir müssen stärker, schneller und erfolgreicher sein, um sichtbarer zu werden.“ Und dabei will das Hamburger Duo tatkräftig mithelfen.

Dass so lange keine Athletin aus der Hansestadt im A-Kader auftauchte, hat Gründe. Zum einen ist der Bundesstützpunkt für den Riemen- und Skullbereich in Berlin-Tegel angesiedelt, wo auch Paula Rossen und Anna Kracklauer trainieren. Zum anderen öffnen sich die Hamburger Vereine erst nach und nach auch weiblichen Mitgliedern, in der Allemannia sind Frauen seit Jahresbeginn 2019 zugelassen.

Hamburger Duo: Teilen Hobbys und sogar das Bett

Paula, in Krefeld und Bonn aufgewachsen und 2017 zum Studium der Verfahrenstechnik nach Hamburg gezogen, ist seit Ende 2019 Mitglied. Anna, die in Ulm mit dem Rudern begann und nach zwei Jahren Journalistikstudium in Boston an die Leuphana-Uni in Lüneburg wechselte, gehört seit Ende 2020 dem Verein an. Im Oktober vergangenen Jahres entschlossen sich die beiden dazu, gemeinsam einen Zweier zu bilden, um sich nach der U-23-Phase für den A-Kader aufzudrängen. Das gelang: Paula hat im Achter ihren Platz im Bug gefunden, Anna sitzt auf Position vier.

Sie teilen nicht nur die zielgerichtete und ehrgeizige Einstellung zum Leistungssport, sondern auch die Vorliebe für fleischlose Ernährung, die Gabe, beim Malen und Zeichnen den Geist vom Ballast des Alltags befreien zu können – und folgerichtig auf Reisen oder am Stützpunkt in Berlin auch ein Zimmer. „Ich habe in diesem Jahr mehr Nächte mit Anna in einem Bett geschlafen als in meinem eigenen“, sagt Paula, die in Harburg lebt. Anna hat eine Wohnung in Hamm.

Ihre Apartments weiterhin so selten wie nötig zu nutzen, das ist für diese Saison das Ziel. Mit der Heim-EM in München (11. bis 14. August) und der WM in Racice (Tschechien/18. bis 25. September) stehen zwei Highlights auf dem Programm, wobei der WM-Start noch nicht gesichert ist. „Wir müssen zunächst unsere Wettbewerbsfähigkeit nachweisen. Wir sind physisch noch nicht da, wo wir hinwollen, hatten aber auch zu wenig Zeit, um gemeinsame Erfahrungen zu sammeln“, sagt Anna Kracklauer mit Blick auf das auf acht Positionen veränderte Team. Lediglich Marie-Cathérine Arnold (30/Hannover) ist aus der 2021er-Besetzung übrig geblieben.

Insofern dürfe man in Luzern keine Wunderdinge erwarten, zumal sich mit Olympiasieger Kanada und Bronzegewinner China Konkurrenten vorstellen, die in Posen, wo Deutschland Vierter wurde, nicht starteten. „Für uns sind Leistungsvergleiche mit den Topnationen viel wert“, sagt Paula Rossen, die einen weiteren positiven Aspekt hervorhebt. „In Polen waren wir sehr aufgeregt, weil es unsere Premiere war. Jetzt können wir lockerer rangehen.“ Ernst wird es 2024, dann wollen sie in Paris eine Olympiamedaille holen – und sich einen Statistikeintrag sichern, den in Hamburg niemand vergisst.