Jürmala/Hamburg. Der 26 Jahre alte Spieler vom HSV tritt bei der Beachvolleyball-EM in Lettland mit dem dritten Partner in einem Monat an.

Reisen bildet, heißt es, die Reise zu den Beachvolleyball-Europameisterschaften ist dieser Tage allerdings eine Ausnahme. Bis auf den Flughafen, das Hotel und die Courts an der Ostsee bekommen die besten Strandspieler des Kontinents im lettischen Jürmala nichts zu sehen. Corona hat die Titelkämpfe fest im Griff, auszugehen ist verboten, Kontakte sollen vermieden werden, auch auf dem Spielfeld, geduscht werden darf nur auf den Hotelzimmern. Das übliche Abklatschen beim Seitenwechsel ist untersagt.

In Lettland herrschen strenge Hygieneregeln. Dass dort die Fallzahlen niedrig sind, schreibt die Regierung ihren restriktiven Maßnahmen zu. Ausländer müssen nach der Einreise für 14 Tage in Quarantäne, es sei denn, sie kommen aus einem der fünf europäischen Länder, darunter ist der Vatikan-Staat, in denen es im Schnitt der vergangenen zwei Wochen pro Tag weniger als 16 Infektionen auf 100.000 Einwohner gab. In Deutschland, derzeit 20,9 Fälle, Hamburg 18,2, liegt die Grenze bei 50 auf der Basis von einer Woche. In Lettland wurden zuletzt 4,3 Neuinfektionen pro Tag registriert.

Besondere Umstände

Für die Beachvolleyballer, ihre Trainer und Betreuer machten die Letten jetzt eine Ausnahme. Nach zwei negativen Tests, einen vor der Abreise, den zweiten bei der Ankunft im Flughafen von Riga, durften die Spielerinnen und Spieler ohne Mund-Nasen-Schutz ans Netz. Der ist dann nach dem letzten Ballwechsel sofort wieder aufzusetzen. Vier Spieler wurden bisher positiv getestet, niemand aus den acht deutschen Teams.

Als wären die Bedingungen nicht schon kompliziert genug, kommen für HSV-Nationalspieler Nils Ehlers noch besondere Umstände hinzu. Der 26-Jährige muss in Jürmala mit dem dritten Mitspieler innerhalb eines Monats antreten. Nach der Verletzung seines Stammpartners Lars Flüggen (30), der in der vorvergangenen Woche am Meniskus operiert wurde, holte sich der 2,10 Meter große Blocker für die deutschen Meisterschaften in Timmendorfer Strand den Berliner Abwehrspieler Eric Stadie (24) an seine Seite, für die EM jetzt den bayerischen U-20-Vizeeuropameister Simon Pfretzschner (18/1,90 m).

Mit Stadie schlug sich Ehlers ins DM-Endspiel

Mit Stadie schlug er sich ins DM-Endspiel, das die beiden gegen die Vizeweltmeister Julius Thole/Clemens Wickler (Eimsbütteler TV) in zwei Sätzen verloren, mit Pfretzschner soll es zumindest in die K.-o-Runden gehen, „aber ich habe keine speziellen Erwartungen“, sagt Ehlers. Die beiden sind unter 32 Paaren immerhin an sieben gesetzt. Für sie beginnt die EM am heutigen Mittwoch mit dem ersten von zwei Gruppenspielen gegen die Norweger Hendrik Mol/Mathias Berntsen, derzeit 45. der eingefrorenen Weltrangliste. Ehlers/Flüggen sind 18.

Schon bei den nationalen Titelkämpfen war Abiturient Pfretzschner eine Option, der hatte sich aber für Timmendorf bereits mit dem Kieler Milan Sievers (22) angemeldet. Jetzt soll er sich bei der EM bewähren. Ehlers entschied sich in Abstimmung mit den Bundestrainern Eric Koreng und Martin Olejňák sowie Beach-Direktor Niclas Hildebrand nicht ohne Hintergedanken für ihn, gilt Simon Pfretzschner – wie Bruder Lukas (20) – doch als eines der größten deutschen Beachvolleyballtalente. Sollte Ehlers’ Stammpartner Flüggen im nächsten Jahr seine Karriere beenden, was denkbar ist, wäre dieser ein Kandidat in Richtung Olympische Spiele 2024 in Paris.

Kozuch/Ludwig gewinnen ihr EM-Auftaktspiel

Am Dienstag haben Ehlers und Simon Pfretzschner das erste Mal zusammen trainiert, taktische Absprachen getroffen und Fingerzeichen ausgetauscht. „Lars und ich haben etwa für den Komplex Block/Abwehr, wie ich den gegnerischen Angriff am Netz bearbeite, wo er im Hinterfeld zur Abwehr hinlaufen soll, zwölf Grundkonstellationen im Repertoire, dazu kommen Variationen. Simon und ich werden uns auf wenige Hauptvarianten konzentrieren, alles andere wäre in der kurzen Zeit eine Überforderung und führte nur zu vermeidbaren Missverständnissen“, sagt Ehlers. Dass Interims-Duos dennoch oft erfolgreich sind, erklärt sich für ihn auch aus der fehlenden Erwartungshaltung: „Man kann frei aufspielen, hat keinen Druck, nur Spaß, und die Gegner wissen auch nicht genau, was auf sie zukommt.“ Beim zweiten, dritten gemeinsamen Turnier hätte sich dieser Effekt tendenziell wieder abgenutzt.

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Voraussetzung für ein erfolgreiches Abschneiden sei, dass beide Spieler gut ausgebildet sind, sagt Jürgen Wagner, seit 1. August „Head of Beachvolleyball“ im deutschen Verband. Ehlers und Pfretzschner sind es. Wagner, der Julius Brink/Jonas Reckermann (2012) und Laura Ludwig/Kira Walkenhorst (2016) zum Olympiasieg führte, gilt ohnehin als ein Freund des Einzeltrainings, „weil es intensiver und effektiver sein kann“. Natürlich müssten taktische Abläufe aber auch gemeinsam einstudiert werden. Ehlers/Pfretzschner haben dafür genau eine Trainingseinheit Zeit – und vorher und nachher ein paar Stunden für Analysen am Laptop. Ehlers sieht trotzdem viele positive Aspekte: „Mit einem neuen Partner hast du die Chance, aus deiner Routine auszubrechen und ohne Stress mal etwas Neues auszuprobieren. Auf jeden Fall musst du noch ein Stück weit wacher, aufmerksamer sein und mehr Verantwortung übernehmen. Das alles kann dir neue Horizonte eröffnen.“

Das Preisgeld in Jürmala beträgt pro Geschlecht 100.000 Euro. Thole/Wickler sind an drei gesetzt, das HSV-Duo Ludwig/Margareta Kozuch an zwei. Die beiden Hamburgerinnen gewannen ihr Auftaktmatch gegen die Lettinnen Marta Ozolina/Luize Skrastina in 29 Minuten mit 2:0 (21:7, 21:16). Victoria Bieneck/Isabel Schneider (HSV) besiegten Maria Bocharova/Mariia Voronina (Russland) in 44 Minuten 2:1 (21:18, 16:21, 15:9). EuroVolley.TV zeigt die Spiele im Livestream.