Hamburg. Das Herrenturnier in Hamburg ist bis 2024 gesichert. Doch wie geht es danach weiter? Das plant der Deutsche Tennis-Bund.

Sandra Reichel bat um Verständnis. „Wir haben mit dem diesjährigen Turnier Großes vor, was sehr viel Arbeit erfordert. Nur darauf liegt mein Fokus“, sagte die 50 Jahre alte Österreicherin. Zu laufenden Prozessen könne und wolle sie sich deshalb nicht äußern. Verständnis dafür hat die Direktorin des Tennisturniers am Rothenbaum durchaus verdient, schließlich steht in diesem Sommer vom 16. bis 24. Juli ein ganz besonderes Comeback an, wenn Damen und Herren erstmals seit 1978 wieder gemeinsam an der Hallerstraße aufschlagen werden.

Ob das kombinierte Turnier, das Sandra und ihr Vater Peter-Michael Reichel bei ihrer Geschäftsübernahme in Hamburg im Frühjahr 2019 als wichtigstes Ziel ausgegeben hatten, allerdings von Dauer sein wird, ist mehr als fraglich. Die Zukunft der Unternehmerfamilie in Hamburg steht in den Sternen, nachdem nun bekannt wurde, dass der Deutsche Tennis Bund (DTB) als Inhaber der Lizenz für das Herrenturnier das Recht zur Veranstaltung nach Ablauf des Fünfjahresvertrags mit den Reichels von 2024 an neu ausgeschrieben hat. Eine vorzeitige Verlängerung des Kontrakts, die DTB-Präsident Dietloff von Arnim zu Jahresbeginn noch als ernsthafte Option bezeichnet hatte, ist vom Tisch.

Tennis: So erklärt der DTB die neue Ausschreibung des Turniers

Vielmehr wird kolportiert, dass der Dachverband mit Hauptsitz in Hamburg bereits einen neuen Partner gefunden hat. Offiziell wird es dazu bis nach der Austragung des diesjährigen Events keine Stellungnahmen geben, um keine zusätzliche Unruhe zu schaffen. Von Arnim erklärte gegenüber dem Abendblatt: „Es gibt einige Interessenten, die das Herrenturnier in Hamburg gern ausrichten wollen. Unsere Aufgabe als DTB ist es, die beste Lösung für den Verband zu finden, deshalb haben wir eine neue Ausschreibung vorgenommen.“ Die Reichels könnten sich selbstverständlich erneut bewerben.

2018 hatten die Österreicher von ebendiesem Vorgehen des Verbands profitiert, als nach zehn Jahren unter der Ägide von Wimbledonsieger Michael Stich ein neuer Ausrichter gesucht wurde. Damals hatte sich von Arnim, zu jener Zeit noch nicht DTB-Chef und als Organisator des World Team Cups in Düsseldorf mit der Organisation großer Events durchaus vertraut, selber um die Rothenbaum-Lizenz bemüht. Nun stellte er immerhin klar, dass der DTB kein Interesse habe, selbst als Ausrichter zu fungieren.

Dass der größte Tennisverband der Welt aus wirtschaftlichen Gründen das beste Angebot finden will, ist absolut legitim. Dennoch verwundert angesichts der Entwicklung, die unter den Reichels vor allem im Verhältnis mit der Stadt zu konstatieren ist, dass nach den zwei harten Corona-Jahren der Weg der Konsolidierung ein Ende zu finden scheint. Offenkundig sind sich der DTB und die Familie Reichel in wichtigen Punkten uneins. So wird im Verband kritisiert, dass Hamburg das einzige deutsche Turnier ohne Titelsponsor ist. Außerdem heißt es, dass das Interesse an einem kombinierten Damen- und Herrenevent – was kein anderer deutscher Standort vorweisen kann – ausschließlich vonseiten der Reichels bestünde. Tatsächlich gehört den Österreichern die WTA-Lizenz für das Damenturnier allein.

Tennis am Rothenbaum soll langfristig erhalten bleiben

Dieser Fakt könnte dazu führen, dass die Stadt von 2024 an mit zwei verschiedenen Veranstaltern zusammenarbeiten müsste, sofern die Reichels Interesse daran hätten, das Damenturnier als singuläres Event in Hamburg weiterzuführen. „Grundsätzlich wäre das kein Problem“, sagte Sportstaatsrat Christoph Holstein dem Abendblatt. Das Hauptziel sei, Tennis am Rothenbaum, der 2020 für zehn Millionen Euro runderneuert worden war, langfristig zu erhalten und weiterzuentwickeln. Man warte die Entwicklung ab, habe aber durchaus ein gutes Verhältnis zu den aktuellen Veranstaltern aufgebaut.

Diskutiert wird indes auch ein weiteres Szenario, das den Tennisstandort Hamburg stark verändern würde. Spätestens von 2025 an plant die Herrentennisorganisation ATP eine Reform ihres Turnierkalenders. Schon im kommenden Jahr sollen ausgewählte Mastersturniere der 1000er-Serie (1000 Weltranglistenpunkte für den Sieg) über zwei Wochen statt wie bislang sieben oder zehn Tage ausgetragen werden. Dadurch ergeben sich terminliche Verschiebungen kleinerer Events der 250er- und 500er-Serie – zu Letzterer zählt auch Hamburg. DTB-Chef von Arnim geht davon aus, dass nur bis einschließlich 2023 der seit 2009 angestammte Juli-Termin für den Rothenbaum gesichert ist.

Noch gravierender wäre der Einschnitt, wenn Deutschland, das als einziger der wichtigsten Tennismärkte weder über ein Grand-Slam- noch über ein Mastersturnier verfügt, ein 1000er-Turnier erhalten könnte. Diskussionen darüber werden ATP-intern geführt. Allerdings würde ein solches Turnier keinesfalls auf dem in Hamburg seit 1892 bespielten Sand stattfinden, da im Vorlauf für die French Open Rom und Madrid als Mastersturniere gesetzt sind. Möglich wäre ein 1000er-Event in der Vorbereitung auf den Rasenklassiker in Wimbledon, sodass eine entsprechende Lizenz für Deutschland aller Voraussicht nach an Halle (Westfalen) gehen würde, das im Juni ein 500er-Event auf Rasen austrägt. Dies wiederum würde die Abstufung Hamburgs auf 250er-Level (wie München und Stuttgart) bedeuten, da es neben einer Masterslizenz wohl keine 500er-Kategorie mehr geben soll.

Für all diese Gedankenspiele hat San­dra Reichel keine Zeit, sie möchte schließlich das hart erkämpfte kombinierte Turnier zu einem Erfolg machen – auch wenn unklar ist, ob sie davon profitieren darf.