Hamburg. Deutscher Verband will auslaufenden Vertrag mit Bundesstützpunkttrainer nicht verlängern. Zukunft der Hamburger Talente unklar.

Er sei ein Trainer, der es schaffe, seine Schützlinge jede Woche aufs Neue zu motivieren, zu begeistern und besser zu machen, ihnen soziale und emotionale Kompetenzen sowie grundlegende Dinge fürs Leben beizubringen. Schöne Worte waren das, mit denen Veith Sieber im Mai vom Hamburger Sportbund (HSB) zum Trainer des Jahres gekürt wurde. Ein halbes Jahr später soll all das jedoch nicht mehr viel zählen, zumindest wenn es nach dem Deutschen Schwimm-Verband (DSV) geht. Dieser möchte den zum Jahresende auslaufenden Kontrakt mit dem 40-Jährigen als Bundesstützpunkttrainer in Hamburg nicht verlängern, sondern die Position für den Olympiazyklus bis zu den Sommerspielen 2024 in Paris neu besetzen.

„Wir wollen den Bundesstützpunkt in Hamburg in seinen Strukturen an den Erfordernissen der Weltspitze stetig weiterentwickeln. Dies betrifft auch den Personalbereich, in dem wir Stellenerweiterungen für notwendig erachten. Wir beabsichtigen, Veith Sieber verstärkt im Nachwuchsbereich einzusetzen und mittelfristig die Bundesstützpunkttrainerstelle neu zu besetzen“, erläutert DSV-Sportdirektor Thomas Kurschilgen die Beweggründe des Dachverbands, der bei der Besetzung des Chefpostens Richtlinienkompetenz hat. „Wir wollen Hamburg als Exzellenzzentrum des Nordens entwickeln. Kernpunkte sind eine qualifizierte Personalerweiterung im Trainerbereich und die Ausweitung der methodischen Grundkonzeption auf die längeren Strecken 400 bis 1500 Meter.“ Dazu solle für Sieber eine Schnittstelle im Nachwuchsbereich entstehen.

In Hamburg sorgt das Vorgehen des DSV für Aufruhr

In Hamburg sorgt das Vorgehen des DSV für Aufruhr. Insbesondere, weil die handelnden Partner – Hamburger Schwimm-Verband (HSV), HSB, Olympiastützpunkt (OSP) und Stadt – einig sind, den eingeschlagenen Weg mit Sieber und dessen Team, zu dem die von der Stadt finanzierten OSP-Trainer Enrico Wessoly und Tobias Müller sowie drei vom HSV bezahlte Landestrainer zählen, weiterzugehen. „Das Konzept, auf ein eng verzahntes Ausbildungssystem mit der Eliteschule des Sports am Alten Teichweg zu setzen und die Talente auf den Kurz- und Mittelstrecken vom Beginn ihrer Karriere an zu begleiten, hat sich bewährt. Wir haben alle mit dem DSV in den Zielvereinbarungsgesprächen festgelegten Ziele erreicht“, sagt HSV-Schwimmwartin Philippa Ettlich.

Als bestes Beispiel könne man Rafael Miroslaw (19) anführen, der im Hamburger System bis in die nationale Spitze gekrault ist. Auch die Teilnahme Hamburger Talente an internationalen Großevents sei signifikant gestiegen. „Wir haben immer gesagt, dass unser Weg Zeit braucht“, sagt Veith Sieber, der seit 2017 das Topteam am OSP führt, „aber wir wollen bewusst Dinge anders machen.“ Dazu gehöre eine andere Art der Trainingssteuerung und -belastung, als der DSV sie vertrete.

Athleten stehen voll hinter Siebers Weg

Die Athleten – aktuell fünf weibliche und acht männliche – stehen voll hinter Siebers Weg. Der DSV sieht eine große Diskrepanz zwischen der Rückendeckung und dem Fakt, dass mit dem aktuellen Topschwimmer Jacob Heidtmann (26), der seit Herbst 2019 in San Diego trainiert, sowie Miroslaw und Julia Mrozinski (20), die es nach Olympia 2021 zum Studium in die USA zieht, die besten Talente aus Hamburg abwandern. „Sich gegen die Bedingungen am Standort zu entscheiden und sich zugleich gegen Veränderungen auszusprechen, das widerspricht sich“, sagt Kurschilgen. Julia Mrozinski widerspricht deutlich: „Es war keine Entscheidung gegen den Stützpunkt, ich bin Veith und Hamburg für die Unterstützung unendlich dankbar. Niemand von uns kann verstehen, warum Veith überhaupt infrage steht, es belastet alle. In diesem System macht es keinen Spaß mehr, deshalb gehe ich.“

Vor allem die Gesprächskultur des Dachverbands steht in der Kritik. Ettlich beklagt, dass der DSV nie schlüssig allen Hamburger Partnern erklärt habe, was er am Stützpunkt auszusetzen habe und welche Vision er verfolge. „Wir verstehen uns als Team, auch wenn wir sicherlich nicht immer einer Meinung sind. Der DSV sollte verstehen, dass wir unseren vielversprechenden und bisher erfolgreichen Weg weitergehen wollen.“

Team möchte eigene Wege gehen

Zudem hat in diesem Jahr kein hochrangiger DSV-Vertreter den Stützpunkt besucht, was Kurschilgen mit den Corona-Beschränkungen begründet. Erst am Mittwoch vergangener Woche gab es ein virtuelles Gespräch zwischen der HSV-Spitze sowie Kurschilgen und Bundestrainer Hannes Vitense, an diesem Donnerstag ist eine abschließende Diskussion geplant. Vitense (38) gilt als Nachfolgekandidat Siebers, ein weiterer ist Constantin Depmeyer (39) aus Barsbüttel, Bundestrainer des Freiwasser-Nachwuchses. Beide sind im HSV nicht wohlgelitten, um es neutral auszudrücken.

Wie es funktionieren soll, wenn der Dachverband einen Coach installiert, der mit einem Team arbeiten muss, das eigene Wege gehen möchte, kann aktuell niemand erklären. Eine Überlegung des HSV ist, auf das DSV-Siegel als Bundesstützpunkt zu verzichten und in Eigenregie den eingeschlagenen Weg weiterzugehen. Dazu jedoch müsste die Stadt ihre Förderung deutlich erhöhen, um die Qualität zu erhalten. „Meine Sorge ist, dass wir mit dem DSV in absehbarer Zeit keinen Kompromiss finden, der ermöglicht, dass Ruhe am Stützpunkt einkehren und man sich um die sportlichen Ziele kümmern kann“, sagt Philippa Ettlich.

Fakt ist, dass Sieber das Angebot des DSV, bis Ende Juli 2021 die Betreuung des Olympiateams weiterzuführen, aus persönlichen und juristischen Gründen nicht annehmen kann und will. Der HSV würde ihn gern weiterverpflichten, ein schriftliches Angebot liegt aber noch nicht vor. Zur Not könnte Sieber in seinen Lehrberuf als Steuerfachangestellter zurückkehren. Aktuell jedoch hat er noch weitere Sorgen. Der Coach ist seit letzter Woche krankgeschrieben.