Hamburg. Nach enttäuschender Tokio-Bilanz müssen die Schimmer im Olympiazyklus bis Paris 2024 ihre Leistungen signifikant verbessern.

Auf den ersten Höhepunkt des neuen Olympiazyklus müssen Hamburgs Topschwimmer nicht mehr lange warten. Für die Kurzbahn-EM in Kasan (Russland/2. bis 7. November) hat der Deutsche Schwimm-Verband (DSV) Freistilspezialistin Hannah Küchler (19), Rücken-Ass Sonnele Öztürk (23) und Brust-Nachwuchshoffnung Nele Schulze (17) nominiert. Medaillen wird das Trio nicht gewinnen, doch wie wichtig gute Ergebnisse wären, lässt sich aus Gesprächen heraushören, die das Abendblatt mit Vertretern aller am Bundesstützpunkt in Dulsberg beteiligten Parteien geführt hat.

Sollte sich das enttäuschende Abschneiden bei den Olympischen Spielen in Tokio in drei Jahren in Paris wiederholen, droht Hamburg seinen bis 2024 festgeschriebenen Status als Bundesstützpunkt (BSP) zu verlieren.

Olympia-Leistungen der Hamburger „nicht zufriedenstellend“

„Die Leistungen im vergangenen Olympiazyklus waren für den Hamburger BSP nicht zufriedenstellend. Dass sich mit Hannah Küchler nur eine Athletin für Tokio qualifiziert hat, war enttäuschend. Daraus müssen entsprechende Schlüsse gezogen werden, um nicht in Gefahr zu geraten, den BSB-Status zu verlieren“, sagt Ingrid Unkelbach, Leiterin des Olympiastützpunktes Hamburg/Schleswig-Holstein. Sowohl aus dem DSV als auch aus dem Hamburger Verband (HSV) sind ähnliche Einschätzungen zu hören. Hamburg müsse, sofern sich die Ergebnisse der Arbeit nicht signifikant verbessern, um seinen BSP-Status arg zittern.

Offiziell äußern möchte sich niemand, was vor allem damit zusammenhängt, dass im Zuge der Potenzialanalyse (PotAs) des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB), bei der der DSV auf Rang zehn der 26 olympischen Sommersportarten abschloss, die Verhandlungen über die zur Verfügung stehenden Finanzmittel noch ausstehen. „Die Ausrichtung des Schwimmsports in Hamburg ist für den kommenden Olympiazyklus noch nicht abgeschlossen. Wir befinden uns aktuell mit allen beteiligten Partnern in Abstimmungsgesprächen und hoffen, dass bis Mitte November alle finanziellen und inhaltlichen Details geklärt sind“, hieß es aus dem HSV.

Veith Sieber weiß um den Anspruch, der an ihn und sein Team gestellt wird. „Natürlich ist uns bewusst, dass wir eine entscheidende Phase vor uns haben, das ist normal, wenn ein Bundesstützpunktstatus ausläuft“, sagt der 41-Jährige, der als Bundesstützpunkttrainer am Dulsbergbad ein sechsköpfiges Übungsleiterteam führt. Als Ersatz für den abgewanderten Ivan Abreu ist seit 1. Oktober der aus Würzburg gekommene Nikolaj Jewsejew neu am Becken, der sich um den Nachwuchs kümmern soll. Weiterhin dabei sind Maria Rücker, Enno Wessoly und Tobias Müller sowie Christoph Stuber als Athletikcoach.

Sparwelle dürfte am Hamburger Olympia-Stützpunkt vorbeischwappen

Veith Siebers Vertrag war im Anschluss an die Querelen zwischen DSV und HSV Ende des vergangenen Jahres unbefristet verlängert worden. Da Jewsejew hälftig aus Bundes- und Landesmitteln finanziert wird, Wessoly und Müller über das Landestrainermodell vom OSP und Rücker über den HSV angestellt sind, dürfte die von PotAs ausgelöste Sparwelle am Hamburger Stützpunkt vorbeischwappen. „Ich denke, dass wir mit dem aktuellen Trainerteam sehr gut aufgestellt sind“, sagt Sieber.

Die Kritik an den Ergebnissen der Arbeit der vergangenen Jahre will Hamburgs Trainer des Jahres 2020 nicht kommentieren, er bittet jedoch um differenzierte Betrachtung. „Natürlich waren wir alle nicht glücklich darüber, dass Hannah die Einzige war, die sich die Olympiaqualifikation verdient hat“, sagt er. Dass die Freistilspezialisten Julia Mrozinski (21) und Rafael Miroslaw (20) das Japan-Ticket nicht lösen konnten, habe seine Ursache in einer Schulterverletzung (Miroslaw) und einer Corona-Erkrankung (Mrozinski). Die von verschiedenen Seiten intern geäußerten Vorwürfe, die Leistungen in der Hamburger Trainingsgruppe hätten im Zyklus zwischen Rio 2016 und Tokio 2021 stagniert, wiegen dennoch schwer.

Hamburger Vorzeigeschwimmer zog in die USA

Dass Vorzeigeschwimmer Jacob Heidtmann (26) deshalb im September 2019 in die USA zog, um dort neue Trainingsreize zu setzen, ist verbrieft. Der Lagenspezialist ist mittlerweile allerdings nach Hamburg zurückgekehrt, will aber zunächst die kommenden zwei Semester nutzen, um sein Studium der Sozialökonomie zu forcieren. „Ich bleibe an den Hamburger Stützpunkt angedockt, werde aber versuchen, mein Training individuell zu gestalten und auch mal bei meinem Heimatverein in Elmshorn zu trainieren. Wie genau das aussieht, ist noch nicht final beschlossen“, sagt er.

Mrozinski und Miroslaw haben im Sommer ebenfalls den Weg nach Übersee gewählt, um in den USA zu studieren und zu trainieren, Küchler will im kommenden Jahr ebenso nachziehen wie die aus Syrien geflüchtete Yusra Mardini (23), die allerdings nicht zum DSV-Kader zählt. Unzufriedenheit mit dem Training ist dafür indes nur bedingt anzuführen. „Die US-Unis werben verstärkt um Talente, und mit den auch finanziell lukrativen Angeboten können wir in Deutschland nicht mithalten. Das ist aber nicht nur im Schwimmen so“, sagt Sieber.

Fakt ist, dass sich die Statik seiner Trainingsgruppe durch die Abgänge der Etablierten verändert hat. Die größten Hoffnungen, Hamburg in Paris zu vertreten, ruhen auf Allrounder Björn Kammann (20), Küchler und Öztürk. Schulze, Freistilspezialist Silas Beth (18), Schmetterlings-Ass Tobias Schulrath (18) und Rückenexperte Cornelius Jahn (18) haben Außenseiterchancen. „Wir sind weiterhin ein sehr junger Stützpunkt mit großem Entwicklungspotenzial. Das gibt mir Zuversicht, dass wir unseren Status halten können“, sagt Veith Sieber, der dazu auch einen persönlichen Beitrag leisten wird. 2022 will er die vom DSV geforderte Weiterbildung zum Diplomtrainer in Angriff nehmen.