Hamburg. Vorstandsvorsitzende im Deutschen Olympischen Sportbund über die Folgen von Corona und wo Hamburg eine Vorreiter-Rolle hat.

Als Veronika Rücker vor zwei Jahren als Nachfolgerin ihres ehemaligen Tennisschülers Michael Vesper zur Vorstandsvorsitzenden im Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) berufen wurde, standen Themen wie die Leistungssportreform oder eine neue deutsche Bewerbung um Olympische Sommerspiele auf ihrer Agenda. Nun ist die in Nordhorn geborene 49-Jährige, die von 2007 an in verschiedenen Positionen in der DOSB-Führungs-Akademie in Köln tätig war, in ganz neuer Funktion gefragt: als Krisenmanagerin.

Hamburger Abendblatt: Frau Rücker, welche Erfahrungen in Ihrem Leben befähigen Sie zur Krisenmanagerin?

Veronika Rücker: Auf etwas vergleichbares wie diese Corona-Krise kann ich nicht zurückschauen in meinem Leben. Dafür gibt es auch keine Blaupause. Insofern kann ich nur jeden Tag versuchen, mich mit meinem Team bestmöglich der herausfordernden Lage zu stellen.

Wie dramatisch ist denn die Lage in den Vereinen und Verbänden?

Eine seriöse Einschätzung dazu ist bislang noch nicht möglich. Wir befürchten aber, dass viele Vereine und Verbände derzeit noch gar nicht überblicken können, wie dramatisch es wirklich um sie steht und wie bedrohlich die Situation für sie werden kann. Nur eins von vielen Beispielen ist die Mitgliederbindung und -gewinnung. Die normale Fluktuation an Mitgliedern in einem Verein liegt im Schnitt bei bis zu 15 Prozent pro Jahr. In diesem Jahr werden vermutlich aber wohl etwas mehr Mitglieder austreten. Neue zu gewinnen ist dagegen seit Monaten fast unmöglich, wenn man nur sehr eingeschränkt Angebote machen darf. Was das für viele Vereine bedeutet, werden wir wohl erst 2021 sehen.

Erwarten Sie vermehrt Insolvenzen, Fusionen? Sterben die kleinen Vereine um die Ecke als erstes?

Wir gehen davon aus, dass die kleinen Vereine mit hoher Bindung ihrer Ehrenamtlichen und Mitglieder eher überleben werden als andere. Alle unsere 90.000 Vereine in Deutschland leisten ihren wertvollen Beitrag zum Gemeinwohl und prägen unsere vielfältige Sportlandschaft nachhaltig. Wie sich die Krise auf diese Strukturen auswirkt, vermag derzeit noch niemand einzuschätzen. Sehr große Sorge haben wir beispielsweise um den professionellen und semiprofessionellen Sport. Vor allem die Sportarten, die elementar auf Zuschauereinnahmen angewiesen sind, haben bereits jetzt massive finanzielle Einbußen und sind deshalb teilweise bereits stark gefährdet.

Gibt es Sportarten, um deren Wettbewerbsfähigkeit oder gar deren Fortbestand Sie fürchten? In der Volleyball-Bundesliga der Männer hat es bereits drei corona-bedingte Rückzüge gegeben.

Das ist zweifelsohne ein prominentes Beispiel für die aktuelle Strukturkrise. Ich möchte hier jedoch keine einzelne Sportart hervorheben. Aber die nationale und internationale Wettbewerbsfähigkeit leidet, wenn viele Vereine aufgeben müssen. Deshalb gilt es, so gut wie möglich gegenzusteuern.

Wie kann der DOSB da helfen?

Wir haben frühzeitig darauf hingewiesen, dass es enorm wichtig ist, dass Vereine und Verbände an den unterschiedlichen Hilfsprogrammen partizipieren können, die im Bund und in den Ländern aufgelegt wurden. Teilweise können unsere Mitgliedsorganisationen von diesen Rettungsschirmen profitieren. Aber der Schaden ist so immens hoch, dass wir befürchten, dass es nicht reichen wird.

Reichen denn grundsätzlich die finanziellen Zuwendungen, die der Staat für den Sport bereitstellt? DOSB-Präsident Alfons Hörmann hat den Schaden für den deutschen Sport durch Corona auf eine Milliarde Euro beziffert.

Er hat davon gesprochen, dass der Gesamtschaden für den Sport in den Milliardenbereich gehen kann. Ich gehe aus heutiger Sicht ebenfalls davon aus, dass diese Prognose des Präsidenten wohl leider zutreffen wird. Aktuell erheben einige Landessportbünde die Schäden ihrer Vereine. Allein aus Bayern ist uns bekannt, dass dort bisher ein Schaden von etwa 200 Millionen Euro in den Vereinen entstanden ist. Das zeigt beispielhaft, welche Dimension national gegeben sein dürfte. Um die Vielfalt Sportdeutschlands zu bewahren, werden die aktuell für den Sport zur Verfügung stehenden Mittel somit nicht ausreichen.

Hat der DOSB rechtzeitig auf die Krise reagiert? Erst nach der ersten Lockerungsrunde Mitte April hat man sich politisch positioniert und zehn Regeln für die Wiederaufnahme des Sportbetriebs aufgestellt. Warum so spät, und warum so allgemeine Regeln, die nicht auf die Bedürfnisse der verschiedenen Sportarten zugeschnitten waren?

Den Vorwurf, dass wir zu spät reagiert haben, weise ich vehement zurück. Wir haben uns sehr frühzeitig um Konzepte für den Wiedereinstieg ins Sporttreiben gekümmert. Wir haben selbstinitiativ der Politik konkrete Angebote unterbreitet und mit unseren zehn Leitplanken für den Wiedereinstieg die entscheidende Vorlage für die wichtigen Beschlüsse geliefert, die die Sportministerkonferenz dann in enger Abstimmung mit uns getroffen hat. Zudem haben wir bereits Mitte April auf Basis dieser Leitplanken unsere Mitgliedsverbände gebeten, eigene Konzepte für einzelne Sportarten zu entwickeln. Das ist auch sehr verantwortungsvoll und professionell von den Verbänden umgesetzt worden, womit wir eine gute Grundlage für die Rückkehr in die Vereine geschaffen haben.

Teilen Sie den Eindruck, dass dem Sport grundsätzlich die gesellschaftliche Lobby fehlt? Die Fußball-Bundesliga war in der ersten Lockerungsrunde kein Gesprächsthema, der Restsport wurde überhaupt nie wirklich erwähnt.

An den aktuellen Entwicklungen der vergangenen Wochen können wir keine fehlende Lobby ablesen. In der ersten Lockerungsphase ging es ausschließlich um erste Maßnahmen für die Wirtschaft, da wurde kein gesellschaftlich relevanter Akteur berücksichtigt, weder Kultur noch Sport oder die Kirchen. Die Politik hat einen sehr konsequenten Weg gewählt und Schritt für Schritt Lockerungen umgesetzt.

Sie finden, dass dem Sport die Anerkennung zuteil wird, die ihm aufgrund seiner Bedeutung für das gesamtgesellschaftliche Leben zustünde?

Das ist eine andere Frage, auf die ich ganz klar sage: Eine unserer zentralen Aufgaben als DOSB ist es, die gesellschaftliche Bedeutung des Sports immer wieder aufzuzeigen und zu verdeutlichen. Jeder in Deutschland sollte verstehen, was der Sport zu leisten imstande ist. Da das aber nicht immer der Fall ist, haben wir weiterhin einiges zu tun.

Geholfen hätte zum Beispiel, wenn der Sport hinsichtlich der Lockerungen bundesweit einheitlich gehandelt hätte. Stattdessen gab es überall unterschiedliche Maßnahmen, sogar an den Olympiastützpunkten durften manche Athleten noch nicht trainieren, während ihre Kollegen in anderen Bundesländern schon fleißig zurückkehrten.

Wir hätten uns ein bundesweit einheitlicheres Vorgehen für unsere Spitzenathleten gewünscht und haben auch frühzeitig hierzu ein Konzept veröffentlicht, wie wir uns den Wiedereinstieg im Spitzensport vorstellen. Es ist natürlich nicht in unserem Sinn, dass unsere Athletinnen und Athleten unterschiedliche Bedingungen in den verschiedenen Bundesländern vorfinden, aber das ist nun einmal dem Föderalismus in Deutschland geschuldet. Das ist ja auch an zahlreichen Beispielen aus anderen gesellschaftlichen Feldern abzulesen.

Die Leidtragenden sind oft die Athleten. Wie verkraften diese die Krise?

Da müssen wir differenzieren zwischen unseren Spitzenathleten aus dem Team Deutschland und der großen Mehrheit an Athletinnen und Athleten, die auf dem Weg dorthin sind. Die allermeisten der Olympiakandidaten haben mittlerweile ihren Fokus auf Tokio 2021 gelegt. Dank der bestätigten Weiterführung der Förderung durch die Sporthilfe und zahlreicher Sportförderstellen haben wir den Eindruck, dass sie die Krise gut meistern. Aber auch hier gilt, dass wir abwarten müssen, wie es sich Ende des Jahres 2020 und dann 2021 darstellt, wenn die Einnahmen aus Preisgeldern fehlen oder Sponsoren wegbrechen, die unter der Krise stark leiden. Sehr große Sorgen machen uns vor allem jene Sportlerinnen und Sportler, die aktuell keinem Bundeskader angehören. Ich befürchte, dass in dieser großen Gruppe Karrieren jetzt verstärkt hinterfragt und im schlechtesten Fall beendet werden.

In Deutschland hat sich mit dem Verein „Athleten Deutschland“ eine starke, unabhängige Opposition entwickelt, in der Sportlerinnen und Sportler für ihre Rechte und Überzeugungen kämpfen. Warum reicht denen die Athletenkommission des DOSB nicht mehr?

Das Problem für die Athleten war und ist nach eigener Aussage nicht die Meinungsfreiheit, sondern die Meinungsbildung. Warum dies in einer alternativen Organisation besser funktionieren soll als innerhalb der Fachverbände und des DOSB, können wir nicht beurteilen. Aber wir nehmen den Verein nicht als Opposition wahr. Es ist grundsätzlich positiv, wenn Athleten sich einmischen und sich aktiv in Diskussionen einbringen, die ihre Belange betreffen. Wir sind mit vielen Athletinnen und Athleten in einem engen und vertrauensvollen Austausch.

Ein Streitpunkt der vergangenen Monate war die Leistungssportreform, dabei vor allem das neue Bewertungsinstrument Potas. Was bedeutet die Corona-Krise für diese Großreform?

Unser Ansinnen ist es, die Auswirkungen auf die gesamte Reform so gering wie möglich zu halten. Klar ist aber, dass aufgrund der Verschiebung der Spiele die für die Potenzialanalyse essenziellen Parameter Leistung/Erfolge erst ein Jahr später vorliegen werden. Deshalb wird sich die Reform bezüglich der Potas-Erkenntnisse in Teilen etwas verzögern.

Vor der Krise wollte das Innenministerium den Investitionsstau im Sportstättenbau, rund 32 Milliarden Euro, mithilfe des Goldenen Plans abbauen. Muss man fürchten, dass dieser Plan nun kassiert wird?

Tatsächlich konnten wir vor der Krise ein deutliches Commitment der Politik in diesem Themenbereich feststellen. Diese Euphorie ist nun deutlich gebremst worden, auch wenn allen die Dringlichkeit des Themas klar zu sein scheint. Es gibt Signale, dass der Goldene Plan coronabedingt nun etwas zurückstehen muss. Aber wir werden das Thema weiterverfolgen, auch weil wir darin ein wichtiges Konjunkturprogramm für die Zeit nach Corona sehen.

Sie sind oft in Hamburg zu Besuch, gelten als Kennerin der hiesigen Politik. Ist die Stadt, die bis 2027 130 Hallen neu bauen und 150 Anlagen sanieren will, im Bereich der Schulsporthallen ein Vorbild?

Tatsächlich ist Hamburg ein Vorzeigeprojekt, was dieses Feld angeht. Neben dem Ausbau von Schulsporthallen und -anlagen sollten aber auch vereinseigene Sportstätten und somit der Vereinssport gestärkt werden. Leistungs- und Breitensport müssen gemeinsam gedacht werden und eine zentrale Rolle einnehmen.

Wird Sport beim Wohnungsbau und der Quartiersentwicklung ausreichend mitgedacht? Hamburg hat aus der Fehlplanung der HafenCity im neu geplanten Quartier Oberbillwerder Konsequenzen gezogen. Wie sehen Sie das bundesweit?

Da wünschen wir uns, dass Sport eine viel zentralere Rolle spielt. Vereine können immens zu einer Entwicklung von Quartieren beitragen, wenn sie in deren Konzepten adäquat berücksichtigt werden. Da sehe ich bundesweit noch riesiges Potenzial. Hamburg macht das weit besser als viele andere Städte.

Potenzial gibt es auch bei der Mitgliedergewinnung im Breitensport. In Hamburg treiben sehr viele Menschen in Parks und öffentlichen Anlagen Sport, ohne einem Verein anzugehören. Wie lassen sich Aktivitäten wie Parksport besser ins Vereinsleben einbinden?

Die aktuelle Lage ist ein sehr gutes Beispiel für Ihre These. Wir erleben derzeit einen Bewegungsdrang wie selten zuvor, die Menschen drängt es an die frische Luft und zu Bewegung. Das ist für Vereine eine riesige Chance, diesen Menschen jetzt kreative Angebote zu machen für die Zeit, wenn es wieder möglich ist, in vollem Umfang vereinsgebunden zu trainieren. Wir haben im DOSB dafür die Kampagne „Support your Sport“ angeschoben, mit der wir aktuelle Vereinsmitglieder bewegen wollen, ihrem Club treu zu bleiben, aber auch potenzielle Neumitglieder ansprechen möchten, den Weg in einen Club zu finden. Es ist immens wichtig, dass jeder Einzelne seinen Beitrag leistet, um die Vielfalt unseres einmaligen Sportsystems zu stärken und zu erhalten. Wenn uns das gelänge, wäre 2020 kein verlorenes Jahr für den Sport.

Die Rolle des Sports für die Prävention und die Gesunderhaltung müsste doch gerade in einer Gesundheitskrise wie der aktuellen hervorgehoben werden.

Das tun wir, aber auch da wünschen wir uns mehr Unterstützung. Wenn zum Beispiel die Mitgliedschaft in einem Sportverein bei den Krankenkassen als Beleg anerkannt würde, dass sich das entsprechende Mitglied um Prävention und Bewegung bemüht, wäre das ein wichtiger Schritt.

Ein weiterer wichtiger Schritt wäre die frühkindliche und schulische Heranführung an den Sport. Wann fordert der DOSB die tägliche Sportstunde?

Da wären wir sofort dabei! Dass wir mit unseren Konzepten Effekte erzielen, sehen wir in Regionen, in denen wir große Sportereignisse planen. Da wird dann zum Beispiel flächendeckend die dritte Sportstunde eingeführt. Wir sehen aber leider auch, dass an vielen Stellen die motorische Entwicklung von Kindern rückläufig ist, und das macht uns Sorgen. Im Fall von Corona stellen wir gerade fest, dass der Sportunterricht in den Schulen das letzte Fach ist, das wieder unterrichtet wird. Dabei gäbe es schon jetzt ausreichend Konzepte für den sofortigen Wiedereinstieg. Mit einer engeren Kooperation von Schulen und Vereinen könnten wir sehr viel erreichen. Allerdings bräuchte es dafür mehr Kapazitäten an Trainern und Übungsleitern sowie eine bessere Ausbildung der Sportlehrer.

Solche Themen sind im DOSB wohl im Ressort Sportentwicklung angesiedelt. Die dafür im Vorstand zuständige Karin Fehres verlässt den DOSB Ende November. Wie geht es dann weiter?

Aktuell diskutieren wir intensiv die Ausrichtung sowie die Schwerpunkte und Aufgabenbereiche des Ressorts. Das Präsidium wird zu gegebener Zeit die Weichen so stellen, dass die Sportentwicklung in Deutschland weiterhin eine zentrale Rolle spielen wird.

Dass eine Frau aus einer Führungsposition scheidet, kann Ihnen nicht gefallen. Warum gibt es grundsätzlich so wenige Frauen in Führungspositionen im Sport?

Im DOSB-Vorstand haben wir aktuell ein Verhältnis von drei Frauen zu zwei Männern, das sieht doch sehr gut aus. Und auch im Präsidium haben wir 50 Prozent Frauen an Bord. Zudem bieten wir viele Programme an, um Frauen für Führungspositionen vorzubereiten, zum Beispiel im Projekt „TrainerIn Sportdeutschland“ oder mit unserem Mentoring-Programm. Da sind wir an vielen Stellen aktiv und ich denke, dass der DOSB in diesem Feld durchaus vorbildlich agiert.

Dennoch bleibt die Frage, warum sich so wenige Frauen trauen. Stimmt es, dass Frauen länger überlegen, ob sie Führungsaufgaben gewachsen sind, während Männer einfach machen?

Das lässt sich sicherlich nicht verallgemeinern. Aber ich teile Ihre Beobachtung, dass Frauen kritischer hinterfragen als Männer, ob sie sich eine Führungsaufgabe zutrauen. Der damit verbundene hohe zeitliche, emotionale und auch physische Aufwand wird stärker abgewogen. Die entscheidenden Fragen sind: Bin ich bereit, so viel zu investieren? Und tue ich mir das wirklich an?

Warum haben Sie diese Fragen für sich bejaht? Und wie verstehen Sie Führung?

Für mich war eine entscheidende Komponente, dass ich aufgrund meiner vorangegangenen Tätigkeit den DOSB sehr gut kannte und abschätzen konnte, was mich mit dem Vorstandsvorsitz erwarten würde. Ich habe im Sport eine hohe Sozialisation erfahren und verstehe mich deshalb als Teamkapitän, der das Spiel gerne gestaltet und Entscheidungen trifft, aber das Team dabei auch mitnimmt. Täglich neue Herausforderungen anzunehmen und zu meistern, ist eine faszinierende Aufgabe.

Lassen Sie uns noch auf die Zeit nach Corona blicken. Wie können im Hinblick auf Tokio 2021 baldmöglichst Wettkämpfe stattfinden? Wann ist eine Rückkehr zum Normalbetrieb denkbar?

Da muss man aus unserer Perspektive unterscheiden zwischen nationalen und internationalen Wettkämpfen. National können vermutlich in ausgewählten Sportarten wie zum Beispiel im Tennis bald wieder Wettkämpfe stattfinden, und mit kreativen Konzepten ist dort einiges möglich. International halte ich das aufgrund der Reisebeschränkungen frühestens zum Jahresende für denkbar. Und wann wir wieder Veranstaltungen mit Zuschauern erleben werden, hängt wohl an der Entwicklung eines Medikaments oder Impfstoffs.

Gehören Sie auch zu denen, die bezweifeln, dass Tokio 2021 stattfindet?

Ich halte diese Diskussion für derzeit überflüssig und absolut verfrüht. Man muss die weltweiten Entwicklungen abwarten, aber wir im DOSB gehen fest davon aus, dass es 2021 Sommerspiele in Tokio geben wird.

Das Olympiastadion in Tokio soll 2021 mit Fans aus der ganzen Welt gefüllt sein
Das Olympiastadion in Tokio soll 2021 mit Fans aus der ganzen Welt gefüllt sein © witters | witters

Könnten Sie sich zur Not mit Geisterspielen arrangieren?

Das kann ich mir wirklich nur sehr, sehr schwer vorstellen. Olympia ist das wichtigste Sportfest der Welt, das von der Zusammenkunft von Athleten und Zuschauern aus allen Ländern lebt. Aber wenn in letzter Konsequenz die Alternative lautet, keine Spiele oder Geisterspiele, dann würde ich die Geisterspiele wählen.

Teilen Sie die Kritik am Internationalen Olympischen Komitee und dessen Präsidenten Thomas Bach, mit der Verlegung zu lange gewartet zu haben?

Ich hätte diese Entscheidung nicht treffen wollen, deshalb fand ich es nachvollziehbar, dass Thomas Bach und das IOC gemeinsam mit den Organisatoren in Japan bis zum letztmöglichen Zeitpunkt gewartet haben. Natürlich hätten wir uns, vor allem für unsere Athletinnen und Athleten, diese Entscheidung etwas früher erhofft. Grundsätzlich bewerte ich die Zusammenarbeit mit dem IOC als sehr positiv, die Abstimmung funktioniert sehr gut.

Das muss wohl so sein, wenn man Olympische Spiele ausrichten will. In Deutschland gibt es entsprechende Initiativen, 2032 mit der Region Rhein-Ruhr, 2036 vielleicht mit Berlin. Glauben Sie, dass man in Deutschland in den kommenden Jahren eine Olympiabewerbung vertreten kann, wenn die Folgen der Corona-Krise durchschlagen?

Natürlich zeigt Corona uns Grenzen auf, deshalb ist auch jetzt nicht der passende Zeitpunkt, darüber zu diskutieren. Dennoch bin ich überzeugt, dass Olympische Spiele in Deutschland gerade nach der Corona-Krise ein Zukunftsprojekt sein könnten, hinter dem sich das Land vereinen könnte. Zudem wären die Spiele auch ein sehr geeignetes Konjunkturprogramm. Aber dazu braucht es erst einmal eine Rückkehr zur Normalität.

Mit welchem Kandidaten und in welchem Jahr sähen Sie die größten Chancen?

Dazu äußern wir uns, wenn die Zeit dafür reif ist.

Was ist Ihre wichtigste Lehre aus dem Scheitern der Hamburger Bewerbung für 2024 oder 2028?

Dass der Zeitpunkt einfach der falsche war. Hamburg hat vieles richtig gemacht. Aber es gab exakt zu diesem Zeitpunkt zu viele äußere Einflüsse, die die Stimmung negativ beeinflusst haben. Dafür war das Ergebnis des Referendums sogar erfreulich knapp. Wir werden sehen, wann die Zeit für einen neuen Anlauf in Deutschland reif ist.

Ist es für Sie maximal erstrebenswert, in Ihrer Amtszeit Olympische Spiele in Deutschland zu erleben, oder gibt es ein anderes Projekt, das Sie gern mit Ihrem Namen verbunden sähen?

Die Ausrichtung Olympischer und Paralympischer Spiele in Deutschland wäre natürlich das Nonplusultra. Ich hoffe aber, dass es noch eine Reihe anderer Projekte geben wird, die man irgendwann mit meiner Amtszeit und mit meinem Team verbinden kann. Dazu zählt aus aktuellem Anlass eben beispielsweise auch die Bewältigung der Corona-Krise. Auch darin kann ein enorm wertvoller Teamerfolg liegen.​