Hamburg. Kurz nach dem Brexit zog Kathleen Kröncke mit ihrem Mann in die Cotswolds. Am Sonntag geht sie wieder in Hamburg an den Start.

Berührungsängste hat sie keine. Vorsichtig, aber mit viel Zuneigung und Urvertrauen tätschelt Sofia mit ihrem Händchen über Hampton Courts Nüstern. In die Kamera des Fotografen schaut sie nur widerwillig, sie hat nur Augen für das Pferd, das ihre Mutter an diesem Wochenende zu neuen Erfolgen tragen soll. Wer in diesem Moment das Strahlen auf Kathleen Krönckes Gesicht sieht, während sie ihre Tochter auf dem Arm und eins ihrer beiden Paradepferde am Zügel hat, der spürt genau jenes Glück, das die 32-Jährige im Gespräch mit dem Abendblatt in Worte zu fassen versucht.

Deutsches Derby: Hier siegte Kathleen Kröncke 2011

„Sofia liebt Pferde. Sie hat einen unglaublichen Bewegungsdrang, kann mit ihren neun Monaten schon laufen und hält uns auf Trab. Aber wenn sie vor mir auf dem Pferd oder zum Zuschauen auf der Tribüne sitzen darf, schafft sie es, auch mal zehn Minuten still zu sitzen“, sagt Kath­leen Kröncke, die deutschen Dressurreitfans unter ihrem Geburtsnamen Keller ein besserer Begriff ist.

2011 war die Hamburgerin jüngste Siegerin in der Geschichte des Deutschen Dressurderbys geworden. Ein Erfolg, der sie für die Ewigkeit mit dem Traditionsturnier in Klein Flottbek verschweißt, das seit vergangenem Mittwoch läuft und am Sonntag (11 Uhr) mit dem Derbyfinale mit Pferdewechsel seinen Höhepunkt erlebt.

Kathleen Kröncke wird dann wieder im Dressurviereck dabei sein, in der Qualifikation am Donnerstag belegte sie mit San Royal Platz zwei. Ins Finale der drei Besten zogen zudem Titelverteidiger Frederic Wandres (35/Hagen a.T.W.) mit Hot Hit Old und Hendrik Lochthowe (43/Dorsten) mit Bricco Barone ein. Kathleen Kröncke kann sich nun doppelt auf das Wochenende freuen. Zum einen, weil mit der Grand-Prix-Kür am Sonnabend (17.45 Uhr) noch ihr Lieblingswettkampf ansteht. Zum anderen, weil sie angesichts der gerade mal neun Monate zurückliegenden Entbindung ohne Erwartungen nach Hamburg gereist war. „Insofern ist es unglaublich, im Finale zu stehen“, sagt sie.

Kathleen Kröncke zog kurz nach dem Brexit nach Englang

Auch wenn Kathleen Kröncke das Derby weiterhin als Heimturnier beschreibt, musste sie in diesem Jahr erstmals ein Flugzeug besteigen, um in Klein Flottbek zu starten. Ende 2020, kurz vor dem
Brexit-Vollzug, hatte sie mit ihrem Mann Nikolas Kröncke (39) die Entscheidung getroffen, nach England überzusiedeln. Innerhalb von sechs Wochen löste sie ihre Verbindungen zum Hof Etzer Heide in Appen und zog in die Region Cotswold, rund eineinhalb Autostunden nordwestlich von London. „Eine traumhafte Gegend, in der andere Urlaub machen“, sagt sie, „wir fühlen uns unglaublich wohl.“

Ihr Mann, der den deutschen und britischen Pass besitzt und als Portfoliomanager in London und New York arbeitet, hat nach 17 Jahren Pause sein Herz für den Dressursport wiederentdeckt, gemeinsam reiten sie auf nationalen Turnieren in der Region. Acht Pferde besitzt das Paar, die auf dem Gelände des Cotswold Club Equestrian, zehn Minuten von ihrem gemieteten Anwesen entfernt, von einer fest angestellten Pflegekraft betreut werden. „Während der Pandemie konnten wir hier sehr gut Anschluss finden, haben uns ein Umfeld aufgebaut, in dem wir uns absolut zu Hause fühlen“, sagt sie.

Was ihre sportlichen Ambitionen angeht, bleibt Kathleen Kröncke zurückhaltend. Der hohe Anspruch, den die Tochter des renommierten Dressurtrainers Dolf-Dietram Keller (66), Derbysieger von 2003, seit jeher an das eigene Tun anlegt, ist geblieben. Sie habe aber im Verlauf der Schwangerschaft lernen müssen, ihren Körper neu einzuschätzen. „Vier Wochen nach der Geburt fühlte es sich so an, als würde alles wieder normal gehen, aber ich habe mich überschätzt und dann Rückenprobleme bekommen. Ich musste erst verstehen, dass es keinen Zwang gibt, dem ich folgen muss, sondern dass ich Zeit brauche“, sagt sie.

Kathleen Kröncke geht ohne Erwartungen ins Derby

Nach drei Monaten saß sie dann wieder bei einem kleinen Turnier im Sattel. Seitdem trainiert sie jeden Tag vormittags zwischen 9 und 12 Uhr, eine britische Nanny kümmert sich dann um Sofia. „Davor und danach bin ich für meine Tochter da, denn es ist eine wunderschöne Aufgabe, Mutter zu sein“, sagt sie.

Selbstverständlich sind die Glücksgefühle von 2011 immer präsent, ganz besonders dann, wenn sie in die Dressurarena einreitet. „Damals kam das vollkommen überraschend. Bis heute weiß ich nicht, warum mir der Sieg gelungen ist. Wahrscheinlich, weil ich einfach gemacht und nicht gedacht habe“, sagt sie. Erinnerungen sind das, die ihr niemand nehmen kann, und auch wenn sie am Sonntag nicht gewinnen sollte, ist Kathleen Kröncke dankbar für das, was sie erlebt hat.

Und sie freut sich darüber, dass ihre Tochter die Leidenschaft für Pferde geerbt zu haben scheint. 2018, bei der 60. Auflage des Dressurderbys, durfte sie mit ihrem Vater, der als stolzer Großvater seine Enkelin am liebsten auf seinen Schultern durchs Dressurviereck trägt, zur Jubiläumsparty ein Pas de deux im Springstadion reiten. Wenn alles perfekt läuft, könnte man es zum 75. Geburtstag in 13 Jahren mit einem Pas de trois versuchen …