Hamburg. NRV-Vorschoterin Susann Beucke segelt bei Kieler Woche mit Tina Lutz um ihr Tokio-Ticket. Die Sehnsucht ist groß.

Ihren Sehnsuchtsort kennt Susann Beucke bereits: den Yachthafen von Enoshima in der japanischen Sagami-Bucht. Das kommende olympische Segelrevier im Pazifischen Ozean, etwa 50 Kilometer südlich von Tokio, biete vieles, was sie sich nur wünschen könne. „Wind, hohe Wellen, bis zu 28 Grad warmes Wasser“, schwärmt die Skiffseglerin vom Olympic Team des Norddeutschen Regatta Vereins (NRV).

Um ihr bei Trainingsregatten erprobtes „neues Lieblingsrevier“ während der Sommerspiele 2021 erneut besegeln zu können, geht es für die gebürtige Stranderin von diesem Donnerstag an aufs heimische Gewässer in Kiel-Schilksee. Die Ostsee-Förde hat derzeit noch 18 Grad Wassertemperatur, „dafür gibt es keine Haie wie in Japan“, findet Beucke nicht unerhebliche Vorzüge. Für die Vorschoterin in der 49er-FX-Klasse und ihre Steuerfrau Tina Lutz (29/Chiemsee-Yacht-Club) steht bei der 126. Kieler Woche die finale Regatta in der nationalen Ausscheidung ums Olympia-Ticket an.

Große Motivation

Als vom Deutschen Segler-Verband (DSV) benannte „Jägerinnen“ der Berliner Olympianeunten von Rio 2016, Victoria Jurczok (30)/Anika Lorenz (29/beide Verein Seglerhaus am Wannsee), angetreten, hat sich das bayerisch-norddeutsche Duo Lutz/Beucke längst als Gejagte in Stellung gebracht. Dank der WM-Plätze fünf und neun führen sie mit 28:16 Punkten die interne Ausscheidung mit zwölf Zählern Vorsprung an. Selbst wenn Jurczok/Lorenz ihren Kieler-Woche-Triumph des vergangenen Jahres wiederholen und für den Sieg 25 Punkte erhalten, reicht Lutz/Beucke ein siebter Platz (14 Punkte) fürs Tokio-Ticket. „Rein rechnerisch ist es möglich, uns einzuholen. Wir werden Vollgas segeln, nicht auf Sicherheit“, sagt Beucke.

An ihrer Motivation habe die Corona-Pandemie samt der Olympiaverschiebung nicht rütteln können, sagt Beucke. Als Seglerinnen seien sie es gewöhnt, sich situativ anzupassen. Auf wechselnde Windverhältnisse ebenso wie auf eine Weltgesundheitskrise. Als das Virus in Europa ausbrach, befand sich das Duo im März auf Mallorca, wo ursprünglich das Tokio-Ticket vergeben werden sollte. Nun lebt der einst im Teenager-Alter gemeinsam ersponnene Olympiatraum bis zum Sonntag in Kiel auf.

Seglerisch hochveranlagt

Seit 2007 bilden Lutz/Beucke ein Team. Von Anfang an seglerisch hochveranlagt platzte der Olympiatraum zweimal. Noch in der 470er-Klasse scheiterten sie vor den Spielen 2012 in London an Kathrin Kadelbach (Berlin)/Friederike Belcher (Hamburg). Das favorisierte Duo hatte die aufstrebenden Newcomer im letzten Akt der nationalen Qualifikation ausgebremst, Lutz/Beucke durch Manöver derart behindert, dass beide Crews fernab der Punkteränge einliefen. Kadelbach/Belcher blieben vorn. Eine Klage gegen die Nominierung lehnte das Landgericht Hamburg ab. Die Manöver waren vom Regelwerk gedeckt. Nach dem Umstieg in die 49er-FX-Jolle hatten vor Rio 2016 Jurczok/Lorenz die Nase vorn.

Die dritte Olympiakampagne der Europameisterinnen von 2017, als Lutz/Beucke ihren Heimvorteil vor Kiel nutzen konnten, erhielt im vergangenen Oktober den wohl entscheidenden Impuls. Als Honorartrainer holten sie den Briten Ian Barker (54), 49er-Silbermedaillengewinner 2000 in Sydney, mit ins Boot. Seither ist auch ein neues mentales Bewusstsein eingekehrt. „Wir mussten uns erst an die Rolle gewöhnen. Wir sind nicht mehr die Underdogs, haben jetzt verinnerlicht, wie gut wir eigentlich sind, dass wir zur Weltklasse dazugehören“, sagt Sportsoldatin Beucke.

Nichts soll dem Zufall überlassen werden

Ihr in diesem Frühjahr auf Initiativbewerbung erfolgter Schritt zum NRV Olympic Team spiegelt diese Entwicklung wider: Nichts soll dem Zufall überlassen werden. Die Hamburger versprechen die in Deutschland professionellste Zusatzförderung. Mit dem ebenfalls bei der Kieler Woche segelnden Laser-Weltmeister Philipp Buhl (30/Sonthofen) und den 49er-WM-Zweiten und -Dritten Erik Heil (31/Berlin)/Thomas Plößel (32/Oldenburg) hat der NRV zwei Olympia-Tickets gebucht. Zudem liegt Svenja Weger (27/Potsdam) im Laser Radial auf dem Weg nach Japan aussichtsreich.

Dass Lutz/Beucke ihre Führung im Februar behaupteten, verdanken sie auch ihrer ehemaligen Kieler Trainingspartnerin Lotta Wiemers. Die 27-Jährige sprang im Februar bei der WM in Australien ein, als sich ihre Trauzeugin Beucke im Training das Wadenbein gebrochen hatte. Wiemers, die 2017 ihre Karriere beendet hatte, holte mit Lutz den neunten Platz und umso wichtigere Punkte in der nationalen Qualifikation. Beucke begleitete das Interimsduo. Gegen alle Widerstände und für diesen einen Traum.

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Und danach? Susann Beucke kann sich auch abseits olympischer Regattabahnen eine Profikarriere vorstellen. Den Hamburger Weltumsegler Boris Herrmann (39) begleitete sie bereits. „Man kann erst Dinge beantworten, wenn man sein Endziel erreicht hat“, sagt sie. Dieses liegt 2021 im Yachthafen von Enoshima in der Sagami-Bucht.