Hamburg. Hannah Küchler war in diesem Jahr Kandidatin für die Olympiastaffel. 2021 will sie in Tokio auch im Einzel starten.

Unscheinbar ist der Schriftzug auf ihrem linken Unterarm, und doch fällt er ins Auge. Weil das Wort, das Hannah Küchler sich in die Haut hat stechen lassen, ein ungewöhnliches ist für einen Teenager. „Forgiveness“, englisch für Vergebung, steht dort, verziert mit einer Blume, die als die Rose, die sie sein soll, nicht sofort erkennbar ist. „Das Wort Vergebung steht dafür, dass ich Negativerlebnisse gut abhaken und anderen vergeben kann“, sagt die 18-Jährige, die als eins der größten deutschen Schwimmtalente gilt. „Die Rose bedeutet, dass Dinge auch schön sein können, wenn sie nicht dem Idealbild entsprechen.“

Interessante Denkansätze sind das, die die Frage aufwerfen, was und wem Hannah Küchler vergeben hat in den vergangenen Jahren, um es in einem Tattoo verewigen zu müssen. Von Schwierigkeiten in ihrer Potsdamer Trainingsgruppe berichtet sie dann, die vor drei Jahren zum Wechsel nach Hamburg führten. „Für mich ist es enorm wichtig, dass ich mich in der Gruppe wohlfühle, in der ich trainiere“, sagt sie. Fairness sei ihre größte Stärke, Teamgeist die wichtigste Eigenschaft. „Sich mit anderen freuen und sich gegenseitig zur Höchstleistung pushen zu können, das macht für mich Leistungssport aus.“

Verschiebung der Sommerspiele von Tokio ist für sie eher Vor- als Nachteil

Es in einem Einzelsport wie dem Schwimmen mit dieser Einstellung ganz nach oben schaffen zu können, schließt sich Hannah Küchlers Meinung nach nicht aus. Im Gegenteil: Mit dem zweiten Hamburger Sprinttalent Julia Mrozinski (20) verbinde sie trotz sportlicher Konkurrenz eine Freundschaft, die ihr helfe, das Optimum aus sich herauszuholen. Die Leistungen der Vor-Corona-Wochen sprechen eindeutig für sie. Bei einem Meeting in Luxemburg schwamm sie im Januar über ihre Paradestrecke 100 Meter Freistil in 55,08 Sekunden persönliche Bestzeit und machte sich damit für die Besetzung der olympischen Staffel interessant.

Die Verschiebung der Sommerspiele von Tokio um ein Jahr in den Sommer 2021 sei für sie dennoch eher Vor- als Nachteil. „Ich glaube zwar, dass ich schon in diesem Jahr eine gute Chance gehabt hätte, es nach Japan zu schaffen. Aber nun habe ich ein Jahr länger Zeit, um an meiner Leistung zu feilen“, sagt sie. Veith Sieber, der Hamburger Bundesstützpunkttrainer, sieht das genauso. „Hannah hat sich extrem zu einer zielgerichteten Sportlerin entwickelt. Sie hatte schon immer Talent, aber jetzt passen die Faktoren zusammen, sodass sie das auch abrufen kann“, sagt er.

Trainingskonzept geht auf

Hannah Küchler, die als Vierjährige, inspiriert von ihrer Mutter Doreen, mit dem Schwimmen begann, glaubt, dass sie an ihrem Trainingskonzept gar nicht viel verändern muss auf dem Weg nach Japan. „Dass es funktioniert, habe ich in den vergangenen Monaten gespürt“, sagt sie. Nach den Sommerferien 2019 habe sie, ohne dass sich ein konkretes Ereignis damit verbinden ließe, einen Schalter im Kopf umgelegt. „Im Krafttraining lief es super, ich hatte kaum noch Probleme mit meinem Belastungsasthma und viel mehr Bock auf Schwimmen als zuvor schon“, sagt sie. Das Gefühl der Schwerelosigkeit beim Gleiten im Wasser habe sie schon als Kind fasziniert. Gepaart mit dem Leistungssprung des vergangenen Jahres sei daraus eine neue Leidenschaft geworden, die sie darin bestärke, auf dem richtigen Weg zu sein.

Für die Zeit nach dem Abitur, das sie in der Streckerklasse der Eliteschule des Sports am Alten Teichweg nach 14 Jahren 2022 macht, hat Hannah Küchler zwar bereits Pläne. Reden möchte sie darüber noch nicht. Schule und Sport sollen im Vordergrund stehen in den kommenden Monaten, in denen aufgrund von Corona vieles unsicher erscheint. Das Ziel jedoch, das ist klar: Über 50 und 100 Meter Freistil die Olympianorm knacken, die bei 24,9 respektive 54,1 Sekunden liegt. „Mein Traum ist, auf beiden Sprintstrecken im Einzel und in der Staffel in Tokio dabei zu sein“, sagt sie.

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Sollte das nicht gelingen, wird die Familie sie auffangen. Ihr zweites Tattoo – zwei Hände, deren kleine Finger ineinander verhakt sind und die den linken Rippenbogen schmücken – weist auf die besondere Beziehung zu ihrer Halbschwester Alina (30) hin. Und sollte es klappen mit dem Olympiastart, dann wird sich unter der Haut sicherlich auch Platz für die fünf Ringe finden lassen.