Hamburg. Die Chefin des Olympiastützpunktes über Hamburgs Chancen in Tokio, Gender Equality und warum sie sich über Marcell Jansen geärgert hat.

Seit Ingrid Unkelbach 2001 die Leitung des Olympiastützpunktes Hamburg/Schleswig-Holstein in Dulsberg übernahm, hat sie alle Olympischen Sommerspiele vor Ort erlebt. Wenn am kommenden Freitag in Tokio der Startschuss fällt, wird die 61-Jährige wegen der Corona-Beschränkungen allerdings von daheim mitfiebern.

Frau Unkelbach, können Sie sich unbeschwert auf die Spiele freuen?

Ingrid Unkelbach: Unbeschwert ist sicherlich niemand in diesen Zeiten. Aber ich verspüre durchaus Vorfreude. Vor allem freue ich mich mit den Athletinnen und Athleten, die ihren Traum leben können. Zu sehen, wie die darauf hinfiebern, hat auch mich mitgerissen.

Finden Sie es richtig, dass die Spiele trotz der Pandemie durchgeführt werden?

Ja. Natürlich werden es Spiele unter Voraussetzungen, die sich niemand gewünscht hat. Aber erstens haben wir alle uns über die vergangenen eineinhalb Jahre an die Beschränkungen gewöhnt und uns darauf einstellen können. Zweitens bin ich überzeugt davon, dass die Organisatoren alles Menschenmögliche tun werden, um die Spiele ohne gesundheitliche Gefährdung für Aktive, aber auch die japanische Bevölkerung durchzuführen. Deshalb ist es gut, dass es tatsächlich losgeht.

Für Sie sind es die ersten Spiele seit Sydney 2000, die Sie nicht live vor Ort erleben. Was verändert das?

Die intensiven Erlebnisse vor Ort werde ich sicherlich vermissen. Ich wäre in diesem Jahr die Einzige gewesen, die in der Delegation des Hamburger Sportsenators Andy Grote mit nach Tokio gereist wäre. Das war ein tolles Zeichen der Wertschätzung, und ich bedauere sehr, dass ich diese Möglichkeit nicht wahrnehmen kann. Positiv ist, dass ich die Spiele umfassend erlebe. Olympische Spiele sind ein TV-Ereignis, man bekommt vorm Fernseher viel mehr mit. Das versuchen wir jetzt am Stützpunkt zu erleben, indem wir mit allen Mitarbeitenden, die möchten, gemeinsam schauen und insbesondere mit den von uns betreuten Aktiven mitfiebern.

Das Team Hamburg umfasst 32 Aktive, dazu weitere sechs, die aus der Stadt kommen, aber nicht im Team gefördert werden. Sind Sie mit diesem Kontingent zufrieden?

Ich hatte mir schon eine höhere Zahl an Einzelsportlern erhofft. Allein 13 der 32 kommen aus dem Hockey. Es freut mich für die Hockey-Hochburg Hamburg, dass sich deren Stellung in dieser Zahl widerspiegelt. Dennoch hätte ich mir mehr Schwimmer gewünscht, auch ein zweites Beachvolleyballteam bei den Männern wäre toll gewesen. Was mich freut, sind die beiden HSV-Sprinter, die sich für die Staffel qualifiziert haben. Grundsätzlich sind 32 ein guter Wert.

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In Rio vor fünf Jahren waren Hamburger Aktive überaus erfolgreich. Mit wie vielen Medaillen rechnen Sie nun?

Das ist sehr schwer einzuschätzen, weil es wegen der Corona-Krise viel zu wenige Vorleistungen gab, die man zur Bewertung heranziehen könnte. Nehmen wir Beachvolleyball: Die Ergebnisse von Julius Thole und Clemens Wickler oder von Laura Ludwig und Maggie Kozuch sind ausbaufähig. Aber in einem olympischen Turnier kann es sich ganz schnell anders entwickeln. Deshalb halte ich für beide Teams eine Medaille für erreichbar. Torben Johannesen im Deutschlandachter ist eine Medaillenbank, auch der Doppelvierer mit Tim Ole Naske kann das schaffen. Den Hockeyteams ist immer alles zuzutrauen. Die größten Chancen sehe ich aber im Segeln. Philipp Buhl als Laser-Weltmeister ist ebenso ein Goldkandidat wie Erik Heil und Thomas Plößel im 49er.

Sie gelten als Kämpferin für Gleichberechtigung. Da muss es Sie doch freuen, dass das Internationale Olympische Komitee die „Gender Equality“ in diesem Jahr vorantreibt, indem je eine Frau und ein Mann bei der Eröffnungsfeier die Fahne tragen.

Tatsächlich finde ich dieses Zeichen total wichtig und gut. Es erhöht die Sichtbarkeit für dieses Thema an einer zentralen Stelle, über die weltweit umfassend berichtet wird.

Nun sind Olympische Spiele seit jeher ein Ereignis, bei dem Männer und Frauen gemeinsam antreten. In einigen Sportarten sind gemeinsame Titelkämpfe Usus, in vielen anderen nicht. Profitieren Frauen eher davon, wenn sie mit Männern auf einem Event antreten, oder sehen Sie eine Gefahr, dass sie dadurch eher noch mehr in den Hintergrund geraten?

Ich glaube, dass geschlechterübergreifende Events die Zukunft sind. Ich kenne die Stimmen, die sagen, dass Männersport attraktiver ist und Frauen darunter leiden, wenn sie direkt mit den Männern verglichen werden. Aber es geht um Sichtbarkeit, und die wird erhöht, wenn Frauen im Programm sind. Es stimmt, dass attraktive Männer-Wettbewerbe bei Olympia gestrichen werden, um mehr Frauen ins Programm zu bekommen, aber das heißt ja nicht, dass die Attraktivität des Wettbewerbes insgesamt leidet. Ich finde es wichtig, dass eine Balance geschaffen wird, um die Sichtbarkeit von Frauen generell zu erhöhen.

Frauen in Führungspositionen sind in vielen Sportverbänden noch immer deutlich unterrepräsentiert. Der Deutsche Hockey-Bund hat nun eine gemischte Doppelspitze installiert. Ein Vorbild?

Auf jeden Fall! Es muss keine Doppelspitze sein, aber ich bin eine große Anhängerin gemischter Teams. Wir haben auch in Hamburg noch großen Nachholbedarf, was das angeht. Von den 30 Prozent Frauen in Führungspositionen, die die Zukunftskommission Sport empfiehlt, sind wir größtenteils noch Lichtjahre entfernt, und deshalb braucht es auch eine Frauenquote, obwohl ich grundsätzlich keine Freundin davon bin. Umso mehr habe ich mich geärgert, als Marcell Jansen in sein Präsidiumsteam für die nächste Wahl im HSV e.V. zwei ältere Männer berufen hat und das in den Medien auch noch als toller Schachzug gepriesen wurde. Und ein rein männlicher Beirat entscheidet über die Zulassung der Kandidaten. Da erwarte ich etwas anderes, nämlich dass die Vielfalt der Gesellschaft und die Mitgliedschaft des e. V. besser abgebildet wird.

Der Trend scheint allerdings dahin zu gehen, dass Fronten zwischen den Geschlechtern aufgebaut werden. Die Initiative der ehemaligen HSV-Vorständin Katja Kraus im Deutschen Fußball-Bund zum Beispiel ging von einer reinen Frauengruppe aus. Ist das das richtige Zeichen, oder trägt das eher zur Spaltung bei?

Ich habe die Initiative so verstanden, dass Frauen auf das Thema aufmerksam machen wollten und selbstverständlich auch Männer auf den Zug aufspringen sollen. Ich glaube nicht, dass die Initiative ein reines Frauen-Präsidium fordert, sondern Gender Equality. Ich habe schon mehrfach die Teilnahme an Veranstaltungen abgelehnt, auf denen nur Frauen zu Frauenthemen Stellung nehmen sollten. Nehmen wir die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Diese Frage wird vornehmlich Frauen gestellt, dabei gibt es genauso viele Männer, die darunter leiden, Familie und Beruf nicht unter einen Hut zu bekommen. Wir sollten daran arbeiten, das Gemeinsame zu betonen und nicht die Unterschiede.

Bei der Fußball-EM gab es zum ersten Mal Expertinnen im Studio und beim ZDF auch ein rein weibliches Kommentatorinnen-Team. Ist das der Durchbruch für die Gleichberechtigung in den Medien, den Sie sich wünschen?

Ich fand es großartig, dass die Sender so entschieden haben, denke aber auch hier, dass gemischte Teams besser sind. Almuth Schult fand ich als Expertin in der ARD herausragend, ihre Dialoge mit Stefan Kuntz waren großartig. Noch besser wäre gewesen, wenn im ZDF nicht Claudia Neumann und Ariane Hingst zusammen kommentiert hätten, sondern ein gemischtes Duo. Ich weiß, dass viele Männer Frauen beim Fußball ablehnen, weil sie deren Stimmen nicht mögen. Es gibt aber auch Männer, deren Stimmen nicht angenehm sind. Mein Wunsch ist, dass wir bald so weit sind, diese Dinge nach rein fachlicher Sicht zu bewerten und zu diskutieren, und es keine Rolle mehr spielt, ob da ein Mann oder eine Frau sitzt. Dann ist es auch okay, wenn statt vier Männern vier Frauen über ein Fußballspiel der Männer fachsimpeln.

Wann werden wir so weit sein?

Ich weiß es nicht. Aber es ist schon viel erreicht worden, weil wir immerhin darüber diskutieren. Das Thema wird von einer breiten Öffentlichkeit wahrgenommen. Das ist ein sehr wichtiger Schritt, aber es ist auch noch viel Luft nach oben.