Hamburg. Cinja Tillmann und Svenja Müller sollen am Beachvolleyball-Olympiastützpunkt Hamburg zum Topteam reifen.

Ein Bett, ein Schrank, ein kleiner Schreibtisch, die Wände aus nacktem Beton – das Foto, das Jürgen Wagner mit seinem Mobiltelefon gemacht hat, zeigt das karge Zimmer, das dieser Tage seine Unterkunft ist. „Aber mich stört das nicht, ich brauche nicht viel“, sagt der 64-Jährige. Schließlich ist er nicht zum Urlaubmachen in der Stadt, sondern weil er eine Mission zu erfüllen hat. Als neuer „Head of Beachvolleyball“ im Deutschen Volleyball-Verband (DVV) ist Deutschlands erfolgreichster Coach, der 2012 Julius Brink und Jonas Reckermann ebenso zu Olympiagold führte wie 2016 Laura Ludwig und Kira Walkenhorst, offiziell seit 1. September dafür verantwortlich, auch die Zukunft der DVV-Strandsparte zu vergolden.

Mindestens 100 Tage im Jahr will der Moerser deshalb in Hamburg mit den am Bundesstützpunkt in Dulsberg ansässigen Nationalteams arbeiten. Meist wird er während dieser Phasen im Hotel wohnen, aber weil seit Montag die erste intensive Trainingswoche mit den neuen Perspektivduos für die Sommerspiele 2024 in Paris ansteht, hat er sich in das kleine Zimmer oberhalb des Kraftraums einquartiert, um so nah wie möglich am Geschehen zu sein. Zehn bis elf Einheiten pro Woche sind geplant, fünf bis sechs davon im Sand, die anderen im Kraftraum. Dazukommen Theorieelemente.

Jedes Kadermitglied optimal fördern

„Unser Ziel ist es, jedes Kadermitglied individuell zur optimalen Ausschöpfung der Leistungsfähigkeit zu führen. Meine Aufgabe ist die Bewertung der sportlichen Qualität“, sagt Wagner, der die Einheiten meist als stiller Beobachter verfolgt und nur punktuell mit Rat und Tat eingreift. Genau dafür hat der Verband ihn geholt. „Jürgens Expertise bringt neuen Schwung in die Arbeit am Stützpunkt, er erhöht die Trainingsqualität enorm“, sagt Niclas Hildebrand (40), Sportdirektor Beach im DVV.

Das sei unabdingbar, wenn man auch in Zukunft in der Weltspitze mitbaggern wolle. Die Besetzung für die auf den Sommer 2021 verschobenen Spiele in Tokio steht weitgehend, mit dem HSV-Duo Laura Ludwig (34)/Margareta Kozuch (33) und den Vizeweltmeistern Julius Thole (23)/Clemens Wickler (25) vom Eimsbütteler TV glaubt der DVV zwei Goldkandidaten ans Netz schicken zu können. Aber für die Zeit danach steht ein Umbruch an, insbesondere im Frauenbereich, wo mit dem erwarteten Abschied Ludwigs die wohl weltbeste Abwehrspielerin ausscheiden wird.

Große Hoffnungen liegen auf Svenja Müller und Cinja Tillmann

Ein Duo, dem Wagner und Hildebrand Großes zutrauen, bilden Svenja Müller (19) und Cinja Tillmann (29). Müller (1,92 Meter groß), die aus Dortmund stammt und bislang an keinem Bundesstützpunkt trainierte, gilt als Deutschlands größtes Talent im Blockspiel. „Sie hat für ihre Größe einen ex­trem guten Balltouch, eine sehr gute Hand-Augen-Koordination und ist im Block und im Angriff herausragend“, sagt Wagner, der die angehende Sportsoldatin seit sieben Jahren kennt und berät.

Dass der DVV ausgerechnet Cinja Tillmann als Partnerin auswählte, hat für Gesprächsstoff gesorgt. Immerhin hatte die 1,74 Meter große Abwehrspezialistin mit ihrer bisherigen Partnerin Kim Behrens (28/Münster), mit der sie im September EM-Silber holte, eine Klage gegen den Verband eingereicht, weil sie sich gegenüber den Nationalteams ungerecht behandelt fühlten. Das Landgericht Frankfurt am Main gab den beiden in erster Instanz recht, sprach ihnen 14.450 Euro Schadenersatz zu. Der DVV, dem am Montag die Urteilsbegründung zugegangen war, kann bis 19. November Revision vor dem Oberlandesgericht beantragen. Ob man dies tun werde, sei offen, sagt Hildebrand, mit der sportlichen Planung habe dies nichts zu tun.

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„Wir sind von Cinjas Qualitäten überzeugt, sie hat sich im vergangenen Jahr technisch und athletisch immens verbessert und ist neben Laura aktuell die beste Abwehrspielerin in Deutschland. Sie kann mit ihrer Erfahrung Ruhe in das Team bringen, die Svenja helfen wird“, sagt Wagner, der hofft, „dass der Rechtsstreit keine Auswirkungen auf ihre Leistung hat“. Habe er nicht, sagt Cinja Tillmann, die Bachelor-Studiengänge in Mathematik und Psychologie abgeschlossen hat. „Ich denke weiterhin, dass Kim und ich ungerecht behandelt wurden. Aber ich glaube an das neue Konzept und an das neue Team.“

Bei den Männern sind Lukas Pfretzschner (20/Dachau) und Robin Sowa (21/Wolfen) als neues Perspektivteam nach Hamburg gezogen, können aber aktuell nicht gemeinsam trainieren, da bei Sowa der Verdacht auf eine Corona-Infektion besteht. Während das Duo sich wohl dem HSV anschließt, ist noch unklar, für welchen Hamburger Club Tillmann/Müller starten werden. Der Verband empfiehlt einen Vereinswechsel, auch damit die Athleten in das Förderprogramm „Team Hamburg“ aufgenommen werden können. Um der gewachsenen Personalstärke Rechnung zu tragen, möchte Hildebrand das Bundestrainerteam, das aktuell aus Helke Claasen (43), Imornefe Bowes (44), Martin Olejnak (50) und Eric Koreng (39) besteht, um eine fünfte Person erweitern. Gespräche mit der Stadt über die Finanzierung laufen.