Hamburg. Hamburger Ställe Universum und EC Boxing arbeiten an Konzepten für Kampfabende mit und ohne Fans. Sparring noch nicht erlaubt.

Dass es ein Vorteil ist, lange Arme zu haben, das hat Nikola Milacic (26) in den vergangenen Wochen schätzen gelernt. „So kann ich im Pratzentraining mit meinem Coach wenigstens Abstand halten“, sagt der 195 Zentimeter lange Cruisergewichts-Boxprofi aus dem Hamburger EC-Stall und lacht, während er im EC-Gym am Normannenweg unter Aufsicht seines Cheftrainers Bülent Baser (49) mit Volldampf einen Medizinball wieder und wieder gegen die Wand feuert. Humor ist eben, wenn man trotzdem lacht, auch wenn die Corona-Krise insbesondere den Kontaktsport­arten schwer zugesetzt hat.

Zwar ist für Profiboxer und auch die Olympiakaderathleten, die unter Landestrainer Christian Morales (39) am Verbandsstützpunkt Braamkamp trainieren, seit vorvergangener Woche Training in kleinen Gruppen wieder möglich. Aber das Einhalten des Mindestabstands von 1,50 Metern verhindert, dass die Sportler zum Sparring antreten können. „Wir können aktuell vor allem an Athletik und Technik arbeiten.

Wettkampf­nahes Training ist aber nicht möglich“, sagt Morales, der am Braamkamp auch die bei der Managementfirma Pyx des ehemaligen Klitschko-Managers Bernd Bönte unter Vertrag stehende Ex-Mittelgewichtsweltmeisterin Christina Hammer (29) und die beim Magdeburger SES-Stall gebundene Schwergewichtshoffnung Peter Kadiru (22) trainiert.

Vielen Boxern geht es derzeit nicht so gut

Die Frage, wann und wie Boxkämpfe wieder möglich sein werden, beschäftigt Promoter in diesen Zeiten weltweit. Doch während der Brite Eddie Hearn, aktuell einer der einflussreichsten Veranstalter der Welt, unter dem Druck seiner TV-Partner bereits fabulierte, er könne im Garten seines 15 Hektar großen Anwesens im englischen Brentwood WM-Kämpfe ohne Zuschauer veranstalten, versuchen sich die beiden großen Hamburger Ställe EC und Universum an realistischeren Konzepten.

„Natürlich würden wir am liebsten bald wieder in Hallen mit Fans veranstalten. Aber solange das nicht möglich ist, würden wir auch im Innenhof unseres Gyms an der Großen Elbstraße unter einem Zelt Kämpfe ausrichten“, sagt Ismail Özen-Otto.

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Der 39-Jährige hatte im vergangenen Jahr den Universum-Stall wiederbelebt und den Hamburger Olympiabronzegewinner von 2016, Artem Harutyunyan, als Zugpferd verpflichtet. Der 29-Jährige ist eine Art Krisengewinner, erholt sich derzeit noch von einem im Januar in seinem bislang letzten Kampf erlittenen Bruch des linken Daumens und hätte deshalb auch ohne Corona erst im Herbst wieder in den Ring steigen können. „Für mich ist die Pause nicht so schlimm, ich kann jetzt zielgerichtet an meiner Genesung arbeiten“, sagt der Halbweltergewichtler, „aber vielen anderen Boxern geht es derzeit nicht so gut.“

Wer nicht kämpft, verdient nichts

Das Problem ist, dass Profiboxer in der Regel ihr Geld durch Kampfbörsen verdienen. Für die meisten von ihnen, die kein Grundgehalt beziehen, gilt: Wer nicht kämpft, verdient nichts. Deshalb kümmert sich Artems ein Jahr älterer Bruder Robert als Sportdirektor bei Universum neben der Trainingsplanung auch um die Härtefälle. 17 Boxer und die Ex-Profis Artur Grigorian (52) und Juan Carlos Gomez (46) als Cheftrainer stehen unter Vertrag. „Wer finanziell in Not ist, erhält von uns Unterstützung, unabhängig davon, ob er kämpft“, sagt Ismail Özen-Otto.

Erol Ceylan, Chef des EC-Stalls, hält das für seine 20 Boxer ebenso. „Ich zahle ihnen Abschläge, die ich nicht zurückfordern werde. Niemand soll in finanzielle Not geraten“, sagt er. Der 48-Jährige lässt aktuell sein Gym umbauen, um in der Lage zu sein, von dort Boxkämpfe in bester TV- oder Streamingqualität ausstrahlen zu können. Dazu wird der Ring tiefergelegt, um eine für Kameras erforderliche Deckenhöhe zu erreichen, und die Beleuchtung optimiert.

Erol Ceylan im Gym seines EC-Stalls am Normannenweg. Im Hintergrund trainieren die Brüder Nikola und Danilo Milacic (r.).
Erol Ceylan im Gym seines EC-Stalls am Normannenweg. Im Hintergrund trainieren die Brüder Nikola und Danilo Milacic (r.). © Roland Magunia/Funke Foto Services | Roland Magunia

„Technisch wären wir im Juni bereit, Kämpfe auszurichten. Aber da unsere Kämpfer mindestens sechs Wochen Vorbereitungszeit bräuchten, halte ich den Juli für realistisch“, sagt er. Özen-Otto hat sich bereits Termine am 4. und 11. Juli gesichert. „Wir wollen vorbereitet sein, wenn die Behörden die Erlaubnis erteilen, dass wir boxen dürfen“, sagt er.

Beide Ställe arbeiten an Hygiene-Konzepten

Um diese Erlaubnis zu erhalten, arbeiten beide Ställe an umfangreichen Hygienekonzepten. Özen-Otto sagt, er habe vom UKE die Zusage, vor Kampfabenden regelmäßige Tests bei allen Kämpfern und Mitarbeitern durchführen zu lassen, die er eine Woche vor dem geplanten Termin in Quarantäne schicken würde. Noch besser wäre Ceylan vorbereitet, dessen Geschäftspartner Steffen Soltau in dem Gebäudekomplex, in dem das Gym liegt, das Stadthotel Hamburg betreibt. „Wir würden 14 Tage vor dem Kampftermin alle unsere Boxer und ihre Gegner dort einquartieren, regelmäßig testen und dadurch die Ansteckungsgefahr minimieren“, sagt Ceylan.

Parallel arbeiten beide Ställe auch an Veranstaltungen mit Zuschauern. Özen-Otto hat das Angebot eines Autokinos in Düsseldorf vorliegen. Ceylan lässt ein Security-Unternehmen bereits ein Konzept für die Nutzung des Tennisstadions am Rothenbaum ausarbeiten. Auch mit dem Betreiber des Kalkbergtheaters für die Karl-May-Spiele in Bad Segeberg und mit dem Heidepark Soltau, der ein Amphitheater bieten könnte, sind Soltau und er in Verhandlungen. „Es geht uns weder darum, Vorreiter zu sein noch Druck auszuüben. Wir werden uns an alle Verordnungen halten. Aber unsere Kreativität ist gefordert, um unseren Sportlern die Rückkehr in ihren Beruf zu ermöglichen“, sagt Ceylan.

Knackpunkt bleibt indes die Frage, wie die Rückkehr ins Sparring gelingen kann. Ohne Sparringsphase Kämpfe zu bestreiten wäre ein Wagnis, das niemand eingehen möchte. Dass kein Sportler länger als 14 Tage in Quarantäne isoliert werden kann, ist allen klar. „Am Ende bleibt immer ein Restrisiko“, sagt Erol Ceylan, „man muss abwägen zwischen dem, was sportlich machbar und gesundheitlich vertretbar ist. Und man muss akzeptieren, was die Behörden vorschreiben.“ Themen sind das, die das Profi­boxen wahrscheinlich noch über einige Monate beschäftigen werden.