Hamburg. Die deutschen Triathleten gewinnen in der Innenstadt beide Einzelsprints und die Mixedstaffel: „Die Atmosphäre hier pusht einen.“

Zehn Sekunden können sich anfühlen wie eine Ewigkeit, wenn man auf den größten Erfolg des Sportlerlebens warten muss. Tim Hellwig stand unter einem blauen Zeltdach vor dem Eingang der Alsterarkaden. Das Ziel des Mixed­staffelrennens des Hamburg Wasser World Triathlons auf dem Rathausmarkt konnte er von dort sehen, nur hinlaufen, das durfte er nicht.

Weil der 22-Jährige nach 300 Metern Schwimmen beim Wechsel auf die 7-km-Radstrecke seinen Helm noch nicht aufgesetzt hatte, als er sein Rad aus dem Halter riss, hatte ihm die Rennleitung eine Zehnsekundenstrafe aufgebrummt. Diese musste Hellwig kurz vor dem Ende der 1,7-km-Laufstrecke im Penaltyzelt abbrummen.

Triathlon Hamburg: Sieg für deutsche Mannschaft

Doch auch wenn Stillstand für gewöhnlich Rückschritt bedeutet: Weil der Kaderathlet, der am Bundesstützpunkt in Saarbrücken trainiert, in seiner Paradedisziplin dem Italiener Gianluca Pozzatti weggelaufen war, reichte es für die deutsche Mannschaft trotzdem zum Sieg vor Italien und Dänemark.

Sechs Sekunden Vorsprung retteten Hellwig ins Ziel, wo seine Mitstreitenden Laura Lindemann (25/Potsdam), Marlene Gomez-Islinger (28/Ulm) und Lasse Nygaard Priester (26/Quickborn) schon jubelnd warteten. „Ich wusste sofort nach dem verpatzten Wechsel, dass das eine Strafe gibt und dass ich beim Laufen alles raushauen muss. Zum Glück hat das funktioniert“, sagte er.

Tim Hellwig sorgte für Spektakel

Für reichlich Spektakel hatte Tim Hellwig bereits am Sonnabendabend gesorgt. Gut 150 Meter vor dem Ziel hatte er im Einzel-Sprintrennen über 750 Meter Schwimmen, 20 Kilometer Radfahren und fünf Kilometer Laufen in der Führungsgruppe, zu der neben ihm sein Saarbrücker Trainingskollege Priester und die Franzosen Paul Georgenthum (21) und Léo Bergere (25) gehörten, den Schlussspurt angezogen.

In vollem Tempo schoss das Quartett Schulter an Schulter über den blauen Zielteppich vor dem Rathaus. Am Ende musste das Zielfoto entscheiden – und machte Hellwig in 53:08 Minuten als Gewinner vor dem zeitgleichen Georgenthum aus. Eine Sekunde dahinter folgten, ebenfalls zeitgleich, Bergere als Dritter vor Priester.

„Besser wurde ich noch nie angefeuert"

„Es gibt wirklich keinen besseren Platz, um den ersten WTS-Titel zu holen, als hier in Hamburg. Besser wurde ich noch nie angefeuert, das war der Wahnsinn“, sagte Hellwig, der im vergangenen Jahr seine Hamburg-Premiere unter Ausschluss von Zuschauern im Stadtpark erlebt hatte. In der Corona-Saison war Hamburg der einzige Wettkampf gewesen, der stattfinden konnte. „Das heute war eine ganz andere Hausnummer. Jetzt weiß ich auch, warum Hamburg einen solch großen Stellenwert unter den Athleten hat“, sagte der Doppelsieger.

Lokalmatador Priester, der sein erstes Einzelrennen in Hamburg bestritt, war trotz des knapp verpassten Podests ebenfalls sehr glücklich. „Hätte man mir vorher Platz vier angeboten, hätte ich sofort eingeschlagen. Natürlich will man, wenn man so lange an der Spitze dabei ist, auch gewinnen. Aber ich will mich in der Weltserie etablieren, dafür war das ein sehr guter Einstieg“, sagte er, „und dann mit dem Team zu gewinnen, das ist der perfekte Abschluss.“

Laura Lindemann erzielt ihren ersten Einzelsieg

Den historischen deutschen Dreifachtriumph eingeläutet – zwei Einzelsiege hatte es zuletzt durch Ricarda Lisk und Daniel Unger 2008 gegeben – hatte Laura Lindemann mit dem ersten Einzelsieg ihrer Weltserienkarriere. „Das Rennen war sicherlich nicht erstklassig besetzt, aber auch dann muss man den Sieg erst einmal nach Hause bringen. Deshalb war es für mich das perfekte Rennen“, sagte sie, nachdem sie am Sonnabendnachmittag in 58:17 Minuten vor Nicole van der Kaay (Neuseeland/58:21) und der US-Amerikanerin Summer Rappaport (58:26) ins Ziel gekommen war.

Weil mit den Olympischen Spielen in Tokio der Saisonhöhepunkt vor dem aus dem Juli verschobenen Hamburg-Event lag, die Super League parallel auf Jersey Station machte und in den USA auch die WM über die halbe Ironman-Distanz anstand, hatte eine Reihe an Weltklasseathletinnen und -athleten nicht für Hamburg gemeldet. Lindemann war deshalb als Favoritin mit der Startnummer eins in die 16 Grad kalte Alster gesprungen – und wurde dieser Rolle vollumfänglich gerecht.

„Die Atmosphäre hier pusht einen"

Begeistert zeigte sich auch die Olympia-Achte von Tokio von der Atmosphäre rund um den Start-Ziel-Bereich. „Es ist noch nicht wie vor Corona, aber es war wirklich toll, die vielen Menschen zu sehen und zu hören“, sagte sie. Sich nach der langen Saison für das Heimrennen an der Alster zu motivieren, sei ihr deshalb auch nicht schwergefallen. „Die Atmosphäre hier pusht einen. Und den Lohn habe ich mit dem Doppelsieg bekommen“, sagte sie.

Reinhold Häußlein, Vizepräsident Leistungssport in der Deutschen Triathlon-Union (DTU), war vom Auftreten des deutschen Teams restlos begeistert. „Vor allem der großartige Kampfgeist war unglaublich, das haben wir in der Form lange nicht erlebt. Diese junge Mannschaft macht große Hoffnung!“

Triathlon Hamburg: Holstein lobt Zuschauer

Sportstaatsrat Christoph Holstein lobte die Disziplin der Zuschauer. „Es war toll, wie sich alle an die Maskenpflicht gehalten haben. Es gab von der Polizei keine Beanstandungen. Wir sind besonders froh, die Jedermänner zurück auf der Strecke zu sehen, nachdem sie 2020 nicht an den Start gehen durften. Und dass wir dann auch noch drei deutsche Siege feiern durften, hat den Triathlon 2021 zu etwas ganz Besonderem gemacht.“

Das sah auch Oliver Schiek, Deutschlandchef von Veranstalter Ironman, so: „Nach der Generalprobe vor drei Wochen beim Ironman hat dieses Wochenende bewiesen, dass auch Wettkämpfe mit einem größeren Starterfeld sicher durchführbar sind. Wir sind zuversichtlich, dass wir die Veranstaltung im kommenden Jahr wieder im gewohnten Rahmen stattfinden lassen können.“ Der Termin für 2022 ist noch nicht offiziell bestätigt, geplant ist der 9./10. Juli.